Eine Gemeinde, die vieles richtig macht und Erfolg hat: Bernau im Landkreis Waldshut ist ein stiller Aufsteiger im manchmal arg knalligen „Black Forest“.
Von Rudi Raschke
Längst sind es nicht mehr nur menschliche Gäste, die die Sommerfrische im Schwarzwaldort Bernau zu schätzen wissen: Bis Oktober reisen jedes Jahr auch zahlreiche Kühe aus der Bodenseeregion an, um die herrlichen Wiesen zu erwandern. Raus aus dem engen Stall, ran in die frische Luft, die hier besonderes Auftanken verspricht. Ein Gesundheitstourismus der anderen Art. „Die Tiere kommen durch und durch kräftig zurück“, sagt Werner Baur, seit mehr als 42 Jahren in Diensten des Tourismus der Gemeinde im Südschwarzwald tätig. Dass sich sogar ein Weidewart um ihre Verpflegung und die Gesamtsituation kümmert, ist weniger fürs lustige Lokalkolorit von Belang, sondern Teil einer stimmigen Strategie, zu der eben auch die Landschaftspflege gehört.
Wer das sich auf acht Kilometern ausgebreitete Hochtal mit seinen zehn Ortsteilen sieht, geht von einem Gunstort aus, der es ungleich leichter haben dürfte mit der Attraktivität als der eine oder andere finstere Nachbar: über 3800 Hektar verteilen sich die 2000 Einwohner des Dorfs im Süden des Feldbergs. Nur ein kleiner Teil ist bebaut, auf 2000 Hektar Wald kommen 1500 Hektar Wiesen und Weiden mit einer stattlichen Pflanzenwelt. Womit wieder der Weidewart Thema ist: Die einheimischen und zugereisten Kühe garantieren die Offenhaltung der Flächen, verhindern aktiv die Verbuschung und späteren Waldwuchs – und sie sind später auch als schmackhafte Weiderinder gefragt. Gastronomie im Einklang mit der Natur als touristische Qualität – das ist in Bernau Teil einer stillen Offensive, mit der die Gemeinde mehr und mehr Vorbildcharakter gewinnt: Weil sie eben nicht nur Wanderwege hinter zugebauten Hängen ausschildert, sondern mit Glaubwürdigkeit punktet.
Dazu gehört in Bernau die Tradition einer Handwerkskunst, die nicht mühselig wieder für Brauchtumsabende rangekarrt werden muss, sondern immer da war: Aus der Schnitzkunst um 1900 haben sich viele Betriebe entwickelt, die heute sogar weit über die Bundesgrenzen ihre Klientel finden – weil sie an den Grenzen von Design, Tradition und Kunst angesiedelt sind, vor allem aber in Bernau, wo sich ein Ort mit ihnen identifiziert. Aufwändig produzierte DIN A2-Kalender der Gemeinde zeigen Keramik, Holzarbeiten, aber auch rare Gitarrenbauer, auch hochwertiges Design zeigt sich in holzvertäfelter Stube. Es findet von hier den Weg zu Messen in Amsterdam und Paris. Der jährlich stattfindende „Naturpark-Markt“ im August zeigt für Kunstgewerbe-Maßstäbe beachtliche Qualität. Auch das schmückt eine Gemeinde, in der nahezu jedes fünfte Haus unter Denkmalschutz steht. Und der die Nachhaltigkeit von einem früher biederen Image zu Tourismus-Steigerungen von rund 30 Prozent in diesem Jahrzehnt verholfen hat.
Weil Leute wie Werner Baur ein Gespür für den Charakter dieses Dorfs mit Erfolg nach außen tragen, aber dieser Charakter erhalten bleibt und sich weiterentwickeln kann. Die touristischen Kalenderhighlights sind so gestaltet, dass Bernau im Remmidemmierprobten Schwarzwald Menschen anzieht. Trotz allem ohne Blödsinn, der in eine Gerhard- Polt-Satire passen könnte. Wo andere Schwarzwald-Dörfer schon mal norddeutsche Fischmärkte oder Sambatänzerinnen anreisen lassen, machen sie in Bernau ein vertretbares Schneeskulpturen-Wochenende oder bauen ihr weißes Labyrinth auf. Klar, sie haben hölzerne Himmelbetten und XXL-Liegen („Logenplätze in der Natur“) an Wanderwegen installiert, aber eben auch Panorama-Strecken ertüchtigt. Von denen Werner Baur zu hören bekommt, sie spielten in der Champions-League der Marschierwelt. Und auch wenn die Krunkelbachhütte Outdoor-Wanne und Pistenbully-Schnäpse einsetzt – Baur hat eben dort auch Sonnenaufgangs- Wanderungen zum Herzogenhorn ins Laufen gesetzt.
„Raus aus dem Jammertal“ sagt der 59-Jährige über die Investitionen, die für einen touristischen Uplifting-Effekt gesorgt haben: Im Jahr 2011 wurde der örtliche „Schwanen“ statt einer klein-klein-Renovierung mit einem schmucken Neubau versehen – entworfen von der Werkgruppe Lahr, gebaut von der örtlichen Holzbau- Koryphäe Bruno Kaiser (netzwerk südbaden berichtete), ausgezeichnet von der „Baukultur Schwarzwald“. Modern, aber kein Fremdkörper, ein Haus, über das sich alle im Ort freuen. Der Sog-Effekt: Der Wellness-Tourismus fand dadurch angemessene Betten im Ort, erstmals konnten Übernachtungspreise um 150 Euro durchgesetzt werden – bei abnehmender Verweildauer nicht unerheblich.
Und gemeinsam mit dem „Schwanen“ der Familie Bregger machten sich weitere Gästehäuser für rund 20 Millionen Euro hübsch, die Gemeinde selbst investierte ebenfalls kräftig, unter anderem in die Wanderwege, für die es dann wieder Fördergelder gab. Die Wertschöpfung stieg. Und selbst die Ferienwohnungen-Betreiber ziehen nach, inzwischen gibt es im Schwarzwald-Vergleich überdurchschnittlich viele, die in der vier- oder fünf-Sterne-Kategorie zertifiziert sind – weil Leute wie Baur ihnen vermitteln konnten, dass der alte Kleiderschrank vom Sohn eben kein Mobiliar mehr ist, für das man heute noch viel kassieren kann. Es gäbe noch viel zu berichten. Wie Bernau beispielsweise als Teil des Biosphären-Gebiets auftritt; wie der nach dem großen Bernauer Künstler benannte Hans-Thoma-Preis weit entfernt von tüteliger Heimatmalerei alle zwei Jahre internationale Namen auszeichnet wie Anselm Kiefer, Tobias Rehberger oder Thomas Ruff (und dabei manch ehrbaren und umkämpften, aber bedeutungslosen Eitel-Kunstpreis im 100 mal so großen Freiburg alt ausschauen lässt); aber auch, wie sie sich hier Zeit nehmen und mit Mut auch einmal in die Jahre Gekommenes ausmustern, beispielsweise das überlebte Schlittenhunde-Rennen.
Naturnähe, Empathie, Glaubwürdigkeit, Innovation, Tradition – es wäre nicht das Schlechteste, wenn sich Touristiker bei Werner Baur umschauen würden, erholsam wäre es ohnehin. Baur macht sich bereits Gedanken, ob das japanische Trend-Ding „Waldbaden“ auch vor Ort möglich wäre, in der Luftreinhaltungsdiskussion will er die Bernauer Atmosphäre auf jeden Fall als saubere Alternative bewerben. Vor allem aber macht er sich Gedanken darüber, wie willkommen Gäste wirklich in seiner Gemeinde sind. Bei 1000 Betten auf 2000 Einwohner sieht er einen guten Schlüssel. Denn mit „aufgesetzter Gastfreundschaft“, sagt er, würde das alles nicht funktionieren.