Die Mobilität von Tieren und Pflanzen verursacht Schäden in Milliardenhöhe: Warum invasive Arten wie Waschbären, die Asiatische Hornisse oder die Quagga-Muschel nicht nur ein Problem für die Natur, sondern auch für die Wirtschaft sind.
Text: Julia Donáth-Kneer
Pelziges Fell, Teddybäraugen, spitze Ohren – Waschbären sehen so putzig aus. Doch das nordamerikanische Raubtier wird hierzulande immer mehr zum Problem. „Auf hessischen Campingplätzen ist man an den Anblick des in den Müllcontainer räubernden Waschbären längst gewöhnt“, sagt Friedrich Kretzschmar, der das Naturschutzreferat im Regierungspräsidium Freiburg leitet. Neu sei aber, dass die ersten Exemplare über Nordbaden, den Raum Stuttgart und den nördlichen Schwarzwald bereits die Baar erreicht haben. Bis sie in Freiburg gesichtet werden, sei es nur eine Frage der Zeit, schätzt der Experte.
Der Waschbär ist ein prominentes Beispiel für eine absichtlich eingeführte Tierart. Er kam Anfang des 20. Jahrhunderts aus Nordamerika als Pelzlieferant nach Deutschland. Ein Förster soll Anfang der 1930er-Jahre zwei Waschbärenpaare am Edersee ausgesetzt haben, damit sie sich für die Jagd vermehren. Außerdem entkamen wenige Jahre später einige Dutzend Tiere aus einer Berliner Pelzfarm. Schätzungen zufolge leben heute rund 1,5 Millionen Waschbären in Deutschland, allein in der Saison 2021/2022 haben Jäger nach Angaben des Deutschen Jagdverbundes in Deutschland fast 202.000 Exemplare geschossen. Damit gilt der Waschbär als etablierte invasive Art. „Dass er vielen unserer heimischen Tierarten schadet, ist inzwischen nicht mehr umstritten“, sagt Friedrich Kretzschmar. Allerdings sei auch klar: „Seine Bekämpfung hat kaum Aussicht auf Erfolg.“ Das Problem mit dem räuberischen Bären: Er frisst zum Beispiel Froschlaich komplett auf, plündert Vogelnester – und bedroht damit die heimische Artenvielfalt.
Eroberer ohne natürliche Feinde
Neobiota nennen Biologen neue Arten, die nach dem Stichjahr 1492 – dem Beginn der Globalisierung durch die Entdeckung neuer Seewege nach Amerika und Asien – in einer Region heimisch geworden sind. Manche Arten verhalten sich wie Eroberer: Ihnen fehlen die natürlichen Feinde, sie verdrängen andere Tiere, verbreiten sich rasant. „Eine Faustregel besagt, dass von 100 neuen Tierarten zehn langfristig überleben und davon eine problematisch wird“, sagt Hanno Seebens. Der promovierte Ökologe ist einer von insgesamt 86 Expertinnen und Experten aus 49 Ländern, die für die den Weltbiodiversitätsrat IPBES eine Dokumentation über invasive Arten verfasst haben.
Vier Jahre Forschung stecken in dem Ende 2023 veröffentlichten Bericht, der in seinem Umfang als einzigartig gilt. Demnach gibt es weltweit 37.000 gebietsfremde Arten, mehr als 3500 davon sind invasiv. In Deutschland zählten die Forschenden rund 2600 etablierte, gebietsfremde Arten, rund ein Prozent gilt als invasiv. Sie treiben das Aussterben heimischer Flora und Fauna voran. Laut IPBES-Bericht waren invasive Arten bei 60 Prozent aller ausgestorbenen Tiere und Pflanzen maßgeblich am Verschwinden beteiligt. „Sie verdrängen die heimischen Spezies aus ihren Lebensräumen, konkurrieren mit ihnen um Nahrung oder fressen sie auf“, sagt Seebens.
Das Problem mit dem Kirschlorbeer
Klingt wie ein exotisches Problem, steht bei vielen aber buchstäblich direkt vor der Haustür: Die Lorbeerkirsche zum Beispiel. Der immergrüne Busch ist bei Privatpersonen beliebt, weil er leicht zu pflegen ist und guten Sichtschutz bietet. Sein dichtes Laubwerk schattet aber nicht nur den Garten, sondern auch alles andere ab. Ein Konkurrenzkampf um Licht, Nährstoffe und Wasser entsteht, den heimische Pflanzen und Insekten fast immer verlieren. Ab September wird die Lorbeerkirsche in der Schweiz daher sogar verboten.
“Eine Faustregel besagt, dass von 100 neuen Tierarten zehn langfristig überleben und davon eine problematisch wird.”
Hanno Seebens
Neben den Schäden für die Natur entstehen durch invasive Arten auch massive wirtschaftliche Probleme. Der IPBES-Bericht beziffert den Schaden allein im Jahr 2019 mit 400 Milliarden Dollar. Ausfälle in der Land- und Forstwirtschaft, Krankheiten und Schäden an der Infrastruktur schlagen massiv zu Buche. In Konstanz spürt das zum Beispiel der Schiffverkehr. Die aus dem Schwarzmeer stammende Quagga-Muschel wurde 2016 erstmals im Bodensee entdeckt, mittlerweile hat sie sich im gesamten See ausgebreitet. „Durch die Ausbreitung der Quagga-Muschel müssen Schiffe und Leitungssysteme viel häufiger gereinigt werden. Die Wasserleitungen von Kraftwerken und Triebwasseranlagen sind von den Muscheln befallen“, sagt Hanno Seebens. Von den Folgen fürs Ökosystem des Sees ganz zu schweigen. Wie die Muschel ins Land kam, ist unklar.
Sie sind mobil, weil wir es sind
„Tiere und Pflanzen überbrücken große Distanzen und sogar Ozeane, weil wir Menschen so mobil sind und sie im Schlepptau – bewusst oder unbewusst – mitnehmen“, gibt Friedrich Kretzschmar zu bedenken. Im Dreisamtal kämpft das Freiburger Naturschutzreferat mit einer amerikanischen Flusskrebsart, dem Signalkrebs, der – ähnlich wie die Waschbären – absichtlich eingeführt wurde. „Der Signalkrebs ist konkurrenzstärker als die heimischen Krebsarten und verdrängt den Dohlenkrebs, den es in Deutschland nur hier in Südbaden gibt“, erklärt der promovierte Vegetationskundler. Außerdem bringen die exotischen Krebse eine Erkrankung, die sogenannte Krebspest, mit, die sie selbst überstehen können, die Dohlenkrebse aber rafft es dahin. Es sei „ein Riesenproblem“.
Als beste Strategie gilt Prävention. Beispielsweise durch strenge Einfuhrkontrollen und länderübergreifende Regeln. Eine davon ist zum Beispiel das internationale Ballastwasserabkommen. Dazu muss man wissen: Frachtschiffe haben große Mengen sogenanntes Ballastwasser an Bord. Diese Wassermassen werden aus einem Hafen genommen und dann am Zielhafen wieder ausgelassen. Man muss keine Biologin sein, um zu verstehen, dass auf diese Weise eine Vielzahl an Tieren, Pflanzen, Keimen, Bakterien unkontrolliert von Ort zu Ort verschifft wird. Das Abkommen regelt, dass Wasser nur noch gesäubert abgelassen werden darf. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, meint Hanno Seebens: „Prozesse, die die Verbreitung gebietsfremder Arten begünstigen, finden weltweit statt. Die EU allein kann das nicht verhindern, ein einzelnes Mitglied schon gar nicht. Daher sind solche zwischenstaatlichen Abkommen nötig.“
30 Millionen Euro Verlust durch die Asiatische Hornisse
Noch haben nur wenige Staaten entsprechende Gesetze und Regeln. In der EU wird die sogenannte Unionsliste veröffentlicht, derzeit listet sie 88 Tier- und Pflanzenarten auf. Was auf der Liste steht, muss bekämpft werden, mit welchen Mitteln auch immer. Das verlangt mitunter extremen Aufwand. Ein interessantes Beispiel aus der Region ist die Asiatische Hornisse, die momentan zu einem ernstzunehmenden Problem wird. Ähnlich wie ihr prominenter Kollege, die Tigermücke, breitet sich die Asiatische Hornisse in einem rasanten Tempo in Baden-Württemberg aus. „2022 haben wir in der Region Südbaden 75 Nester entfernt. 2023 waren es bereits 550“, sagt Bianca Duventäster aus dem Landkreis Konstanz. Die Imkerin ist Hornissenfachberaterin beim Landesverband Badischer Imker und berät im ganzen Bundesland, wie mit der Invasion der Asiatischen Hornissen umzugehen ist.
Die Tiere sind eine Gefahr für unsere heimischen Honigbienen, aber das ist nur eines von vielen Problemen. Allein die schiere Masse des eingewanderten Insekts, das sich über Frankreich und Spanien zunächst nach Nordbaden ausbreitete, ist kaum zu bewältigen. „Eine Kolonie unserer heimischen Hornisse zählt etwa 700 bis 900 Tiere. Bei den Asiatischen Hornissen sind es 2000 bis 3000. Und eine einzige Kolonie benötigt rund elf Kilo Biomasse, um zu überleben“, erklärt die Expertin. Das heißt: Die Tiere müssen elf Kilo Honigbienen, Wildbienen, Wespen, Schmetterlinge, Fliegen und andere Insekten fressen. Das hat gravierende Folgen – für die Natur und die Wirtschaft.
„In der Landwirtschaft und im Weinbau fehlen dann die Bestäuber, was zu Ernteausfällen führt“, sagt Duventäster. Zudem befallen die Hornissen auch reife Früchte, fressen Kirschen, Weintrauben, Aprikosen – und sie bedrohen die Erntehelfer. In Frankreich kann daher die Ernte teilweise nicht richtig durchgeführt werden. Im vergangenen Jahr wurde im Nachbarland der Schaden wegen des Ernteausfalls auf etwa 40 bis 50 Millionen Euro geschätzt, in Baden-Württemberg erwartet Bianca Duventäster für 2024 rund 30 Millionen Euro Verlust durch die Asiatische Hornisse.
Aufwendig und teuer
Monitoring laute das Zauberwort. „So soll die Ausbreitung der Asiatischen Hornisse gebremst werden und der Druck sowohl auf Bienenvölker als auch auf die Landwirtschaft und den Obstbau, genommen werden“, erklärt Duventäster. Um einen Überblick über die reale Ausbreitung zu erhalten, hoffe man auf eine Durchführung in ganz Baden-Württemberg. „Die Hornissen kommen, ihre Anpassungsfähigkeit und Ausbreitung ist gigantisch“, warnt Bianca Duventäster. „Wenn wir nichts dagegen tun, werden wir bald Zustände wie in Frankreich haben.“ Allein die Suche nach den Nestern kann Tage dauern. Nur speziell ausgebildete Fachpersonen dürfen sie entfernen, bezahlt werden die Aufträge vom Land Baden-Württemberg.
Es ist ein Rennen gegen die Zeit. „Ich glaube nicht daran, dass wir die Asiatische Hornisse komplett ausrotten können“, sagt Biologe Kretzschmar. „Man kann nur hoffen, dass sich die Natur auf ihre Art anpasst, einen Abwehrmechanismus entwickelt und es irgendwann auch einen Gegenspieler geben wird.“