Visual Statements baut weiter aus. Mit der Academy kommt ein drittes Geschäftsmodell hinzu – neben Merchandise und Mediakampagnen verkauft der Freiburger Social-Media-Spezialist nun Expertenwissen.
VON JULIA DONÁTH-KNEER
Eine Sekunde, manchmal weniger. Mehr Zeit hast du in den sozialen Netzwerken nicht, um auf dich aufmerksam zu machen. Wer das nicht versteht, hat keine Chance im Spiel von Social-Media-Marketing, Markenaufbau, Reichweitenpolitik. In der flüchtigen Blase von Tiktok, Instagram und Co. konkurrieren Unternehmen, die etwas über ihr Produkt oder ihre Marke erzählen wollen, mit allen anderen auf unseren Bildschirmen.
Wie man es dennoch schafft, sich digital in die Herzen der Nutzer zu katapultieren, das hat die Visual Statements GmbH perfektioniert. Nun geben die Köpfe der Marke ihr Wissen in der neu gegründeten „ACDMY“ weiter. „Am Markt gibt es einen großen Bedarf nach praxisorientiertem Know-how“, sagt Gründer und CEO Benedikt Böckenförde. „Unternehmen wollen wissen, wie man strategische Social-Media-Zielsetzungen erfolgreich operationalisiert und nachhaltig weiterentwickelt.“ Das Motto: Kein Blabla aus Beraterperspektive, hier sprechen Macher. Die Academy soll das Wissen der Social-Media-Pioniere in die Unternehmen transferieren, Mitarbeiter aus- und fortbilden.
Über Jahre hat sich das Freiburger Unternehmen einen Ruf erarbeitet, der in der Branche Gold wert ist: Sie sind Meister im Erstellen von „relatable Content“, also von Inhalten, mit denen sich jeder identifizieren kann. Das können Banalitäten sein („Sorge dich um dich selbst, dann um andere“), Lebensweisheiten („Wenn sich jemand für dich nicht entscheiden kann, hat er sich schon entschieden“) oder Jokes („Meine Chefin könnte problemlos in die Steckdose fassen – so schlecht, wie die leitet“). Die Posts werden millionenfach gesehen, geteilt, gemocht und verschaffen so Zugang zu den begehrtesten Zielgruppen im Internet. „Das ist die ganze Magie von Social Media“, sagt Böckenförde. „Den richtigen relevanten Content machen im richtigen sozialen Ökosystem.“
Angefangen hat alles 2011 mit ein paar Bildern, die Böckenförde auf Facebook gepostet hat. Witzige Sprüche, ein ansprechendes Hintergrundfoto, fertig. Offenbar traf er einen Nerv, die Fangemeinde wuchs rasch auf 300.000. Da begriff er zum ersten Mal: Diese Reichweite lässt sich zu Geld machen. Ende 2013 launchte er eine erste T-Shirt-Kollektion, 2014 gründete er die Visual Statements GmbH. 2017 hat sie den Sprung in den stationären Handel geschafft und verkauft bei derzeit über 3000 Händlern bundesweit Postkarten. Bis heute ist die Gesellschaft inhabergeführt und eigenfinanziert. Aktuell arbeiten rund 50 Menschen für Visual Statements, darunter vier Auszubildende.
Unromantisch, aber effizient
„Wir generieren über 20 Millionen Beitragsinteraktionen in sozialen Netzwerken. Aus diesen Insights ergeben sich unsere Geschäftsmodelle“, erklärt der 42-Jährige. Das, was Visual Statements tut, hat nichts mit Bauchgefühl und nur wenig mit Zeitgeist zu tun, es ist eine klar kalkulierte, datengetriebene, auf Kennzahlen basierende und dauerhaft sich selbst überprüfende Marketingstrategie. „Wir produzieren jeden Tag etwa 100 Contentpieces“, sagt Böckenförde. „Wenn ein Inhalt Interaktion generiert, also zum Teilen oder Kommentieren einlädt, dann schafft er Reichweite und über diese Reichweite setzen wir eine Datenanalyse.“ Anhand dieser Daten erkennt das Team Trends und springt auf den Zug auf. Da wird aus dem Trend Selbstliebe die Marke „LiebeLieberDich“. Derzeit gibt es zehn dieser Marken unter dem Dach von Visual Statements, jede mit eigener Zielgruppe, eigenem Account, eigener Sprache, eigenem Stil. Darunter zum Beispiel „Lieblingskollegen“ für die Arbeitswelt, „wrdprn“ für die GenZ, „Vollzeitprinzessin“ für junge Frauen, „Stadtbesten“ für die Freiburger. Böckenförde, der lange als Berater in Medienverlagen tätig war, vergleicht das mit einem Verlagshaus: „Wir sind ein digitales, modernes Medienunternehmen und erschließen neue Zielgruppen über neue Marken.“
Hinter den Kulissen
Lukrativer als der E-Commerce ist der zweite Geschäftsbereich: Seit 2017 bietet Visual Statements seine mit viel Arbeit aufgebaute Reichweite Dritten an. „Wir verkaufen nicht einzelne Posts oder Reels, sondern ganze Kampagnen mit garantierten Reichweiten und relevantem Content“, sagt Leo Tacke, zweiter Geschäftsführer des Unternehmens, das jährlich „im mittleren einstelligen Millionenbereich“ Umsätze generiert. Kunden wie Adidas, die Deutsche Post oder Netflix zählen dazu, aber auch Gothaer, Sparkasse oder Konsummarken wie Kühne und Schwartau. Gar nicht so leicht, Themen wie Gewürzgurken, Berufsunfähigkeitsversicherungen oder Himbeermarmelade ins Herz und Hirn der Millennials-Zielgruppe zu bringen. Aber dafür treten Böckenförde und sein Team an.
Wie das geht, verraten sie nun in der neugegründeten Academy. Machen sie sich nicht überflüssig, wenn sie ihre besten Tricks preisgeben? „Nein, ganz im Gegenteil“, sagt Benedikt Böckenförde. „Wir wollen Kunden in unseren Workshops ein neues, tieferes Verständnis von Social Media an die Hand geben, sodass wir mit ihnen auf einer anderen Basis über künftige Kampagnen und Strategien sprechen können.“ Warum wird Tiktok immer noch völlig falsch eingeschätzt? Welche Rolle spielen Followerzahlen wirklich? In welchem Verhältnis sollten organische und bezahlte Strategien stehen? Wie komme ich an gute Daten ran und was mache ich damit? „Wir erleben immer noch viel zu viele Unternehmen, die im Blindflug publizieren“, berichtet Böckenförde. Der Ansatz von Visual Statements ist ein anderer.
„Test and Learn“ heißt es hier. „Mit einer guten Testingstrategie bekommst du alle Insights, die du brauchst, um zu wissen, wofür es sich lohnt, Geld in die Hand zu nehmen.“ Insidertipps, Hacks, Software- und Handlungsempfehlungen – in den Workshops erklären Böckenförde und sein Team, was sie wie tun, und was sie wem empfehlen würden. „Das Geheimnis von guter Werbung auf Social Media: Sie darf nicht als störend empfunden werden, sondern im besten Fall als bereichernd“, betont der Unternehmer. „Nur, wenn man versteht, wofür und wie die sozialen Ökosysteme funktionieren, kann man die Leute erreichen.“
Kommunikation auf Augenhöhe
Louisa Schäfer ist für den Workshop aus Wuppertal angereist. „Bei vielen mittelständischen Unternehmen fehlt das Verständnis, welche Bedeutung Social Media im Marketingmix hat und wie man es strategisch sinnvoll implementieren kann“, sagt Schäfer, Social Media Managerin bei der Storch-Ciret Group. Das Unternehmen ist europaweiter Marktführer für Malerwerkzeug. Die meisten der Workshop-Teilnehmenden kümmern sich um die Social-Media-Accounts ihrer Firma, sie sind diejenigen, die ihre Strategien der Geschäftsleitung nahebringen müssen. Diesen Mitarbeitenden Tools an die Hand zu geben, das ist der Ansatz der Academy.
Benedikt Böckenförde und sein Team plaudern aus dem Nähkästchen, sie werfen Zahlen an die Wand, die in vielen Firmen streng hinter verschlossenen Türen gehalten werden. „Wann bekommt man schon mal einen Account im Backend zu sehen, wo zum Beispiel auf Insta ein Post um die 50.000 Likes erreicht und über 12.000 Kommentare erzeugt?“, fasst Nicole Lipphart, Marketingleiterin beim Baden Campus, das Erlebte zusammen.
Für die Academy hat das Unternehmen wenige hundert Meter entfernt vom Sitz in der Freiburger Schnewlinstraße einen zweiten Standort auf insgesamt 600 Quadratmetern bezogen. Während die Geschichte von Visual Statements mit statischen Bildern auf Facebook begann, sind es längst zu großen Teilen Reels, Shorts, Videos, die auf Instagram und Tiktok laufen. Dafür beschäftigt das Unternehmen ein zwölfköpfiges Content-Team und hat am neuen Standort ein hundert Quadratmeter großes Studio geschaffen. Der Trick: Modulare Einrichtung macht im Handumdrehen aus dem Schlaf- ein Arbeitszimmer, die Küche kann je nach Kameraperspektive WG-Treffpunkt oder Bartresen sein. Es gibt Tageslichtlampen und Beleuchtungssysteme, die verschiedene Stimmungen simulieren. Kooperationspartner ist Ikea Freiburg, die Studio und Büros in weniger als drei Monaten geplant und ausgestattet haben. „Das ist eine Kooperation, die alle glücklich macht“, sagt Leo Tacke. „Wir haben die perfekte Ausstattung für das Office und die Studios. Im Gegenzug unterstützen wir Ikea dabei, in den sozialen Medien sichtbar zu sein.“ In den Videos, bis zu 130 entstehen monatlich in der Heinrich-von-Stephan-Straße, sehen die Millionen Viewer nun permanent Ikea-Einrichtung – auch eine Form von relatable Content.