Der Modellbau erlebt seit einigen Jahren ein Revival. In der Corona-Pandemie entdecken zudem viele Menschen das Hobby neu oder wieder. Die Gütenbacher Firma Faller baut seit 75 Jahren Miniaturwelten für Modelleisenbahner, Bastler und Sammler. Mit Bewährtem und Trends legte sie vergangenes Jahr um 35 Prozent beim Umsatz zu.
VON CHRISTINE WEIS
Der aktuelle Faller-Neuheitenprospekt liest sich wie eine kleine Architekturhistorie: Da gibt es Plattenbauten und Architektenhäuser, Arkaden mit Geschäften, Mobilheime, die historischen Stadthäuser am Frankfurter Römerberg, einen Vogtsbauernhof, Fahrgeschäfte auf einem Jahrmarktrummel oder ein Lavendelfeld samt Gärtnern. Für wen nichts dabei ist, der kann sich mit einer speziellen Software sein eigenes Modell aushecken, das von Faller umgehend im 3D-Druck gefertigt und dem Kunden zugeschickt wird. Über 40.000 Artikel produzierte das 1946 gegründete Traditionsunternehmen im Laufe der Jahre. Ohne die fantasievollen Szenerien, Gebäude und Figuren wären die Modellbahnen mit ihren nüchternen Zügen und Gleisen nur halb so attraktiv.
Die Ideen gehen den kreativen Schwarzwäldern nicht aus und auch ihre Anhängerschaft hat jede Menge Einfälle: Täglich gehen zahlreiche Vorschläge ein – vom Berliner Hauptbahnhof über die Münchner Allianz-Arena bis zum persönlichen Eigenheim. Das rumänische Dracula-Schloss „Bran“ ist der jüngste Spaß zum Firmenjubiläum aus der Faller-Spielzeugkiste. Zum Aufbau des originalgetreuen Schlosses aus dem 14. Jahrhundert mit rund 750 Einzelteilen benötigt man wohl einige Tage und viel Geduld. Dabei soll keine Hektik aufkommen, denn Entspannung ist das Beschäftigungsziel. Die limitierte Auflage wird dann in ein paar Jahren sicher zum Sammlerstück – wie einige der Vorgängerbausätze, etwa das Kloster „Bebenhausen“.
Spieltrieb damals und heute
Faller traf im Nachkriegsdeutschland den Nerv der Zeit. Modellbau boomte in den 1960er und 1970er Jahren. In Spitzenphasen verkauften die Profibastler jährlich bis zu 1,5 Millionen Produkte.
Seit den 1980er vertreibt Elektronikspielzeug die Miniaturwelten aus den Kinderzimmern und Hobbykellern. 2009 musste Faller sogar Insolvenz anmelden. Das Management straffte infolgedessen das Sortiment und stellte auf Just-in-Time-Produktion um. Seitdem geht es wieder aufwärts. Auf ihre treuen Fans konnten sie sich auch in schwierigen Zeiten verlassen.
Das angestaubte Image vom grauhaarigen Zausel, der zu den Bausätzen greift, lassen die Schwarzwälder nicht gelten, es sei längst passé. „Es ist uns gelungen, Modellbahnen und Modellbau durch eine zeitgemäße Ansprache und umsichtige Sortimentspolitik wieder für jüngere Generationen attraktiv zu machen“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Horst Neidhard.
Einst waren bewegte Modelle wie die Wassermühle gefragt, jüngst wurde die Nachfrage nach mehr Action auf der Modellbahnanlage immer größer. Faller reagierte darauf mit der Fahrzeug- und Verkehrssteuerung „Faller Car System Digital“ und der Konstruktionssoftware „Faller Create“.
Die Kundschaft ist heute eine Mischung aus älteren Anhängern, Wiederentdeckern, Einsteigern und immer mehr jungen Menschen. „Das Hobby bietet sich generationsübergreifend gleichermaßen zur Einzelbeschäftigung wie auch für das gemeinsame Entwerfen, Bauen und Fachsimpeln an”, sagt Neidhard. “Es eignet sich perfekt für das Erlernen vieler unterschiedlicher Kompetenzen und wirkt wohltuend entschleunigend.“ Er blickt zuversichtlich nach vorne, für ihn steht fest: Das zeitlose Hobby hat Zukunft. Zahlreiche neue Modelle richteten sich auch nicht mehr exklusiv an die typischen Modellbahner. Die Absätze, etwa im Bereich Kirmesmodellbau oder der XXL-Geisterbahn nach dem Originalvorbild „Daemonium“, einem Fahrgeschäft-Bau der Firma Mack aus Waldkirch, bestätigten diese Vorgehensweise.
Corona-Krise als Spieletreiber
Modellbau, von vielen jahrelang als old-fashioned belächelt, hat im Pandemiejahr 2020 bei Faller ein Umsatzplus von 35 Prozent erzielt. Trotz der außergewöhnlichen Belastungen durch die Corona-Auflagen gewährleisteten die knapp 100 Mitarbeiter weiterhin die Grundlage für gute Absatzzahlen.
Mit dem Aufschwung der Miniaturwelten geht ein Comeback der Eisenbahn einher. Hier ist Märklin der Platzhirsch in Deutschland. Das schwäbische Unternehmen aus Göppingen verzeichnete zum Jahreswechsel 40 Prozent mehr Aufträge.
Laut dem Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) war 2020 insgesamt ein Rekordjahr für den deutschen Spielwarenmarkt mit einem Umsatzplus von rund 9 Prozent, im Vorjahr waren es drei Prozent Plus. „Die Spielwarenindustrie kommt richtig gut durch die Krise“, bilanzierte Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des DVSI, gegenüber dem Handelsblatt.
Die Zeit anhalten
Manche entdecken beim Aufräumen die stillgelegte Eisenbahn und ihre alte Leidenschaft entbrennt. Vielleicht ist das einer der Gründe für den Trend von Retro-Modellen. Der „Altstadtblock“ (Ersterscheinung 1965) oder die unvergessene „Villa im Tessin“ zählen zu den Modellen der begehrten Klassiker-Reihe. Rund 400.000 Villa-Bausätze wurden von 1961 bis heute verkauft. Die Firmengründer Hermann und Edwin Faller bauten sich übrigens ein ähnliches Anwesen in Gütenbach. Nachgeahmt ist die Miniatur der Villa Giovanni Guscetti im Tessin. Das Brüderpaar hat sie 1960 auf einer Urlaubsfahrt gefunden. Vielleicht beflügelt auch der Wunsch nach einer heilen Welt in diesen unsicheren Zeiten den Trend. Wer würde nicht gerne in einer Villa umgeben von Bergen wohnen. Solange das ein Traum bleiben muss, ist das Faller-Häuschen ein guter Platzhalter und Spielgefährte.