Ein Besuch bei einem Unternehmer, der weiß, wie man Startups aufzieht – aktuell entwickelt der „Jedox“-Gründer Kristian Raue mit der Cedalo AG sein viertes Projekt.
Von Rudi Raschke
Bei Startups gibt es bei weitem nicht nur das Bild der gemeinschaftlich geteilten Schreibtische im Coworkingspace samt angedockter Infrastruktur, wie sie den Freiburger „Grünhof“ prägen. Es gibt auch Softwaretüftler, die abseits der Szene hier Beachtliches schaffen. An einem kommt man in der Region nicht vorbei: Kristian Raue.
Nach „Graphitti“ (1991) und „Intellicube“ (1997), initiiert damals noch im Hessischen, schaffte es „Jedox“, heute angesiedelt am Freiburger Hauptbahnhof, auf 130 Mitarbeiter, als er sich 2014 zum Verkauf entschloss. Inzwischen ist die Zahl sogar auf rund 200 gewachsen.
Von seinem Wohnort in Kirchzarten aus entwickelt er mit seiner Frau Gabriele gerade „Cedalo“. Wieder geht es um Software, diesmal für den Bereich automatisierter Prozesse im sogenannten IIoT, dem „Industrial Internet of Things“, das eng mit Themen rund um die „Industrie 4.0“ zu tun hat.
Wenn es um größere Gründungen in der Region geht, kann Raue viel sagen. Was der 55-Jährige über seine Startup-Erfahrungen sagt, eignet sich gut als Knowhow oder Ratgeber für viele junge Gründer. Zum Beispiel, wie er die Seed-Phasen, also die der Aussaat erlebt, wie die Wachstumsphase ausschauen sollte und wie mit externem Kapital gearbeitet werden kann.
Raue hat gemeinsam mit seiner Frau mit Jedox ein Software-Unternehmen geschaffen, bei dem es um die Themen Business Intelligence, Controlling, das Reporting von Wahlen ging – beachtlich war daran die hohe Leistungsfähigkeit bei leichter Bedienung im Stil einer Excel-Tabelle. Ideal also für Mittelständler. Viele Jahre hintereinander gelang es ihm, die Umsätze um jeweils bis zu 50 Prozent pro Jahr zu steigern. Nach 12 Jahren entschied er sich für den Ausstieg, beim Verkauf verzichtete er auf jegliches Behalten von Anteilen oder Mandaten.
Und ging nach einer Ruhepause an das nächste Projekt. Bei „Cedalo“ stehen ähnliche Vorteile im Handling im Vordergrund, auch die Idee, Daten und Software in der Cloud statt in eigenen Rechenzentren zu nutzen, findet ihre Fortsetzung. Nur dass es jetzt vermehrt um Prozessketten in Fertigung und Logistik sowie ähnlichen Aufgabenstellungen im Bereich Smart Factory, Smart Home, Smart City geht. Am Thema „Industrie 4.0“ fasziniert ihn die Wertschöpfung, an der alle zusammenarbeiten, Anbieter von Hardware und Software, aber auch Anwender und Kunden.
Seine Lösung heißt „modellieren“ statt „programmieren“ und trägt auch dem Umstand Rechnung, dass für viele Prozesse schlicht das notwendige IT-Personal fehlt. Raue selbst hat auf der Entwicklerseite ein Unternehmen in Köln mit entsprechendem Personal, fünf Leute, übernommen, in Bosnien arbeitet ein Team aus sieben Freischaffenden für ihn.
Er selbst steuert – aktuell noch vom heimischen Büro in Kirchzarten aus – die Konzeption, die Visualisierung und die Tests. Einmal wöchentlich reist er zum Team in Köln, etwa einmal monatlich weilt er in Bosnien. Er habe jetzt die Freiheit, „auch radikale Ideen zu verfolgen“, wie er sagt. Der Kopf ist frei nach dem Jedox-Verkauf, das neue Unternehmen könne vollkommen unabhängig die ersten Schritte unternehmen.
Technologisch sei es ein guter Nährboden für Startups wie „Cedalo“, dass eine enorme Leistungsfähigkeit in Clouds vorhanden sei, es sei heutzutage kein Problem mehr, Speicherplatz und Rechnerkapazität für Millionen von Kunden bereitzustellen, er nutzt hierfür die Ressourcen von Amazon und Microsoft. (Was angesichts deren Expertise im übrigen auch sicherer sei, als die noch verbreitete Haltung, dass beispielsweise Mittelständler mit eigenen Servern am besten fahren.)
In der aktuellen Seed-Phase entwickelt er ohne Investoren den „Cedalo“-Prototyp. Es geht um ein sogenanntes „Minimum Viable Product“, also ein minimal überlebensfähiges Produkt, das die Idee bereits transportiert, aber bei weitem nicht alle späteren Funktionalitäten aufweise. Damit will er erste Anwender finden, die zugleich ihre Testerfahrungen widerspiegeln.
Auch hierfür wird er wieder den Freemium-Gedanken nutzen, also die Vorstellung, Software anfangs gratis bereitzustellen oder in Teilen der Industrie-Hardware „beizupacken“. Auf diese Weise lässt sich erste Reichweite aufbauen, ehe eine Premium-Variante verkauft wird.
Von zentraler Wichtigkeit in dieser Phase: Geschwindigkeit. Raue sagt mit Blick auf seine Erfahrungen, dass es keine Rolle spiele, ob ein Unternehmen von der Größenordnung SAP oder Microsoft oder eines in seiner Liga etwas entwickle. Es gilt nicht „die Großen fressen die Kleinen“, sondern „die Schnellen fressen die Langsamen“
Bis es zu angemessener Größe komme, sei allerdings auch ein langer Vorlauf notwendig, „jedes über-Nacht-Wunder“ dauere nunmal zehn Jahre. Diese Zeit setzt er sich: Innerhalb von 12 bis 18 Monaten solle das Unternehmen wachsen, auch dezentral und ohne repräsentativen Firmensitz. In drei Jahren will er mit „Cedalo“ Erfolg am Markt haben, innerhalb einer Dekade sei mit dem Abschluss der Entwicklung zu rechnen.
Was ist mit Rückschlägen, sei es durch die Finanzierung oder bei der Durchsetzung der Entwicklung beim Kunden? Er selbst habe heute gut reden, sagt Raue, aber auch bei ihm sei in früheren Gründungen schon das Geld knapp geworden. In dieser Phase habe ihm das schlichte Glück geholfen, dass ein rettender Großauftrag einging, als er sich selbst kaum mehr Gehalt auszahlen konnte.
Banken sieht Raue nicht als Startup-Finanziers, wenn überhaupt, seien es Beteiligungsgesellschaften von Banken. Dort habe er sich durchaus schon anhören müssen, dass seine Idee „auf keinen Fall funktioniert“. Raue sagt, dass sich eigentlich jeder Gründer diesen Satz einmal anhören muss: Er deute zumindest an, dass nicht allzu viele Entwickler zur gleichen Zeit Ähnliches planen. Und der Satz sei angesichts von Geschäftsmodellen wie Youtube in den USA oder den deutschen Klingelton-Anbietern im Deutschland der Nuller-Jahre durch die Praxis vielfach widerlegt. Auch sie hätten nie funktionieren dürfen.
Venture-Capital Investoren hat er in der Vergangenheit bei Eigenkapital-Foren der Deutschen Börse in Frankfurt begeistern können (von Fremdkapital rät er ab, wenn keine materiellen Werte wie eine Fabrik errichtet werden), aber er warnt davor, in der Hoffnung auf potente Einsteiger schlecht vorbereitet zu verhandeln. Zu oft gehe es auch um Mitspracherechte bei der Technologie, hin und wieder müssten Investoren auch Unerwartetes verdauen – bei Jedox hatte er seinen Geldgebern im Jahr 2009 ein Plus von 50 Prozent angekündigt, nach den weltweiten Finanz-Crashs arrangierten sie sich mit „nur“ 15 Prozent. Damals hatte er Glück, die Investoren haben zu ihm gestanden, wofür er heute noch dankbar ist.
Man kann angesichts solcher Erfahrungen sicher nicht sagen, dass bei ihm das Gründen wie das sprichwörtliche Brezelbacken funktioniert, aber Raue und seine Frau können sich beim Gestalten ihrer Startups klar wiederkehrender Muster sicher sein. „Think big, start small, scale fast“: Ist die Freiburger Umgebung für dieses Motto eigentlich ein guter Standort?
Zunächst sagt er, dass die Unterstützung in Baden-Württemberg „exzellent“ sei, das Land habe für die jüngste Hannover-Messe z.B. bezahlbare Gemeinschaftsstände organisiert und informiere derzeit wöchentlich über neue Unterstützungsangebote und Förder-Möglichkeiten. In Freiburg begrüßt er z.B. die Cluster-Bildung rund um die Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe (FWTM) und microTEC Südwest, auch die Möglichkeit, aus der Universität Gründerunterstützung in Anspruch zu nehmen.
Was langfristig sicher fehle, sei eine technische Fachhochschule in Freiburg, die konkretere Berufsbilder für Ingenieure und IT‘ler anbiete. Als Standort, an dem Absolventen gerne „hängen bleiben“, biete Freiburg eine hervorragende Umgebung. Das Ehepaar Raue kann mit seiner Erfahrung und seinen drei „Exits“ aus funktionierenden Gründungen jetzt auch die Lebensqualität genießen.