Wer seine Liebsten verliert, kann es oft kaum ertragen, tatenlos herumzusitzen. Während Privatpersonen Vereine oder Selbsthilfegruppen gründen, rufen Unternehmer Stiftungen ins Leben. Doch alle haben den gleichen Gedanken: Helfen, bevor es zu spät ist.
VON JULIA DONÁTH-KNEER
Am 11. September 2001 rief Klaus Bothe noch mal zuhause an. Es war der dritte Geburtstag seiner Tochter Lara, den er leider verpasste, weil er auf Geschäftsreise in Amerika war. Also gratulierte der Softwareentwickler vom Telefon aus, bevor er mit seinen Vorstandskollegen Heinrich Kimmig (43) und Wolfgang Menzel (59) in ein Flugzeug stieg, das sie von Boston nach Los Angeles bringen sollte. Die drei Männer arbeiteten für das deutsche Softwareunternehmen BCT im badischen Willstätt, das enge Kontakte in die USA pflegte. Regelmäßig flogen der 31-Jährige und seine Kollegen rüber. Doch dieses Mal erreichten sie ihr Ziel nicht. Kurz nach dem Start wurde der United-Airlines-Flug 175 gekapert und nach New York gelenkt. Es war die Maschine, die in den Südturm des World Trade Centers flog.
Netzwerk für Betroffene
Heute erinnert sich Tochter Lara vor allem an die Welle von Hilfsbereitschaft. „Schon bevor ganz sicher war, ob mein Vater wirklich in dem Flugzeug saß, wurde mein Kindergeburtstag vom Haus meiner Eltern zu den Nachbarn verlegt“, erzählt die mittlerweile 24-Jährige. Auch danach wurden die Bothes nicht allein gelassen. Nachbarn brachten Essen, Freunde und Verwandte halfen mit Erledigungen, die Firma unterstützte bei Formalitäten. „Wir hatten so viel Hilfe, dass wir uns wirklich auf unsere eigenen Gefühle konzentrieren konnten“, sagt Lara. Ein solches Netzwerk möchte sie heute auch anderen Familien ermöglichen, die durch traumatische Erfahrungen gehen. Vor knapp drei Jahren hat sie deshalb den Verein „Klaus Bothe – Helping Hands“ gegründet. Er will Familien nach dem Tod eines Elternteils Stress nehmen und bei einfachen bürokratischen Dingen unter die Arme greifen. Es geht um finanzielle, aber auch um psychologische Hilfe. „Wir kümmern uns um all die Dinge, für die keine Kraft mehr ist“, erklärt sie. „Wir können nicht für andere in den Supermarkt gehen, aber wir haben ein gutes Netzwerk aufgebaut, auf das die Betroffenen schnell und unbürokratisch zugreifen können.“ So schickt und bezahlt die Stiftung zum Beispiel einen Makler, wenn ein Büro vermietet werden muss. „Es gibt bei Tod und Trauer nichts Allgemeingültiges, was jedem hilft“, findet Lara. Außer ihr engagieren sich noch Freunde ihres Vaters, ihr Onkel und ihre Mutter bei Helping Hands ebenso wie Menschen, die von der Idee überzeugt sind – alle ehrenamtlich, versteht sich. „Der Hauptgrund unseres Handelns ist immer Liebe“, betont Lara Bothe. „Der Verein ist nicht zuletzt ein Andenken an meinen Papa, der ein sehr sozial engagierter Mensch gewesen ist.“
Mut statt Hilflosigkeit
Lara sagt, sie konnte mit der Stiftungsarbeit erst beginnen, als die Trauer nicht mehr so überwältigend war. „Ich hatte das so weit verarbeitet, dass ich mich im täglichen Leben mit dem Tod meines Vaters beschäftigen kann, ohne mich dabei selbst zu verletzen“, erklärt die 24-Jährige, die auch jedes Jahr ihren Geburtstag feiert – nur die Stunden, in denen ihr Vater starb, lässt sie aus.
So individuell die Menschen, so verschieden sind die Formen der Trauer. Manche müssen wie Lara warten, bis sich der Schmerz gesetzt hat. Andere schmieden noch am Grab die ersten Pläne, was zu tun ist. Nicht selten spielen dabei Wut und Fassungslosigkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wohl dem, der solche Gefühle fokussiert einsetzen kann, um am Ende Positives draus zu ziehen.
„Der Hauptgrund unseres Handelns ist immer Liebe.“
Lara Bothe
So wie Walter Eberhard aus Villingen-Schwenningen. Seine Frau Karin starb im März vergangenen Jahres an der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), nur wenige Monate nach der Diagnose. ALS ist tödlich, verklumpte Eiweiße zerstören Nervenbahnen im Hirn, legen das Muskelsystem lahm. „Unsere Arbeit wendet sich an die Öffentlichkeit, um Druck aufzubauen, damit die Krankheit besser erforscht wird, und Betroffene und Angehörige schnelle, konkrete Hilfe erhalten“, sagt der 71-Jährige. „Die Ursache dieser Verklumpung ist bislang immer noch nicht gefunden. “ In Villingen-Schwenningen hat er mit einer Partnerin eine Selbsthilfegruppe aufgebaut, die beim Landesverband der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) angedockt ist. Ein Netzwerk, wie es sich der Witwer selbst gewünscht hätte. Mühsam musste sich die Familie damals alles selbst zusammensammeln: vom Besorgen eines Rollstuhls bis hin zur Suche nach einem Hospiz. Nun möchte der Schwenninger Betroffene, Experten und Angehörige zusammenbringen und Wegweiser schaffen, damit sich andere einfacher orientieren können. „Über 50 Besucher bei der Info-Veranstaltung im Januar bestätigten, dass in der Region Bedarf besteht“, sagt Walter Eberhard, dem es auch darum geht, eventuell einen kleinen Beitrag zur Aufklärung leisten zu können.
Einen Unterschied machen
Aufklärung, Vorsorge, Information – das sind Gedanken, die bei Angehörigen oft mitschwingen, wenn sie sich nach dem Tod von Familienmitgliedern gesellschaftlich einbringen wollen. Die Ideen sind vielfältig, aber ähneln sich oft im Kern: einen Unterschied machen und die retten, die noch zu retten sind. Bekannte Beispiele aus der Region sind die Felix-Burda-Stiftung, die seit dem Krebstod des Sohnes von Hubert Burda und seiner ersten Frau Christa Maar für bessere Vorsorge beim Thema Darmkrebs kämpft, oder die Schöpflin Stiftung. Auch hier war es der Tod des Kindes, der den Vater zum Stifter werden ließ. 1995 starb Axel Schöpflin im Alter von 19 Jahren an einer Überdosis Drogen. Drei Jahre danach gründete Hans Schöpflin zuerst die Panta Rhea Foundation in den USA und im Jahr 2001 gemeinsam mit seinen Geschwistern Heidi Junghanss und Albert Schöpflin die Schöpflin Stiftung in Lörrach.
Bis heute betone der 81-Jährige, dass es diese persönliche Tragödie gewesen ist, die den Wendepunkt in seinem Leben markiere, sagt Constanze Wehner, Vorstandsmitglied der Stiftung. „Damit geht er sehr offen um.“ Auf einmal musste er, der erfolgreiche Unternehmer, dem bis dahin alles geglückt war, feststellen, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die außerhalb seiner Macht liegen.
„Mit warmer Hand geben“
Er selbst war vor rund zwei Jahren zur Rubrik „Gut beraten“ in diesem Magazin geladen. Damals erklärte Schöpflin, weshalb er zum Stifter wurde. „Der Drogentod meines Sohnes hat mich noch mehr dazu gebracht, genauer darüber nachzudenken, was ich mit meinem Geld machen will“, resümierte der Unternehmer. Aus der Stiftung fließen Jahr für Jahr Millionen in verschiedene Programme, doch der Ursprung bleibt die Villa Schöpflin. Heute eine ausgegründete Gesellschaft mit zwölf festangestellten Mitarbeitern – zu 80 Prozent aus Drittmitteln finanziert – die sich um Suchtprävention im Kindes- und Jugendalter kümmert. Ein Anlaufpunkt in der Region Lörrach für Eltern, Lehrer und Lehrerinnen, für Kliniken und Beratungsstellen – sie greift also ein, bevor es überhaupt zur Abhängigkeit kommt.
„Der Drogentod meines Sohnes hat mich noch mehr dazu gebracht, genauer darüber nachzudenken, was ich mit meinem Geld machen will.“
Hans Schöpflin, unternehmer
„Du kannst mit der kalten Hand geben oder mit der warmen Hand“, das sei für Hans Schöpflin immer Leitsatz gewesen. Ein Grundgedanke, der den Philanthropen und Unternehmer in ihm gleichermaßen anspricht. „Will heißen, entweder das Vermögen wird nach deinem Tod durch Familie oder Juristen verwaltet, oder man gibt zu Lebzeiten für gute Zwecke und versucht, Positives zu bewirken und Freude daran zu haben“, sagt Schöpflin, der 2020 mit dem Deutschen Stifterpreis ausgezeichnet wurde. Und noch etwas anderes schwingt mit in seinem Lebenswerk. Panta Rhea, der Name seiner ersten Stiftung, ist eine Reminiszenz an den großen griechischen Philosophen Heraklit. „Phanta rhei“ – das bedeutet „Alles ist im Fluss“. Nichts ist für die Ewigkeit.