Es wirkt bisweilen gleichgültig, wie im Freiburger Kulturdezernat das Geld ausgegeben wird. Das war zuletzt beim Stadttheater mit der „Passage 46“ der Fall, aber auch in der freien Szene fehlen zeitgemäße Vorgaben. Nebenbei verspielt die Stadt hier mehr und mehr kulturelles Kapital.
Von Rudi Raschke
Die Förderung erscheint als recht chaotisches Puzzle, das für Außenstehende nicht eben sortierbar wirkt: Das Freiburger E-Werk, größte Bühne der Stadt für freie Gruppen, hat einen stattlichen Etat von etwa 1,6 Millionen Euro jährlich, davon 1,05 Millionen Zuschuss. Ein Budget für Eigenproduktionen gibt es nicht. Gruppen, die hier auftreten, holen sich die Zuschüsse für ihre Projekte zwischen 3.000 und 10.000 Euro bei der Stadt, bei der eine Fachjury entscheidet. Hinzu kommen Sponsoren, das Land und Stifter. Das Programm des E-Werks setzt sich dann in einer Art „Katze-im-Sack“-Verfahren aus all jenen zusammen, die an diese Fördertöpfe, bei der Stadt sind es 120.000 Euro, gelangen.
Wer eine der überschaubaren Projektförderungen der Stadt bekommen hat, darf auf Termine hoffen, der Kalender im E-Werk füllt sich auf diesem Weg überwiegend von selbst. Eine Nachschau, ob eine Theater- oder Tanzproduktion tatsächlich Zuschauer fand und qualitativ gut da stand, könne sein Haus personell nicht leisten, sagt der Leiter des Freiburger Kulturamts, Achim Könneke. Je nach Höhe der Fördermittel müssen die Gruppen lediglich nachweisen, dass ihr Stück überhaupt stattfand, beispielsweise mit Zeitungsartikeln.
Auf diese Weise können auch jene Geförderten regelmäßig ihre Arbeiten zu Gesicht bringen, die den 400-Personen-Saal an einem Samstagabend mit gerade 50 Gästen füllen. Für ihr Programm wirkt die riesige Halle an sehr vielen Abenden im Jahr überdimensioniert. Die schwache Auslastung muss kein Kriterium gegen die Qualität sein – aber eben auch nicht eines dafür: nicht alles, was in der alternativen Spielstätte schlecht besucht ist, ist per se exzeptionell.
Rund 32.000 zahlende Besucher im Jahr meldete das E-Werk zuletzt an die Öffentlichkeit. Im Schnitt kommt nicht viel rum für ein Haus, das der Stadt traditionell vermittelt, dass es schier aus den Nähten platzt – und mit Verweis auf die vielen, vielen freien Gruppen ohne Auftrittsmöglichkeit vergangenes Jahr noch eine weitere Spielstätte namens „Südufer“ auf der anderen Seite der Dreisam angehängt bekam.
Dieses wurde für rund eine Million mit 600.000 Euro Subvention hingestellt (zuzüglich jährlicher Unterstützung von gut 100.000 Euro) und es scheint auch nach über einem Jahr noch keinen spezifischen Programmzugang heraus gearbeitet zu haben. Mehr als die Hälfte des aktuellen Terminkalenders sind Proben eines hauseigenen „Südufer“-Chors oder Shows diverser Improtheater-Gruppen vorbehalten, einer spontanen Amateur-Spielart, die bis dato eher in Kleinkunstkellern und Kneipenbühnen verortet war.
Für Achim Könneke vom Kulturamt ist dieses offensichtlich fehlende Programmprofil, also die ausbleibenden Auftritte der rund 30 Theater- und Tanzgruppen, die das Haus hartnäckig gefordert hatten, kein Widerspruch: Er sieht das „Südufer“ als „Werkstatt“ und „Probebühne“, er spricht von einem „Labor“, sogar einem „Rückzugsort“ – aber auch der Möglichkeit, dass hier im Labor etwas entstehe, was dann später dazu führt, dass das E-Werk gegenüber einmal ein Standort für eigene Produktionen werden könne. Mit anderen Worten: Die Stadt ermöglicht für eine stattliche Summe Geld den Gruppen, dass sie sich – wovor auch immer – zurückziehen, um dann gegen weitere städtische Mittel an einem Ort auftreten zu können, der selbst keine Mittel für diese Art von Eigenproduktionen erhält.
Ein bisschen kommt einem das Ganze ohnehin als „Party like it’s 1999“ vor: Der Förderschwerpunkt von „Tanz und Theater“ mit uralten Raumproblemen und Konzepten hat längst ein Perpetuum Mobile erzeugt, bei dem keiner mehr fragt, ob die Stadt denn überhaupt einen Bedarf für die vielen Laborkünstler aus eigener Werkstatt hat, die hier mit einem ganz eigenen Lokal-Protektionismus die Bühne besetzen. Auf diese Weise ist das E-Werk zu einer Abspielstätte geworden, die kaum noch Gastspiele außerhalb ihrer Festivals zur Diskussion stellt, sondern die mehr oder weniger immer gleiche Abfolge von „Freunden des Hauses“ aus der Nachbarschaft.
Dass diese Förderung, die sich mehr um Räume als um Inhalte sorgt, so stattfindet, ist nicht nur der Funktionärsmentalität der freien Szene zu verdanken, sondern auch lokalen Medienvertretern, die das Mobile am Laufen halten. Das Kulturamt hat netzwerk südbaden auf Nachfrage die vermeintlich öffentliche Liste der Fachjury „Theater und Tanz“ herausgegeben, die „zum Schutz der Beteiligten“ dann doch nicht öffentlich ist. Darunter finden sich neben Experten von außerhalb eben auch freie Bühnen-Autoren der „Badischen Zeitung“. Und auch die fürs Theater zuständige festangestellte Redakteurin der BZ hat nicht nur in der Findungskommission der Stadt den neuen Intendanten mit ausgewählt, sondern ist auch auf Landesebene in der Jury des „Innovationsfond Kunst“ aktiv.
In der Theaterszene ist es zwar üblich, dass Experten von Medien beispielsweise das Berliner Theatertreffen inhaltlich zusammenstellen, aber auf lokaler Ebene mutet es ungewöhnlich an: ein kritisches Verhältnis zu einem Intendanten oder freien Theatergruppen zu finden, die man selbst mit Ämtern oder Geld ausgestattet hat. Man mag sich jedenfalls schwer vorstellen, wie ein inhaltlich dünnes Projekt wie „Die ersten Dietenbach-Festspiele“ des Stadttheaters von einer Redakteurin bewertet werden soll, die selbst für die Bezuschussung desselben mit 50.000 Euro gesorgt hat. Auf der grünen Wiese des frühestens 2020 in Betrieb gehenden Quartiers sollen „die zukünftigen Bewohner des Stadtviertels noch vor seinem Bau antizipiert“ werden.
Was so schlicht klingt wie ein Umtrunk auf einem Rohbau, ist ein beachtliches Beispiel für Förderirrsinn: „Interkulturell, intergenerationell und interdiszplinär“ ist das Exposé des Stadttheaters eingepreist und mit allerlei Jury-Schlüsselwörten von „Plattform“ bis „Selbstartikulation“ verhübscht.
Man kann es begrüßen, wenn Stadt und Land die Kultur mit vollen Händen fördern, hier und da Räume erschließen und zu „Selbstermächtigung“ (Dietenbach-Text) verhelfen. Es ist nur so, dass diese Förderung einer sehr gefilterten Klientel ganze Sparten vernachlässigt.
In Freiburg gibt es – gemeint ist der nicht-kommerzielle Bereich – fast jeden Abend popkulturelle Highlights von Bands aus Oslo, London, New York oder Wien, die die immer weniger werdenden Clubs bereichern. Sie werden von Leuten organisiert, die sich beachtlich in ihrer Branche auskennen, teilweise wahre Trüffelhunde für Kulturelles sind, aber jegliche Illusion über eine Projekt- oder institutionelle Unterstützung aufgegeben haben. Sie organisieren sich als e.V.s mit Mitgliedsbeiträgen wie der nur 100 Meter vom „Südufer“ entfernte „Slow Club“, oder nutzen als private Macher wie Alex Hässler oder Carmelo Policicchio diverse Haupt- und Nebenjobs zur Quersubventionierung eines Vergnügens für etliche tausend Menschen pro Woche – ohne einen Cent Miet- oder sonstigen Zuschuss.
Ein Haus wie das E-Werk könnten sie nutzen, wenn die Stadt Freiburg nur einmal den Blick auf ein vergleichbares Zentrum lenken würde, das keine 70 Kilometer entfernt liegt: In der Basler Kulturwerkstatt Kaserne findet seit mehr als 35 Jahren ein famoser Betrieb aus Tanz, Theater und Pop statt, dazu Diskussionen und eine Restauration, die deutlich mehr Bedürfnisse abdeckt als die E-Werk-Pausengastronomie. Wie alles in Basel findet dies auf einem deutlich höheren Finanzierungslevel statt, an der Modellhaftigkeit eines alternativen Dreisparten-Hauses für die Stadt Freiburg und ihr museales E-Werk ändert dies jedoch nichts.
Was die unabhängigen Popkultur-Macher angeht, sind sie letztlich jene, über die Achim Könneke sagt, dass sein Amt „keinen Vorschub für eine Prekarisierung der Kultur leisten“ möchte: Sie kämpfen für ihre Leidenschaft um Spielorte und Einnahmen. Allerdings hängt seine zuständige Behörde einem Kulturbegriff an, der das Popkulturelle in die Nähe zum Reich des Bösen rückt: „Im kommerziellen Bereich wird von uns nicht gefördert“ sagt er und drückt seine Hoffnung aus, dass eines fernen Tages neben der sogenannten Kreativwirtschaft auch die Subkultur noch bei der örtlichen Wirtschaftsförderung landen möge. Für den Wert von gerade mal zwei kleinen Theater- und Tanz-Förderungen bietet er immerhin Unterstützung beim Thema „Proberäume“ des Vereins „Popfrequenz“, 13.000 Euro jährlich.
Welche Wirtschaftskraft, kulturelles Kapital oder Lebensqualität die Stadt mit solchen Maßstäben alljährlich in den Wind schlägt, hat bisher noch niemand errechnet. Umso erstaunlicher, zumal die Kommune neuerdings mit der von ihr weitgehend ignorierten Musikszene auf die Suche nach neuer Attraktivität für angehende Beamte geht. Vorderstes Motiv ihrer „Wir lieben Freiburg“-Plakate sind nicht etwa die Bewegungssprache des zeitgenössischen Tanzes oder die Interaktionsflächen einer Violinen-Performance – sondern der in seiner Freizeit rockende Chef des Rechtsamts.