Kürzlich war in einer ganzen Reihe von Artikeln zu lesen, dass Tesla sich mit einem Trick die in Deutschland erhältliche Elektroautoprämie erschlichen haben soll. Die Prämie kann von Kunden beantragt werden, die den Kauf eines maximal 60.000 Euro (netto) teuren Elektro- oder Hybrid-Neuwagens in Erwägung ziehen. Tesla soll angeblich ein Basismodell ohne jedwede Extras unterhalb dieser Schwelle im Programm führen, das man in dieser Ausstattungsvariante de facto gar nicht ausliefern könnte.
Doch ganz egal wie viel von diesem Vorwurf sich letzten Endes bestätigt – die Anzahl an Schlagzeilen, die diese Meldung gemacht hat, zeigt vor allem eines:
Dass bestimmte Lager nach Negativschlagzeilen über Tesla nahezu gieren. Jeder Quartalsverlust, jede Produktionsverzögerung wird ausgeschlachtet, jede Meldung über ein fehlerhaftes Model S oder X gefeiert. Warum? Unter anderem, weil Teslas CEO nicht unbedingt ein Leisetreter ist.
Er polarisiert. Mit unorthodoxen Ansichten. Und unerhört vollmundigen Versprechen. Viele würden ihn allein deshalb gerne scheitern sehen. Doch wenn man sich von der wirklich nicht unbedingt nüchtern-sachlichen PR des Unternehmens weder blenden noch abschrecken lässt, bleiben jenseits der großen Elon-Musk-Show Fakten übrig, die durchaus eine neutrale Betrachtung wert sind.
Da wäre zunächst die Tatsache, dass Tesla mit dem Model S als erster Anbieter überhaupt ein rein elektrisch angetriebenes Serienauto im Premiumbereich etabliert hat. Wenn Top-Manager einschlägiger Autogiganten jüngst tönten, dass der Durchbruch neuer Technologien „nicht von den Ankündigungsweltmeistern“, sondern mit denen komme, die „eine neue Technologie in relevanten Stückzahlen auf die Straße“ bringen, dann war dies eigentlich als Spitze gegen Tesla gedacht.
Allein: Über 25.000 verkaufte Einheiten auf dem US-amerikanischen Markt bedeuteten 2015 einen Markanteil von 25 Prozent im Luxussegment. 2017 wird man diese Vormachtstellung wieder bestätigen. Die Stückzahlen lassen sich, bezogen auf die mit den Modellen S und X anvisierte Marktnische, durchaus als „relevant“ einstufen. In Deutschland ist man von jedweder Vormachtstellung noch ein paar Welten entfernt. Alarmiert sollten deutsche Premiumanbieter aber dennoch sein, besonders, wenn man einen Blick auf die Nachbarn in der Schweiz wirft. Nicht von ungefähr unterhält Tesla in dem flächenmäßig kleinen Land gleich 15 Stores und Servicecenter (Deutschland kommt bei neunfacher Fläche auf gerade mal 28).
Auch andere Zahlen sprechen für sich: Tesla wird bei den Eidgenossen 2017 vermutlich das dritte Jahr in Folge mehr Einheiten absetzen als BMW, Mercedes-Benz und Audi mit ihren jeweiligen Flaggschiffen (7er, S-Klasse, A8) zusammen.
Allein mit dem Modell S – und ungeachtet der Tatsache, dass zwei der Konkurrenten (Audi und BMW) in diesen Jahren jeweils mit einem runderneuerten Modell ins Rennen gingen (Tesla bietet das Model S seit 2012 vergleichsweise unverändert an). Wie hoch der Anteil an deutschen Käufern in den von Deutschland aus durchaus bequem erreichbaren Storen in Zürich (drei) und Basel (zwei) liegt, ist bis dato nicht belegt.
Selbst wenn Tesla die selbst gesetzten Ziele von erstmals sechsstelligen Verkaufszahlen 2017 nicht ganz erreichen sollte, ist und bleibt die Geschichte um die Modelle S und X ein Erfolg, der gerade in Relation zu vergleichbaren Versuchen Respekt einfordert. Man bedenke: 2001 schickte sich der weltweit drittgrößte Autohersteller an, das Luxussegment mit einem eigenen Premiummodell aufzumischen. 20.000 Einheiten pro Jahr wurden als Ziel angekündigt, hergestellt in einer „Gläsernen Manufaktur“.
Fünfzehn Jahre später proklamiert ein gewisser Matthias Müller in seiner Funktion als VW-Vorstandsvorsitzender dann das Ende der Phaeton-Ära, nachdem in kaum einem Jahr auch nur ein Drittel der angestrebten Absätze erreicht werden konnten. Es ist derselbe Herr Müller, der ein Jahr später den wenig schmeichelhaften Begriff des „Ankündigungsweltmeisters“ prägen wird – ironischerweise in Bezug auf ein Unternehmen, das seit gut drei Jahren genau das schafft, was Volkswagen 15 Jahre lang vergeblich versucht hat.
Ganz nebenbei hat VW aufgrund der hohen Entwicklungskosten mit dem Phaeton Verluste eingefahren, die sämtliche Tesla-Zahlen bequem in den Schatten stellen. Es fiel, unscheinbar eingebettet in den gewaltigen Umsatz der Volumenmodelle, einfach nur viel weniger auf. Stichwort Volumenmodelle: Die Anlaufschwierigkeiten in der Produktion des neuen Model 3 sind etwas, mit dem sämtliche Brancheninsider insgeheim gerechnet haben (Phaeton lässt – mit 371 statt 20.000 Einheiten im ersten Produktionsjahr – abermals grüßen). Eher unwahrscheinlich ist, dass Tesla die Kinderkrankheiten nicht halbwegs zeitnah in den Griff bekommt. Ob das Unternehmen mit dem Model 3 dann tatsächlich seine „AmazonÄra“ oder seinen „iPhone-Moment“ erlebt und die Branche auf Jahre in der Breite prägen wird, bleibt abzuwarten.
Der Automarkt ist komplexer als die Mobilfunkbranche – und noch stärker als diese geprägt von Emotionen und anderen weichen Faktoren beim Kaufentscheid. Wobei man gestehen muss: Es gibt wenige Autos, die auf emotionaler Ebene eine breitere Klaviatur spielen können als die derzeit erhältlichen Teslas. Kleine Jungs bekommen beim Öffnen der Model-X-Flügeltüren leuchtende Augen, gestandene Männer werden bei durchgedrücktem „Gas“-Pedal wieder zu Kindern. Die 2,7 Sekunden, die ein Model S P100D von Null auf Hundert km/h benötigt, müssen schlicht und ergreifend erlebt werden.
Das Spektakel spottet jeder Beschreibung – und ist sicherlich ein Grund dafür, dass Tesla seit jeher keinen Cent für klassische Werbung ausgibt. Ob vor diesem Hintergrund das mutmaßliche Ergaunern einer staatlichen Förderprämie ins Marketingprofil passt? Bei einem Auto, dessen Anschaffungsgründe zu gefühlten 95 Prozent auf Weltanschauung, Geltungsbedürfnis und Spieltrieb herunter zu brechen sind? Zweifel dürfen hier zumindest angemeldet werden.