Burkart Knospe, Chef des Messtechnik-Produzenten Testo im Schwarzwald, erklärt wie sein Unternehmen sich gerade verändert, was die Digitalisierung daran für einen Anteil nimmt. Und warum er wieder Vertrauen in die Politik gewonnen hat.
Interview: Rudi Raschke und Daniel Schnitzler
Das vergangene Jahr war kein gewöhnliches für Sie, weil es zugleich 60 Jahre Testo bedeutete – wie blicken Sie darauf zurück?
Unser Ballonfestival zum Jubiläum wurde zwar vom Winde verweht, aber wir hatten viele gelungene Events. Wir wollten ganz bewusst nicht nur einen großen Termin, sondern etwas für Mitarbeiter mit Familien bieten und auch für die Öffentlichkeit – insofern glaube ich, dass wir das gebührend gefeiert haben. Der andere Aspekt ist, dass wir wieder ein Wachstum verzeichnen dieses Jahr, es wird irgendwo zwischen fünf und zehn Prozent liegen, vermutlich bisschen näher an den fünf Prozent. Für uns ganz in Ordnung, weil wir 2017 eher mit Produkten arbeiten mussten, die wir schon ein oder zwei Jahre haben. Die Innovation sorgt erst 2018 wieder für mehr Rückenwind.
Was zeichnet die Marke Testo aktuell aus?
Dass das, was unsere ganzen unterschiedlichen Anwendungen über die verschiedenen Branchen hinweg verknüpft, für unsere Kunden ein Gefühl der Gewissheit bedeutet. Wer misst, möchte sichergehen. Das ist das Grundsätzliche. Wer sich für Messtechnik, Mess- oder Monitorsysteme von uns entscheidet, will eine Klarheit bekommen, Transparenz, und das ist das, was die Marke sehr gut liefert. Das klingt vielleicht nicht sexy, ist aber verlässlich.
In der Region kennt man Sie durch das Sponsoring beim SC Freiburg, wo Testo Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Stadion ermittelt, sowie vom Zelt-Musik-Festival, dort geht es um den Applauspegel. Sie dürften der bekannteste Messtechniker der Region sein, aber wie viele Menschen kommen mit Ihren Produkten in Berührung?
Etwa ein Prozent der Bevölkerung könnte beruflich etwas mit uns zu tun haben und unsere Geräte einsetzen, aber für 99 Prozent der Bevölkerung haben wir kein wirkliches Produkt zu bieten. Unser Sponsoring ist deshalb komplett auf die Arbeitgebermarke ausgerichtet. Das heißt, wir machen nur Sachen in der Region, wo wir uns einen positiven Transfer für die Personalsuche versprechen, alles andere verzeichnen wir als Spenden und reden auch nicht groß darüber.
Wie schwer fällt es Ihnen als Arbeitgebermarke in der Region? Es ist ohnehin hart, Fachkräfte im Schwarzwald zu kriegen, das haben Sie hin und wieder betont. Und es gibt hier scheinbar einen größeren Markt rund um Messtechnik. Was ist da schwieriger: Die Leute für die Region zu begeistern oder zu verhindern, dass sie zu den Mitbewerbern gehen?
Es ist sicher positiv, dass deutlich mehr Leute aus der Region für uns ihren Arbeitgeber verlassen, als dies andersrum der Fall ist. Natürlich sind nur drei Prozent Arbeitslosigkeit auf dem Land aus unserer Sicht eine grundsätzliche Herausforderung. Noch dazu in unserer Entfernung zur Stadt: Schon bei kleineren Mengen Schnee ist das Höllental dicht, sobald die ersten LKW ohne Schneeketten quer stehen. Auch mit der großen Sanierung der Bahn im nächsten Jahr rücken wir zeitlich gesehen wieder weiter weg von der Stadt Freiburg, wo eine Menge unserer Mitarbeiter herkommt. Das sind gravierende Nachteile. Und das letzte, was die Region möchte, ist, dass sich alle Arbeitsplätze auf die Stadt Freiburg konzentrieren, denn das würde letztendlich hier die Ortschaften und Dörfer leerfegen. Nur sollten dafür auch die Verkehrsadern dementsprechend zur Verfügung gestellt werden.
Trotzdem ist Ihr Bekenntnis zum Standort unübersehbar. Hier in Titisee drehen sich die Kräne gerade für den zweiten Bauabschnitt, der Platz für weitere 300 Stellen schafft.
Ja, aber zeitgleich haben wir uns entschieden, die Entwicklung von cloudbasierter Software nicht nur hier aufzubauen, weil wir wissen, dass wir die Leute dafür nicht herkriegen. Für die Software- Entwickler haben wir einen Standort in Berlin eröffnet. Wieviele sind es dort aktuell? Es sind jetzt über 40 und das wird sicherlich im nächsten Jahr über 50 gehen. In Berlin finden wir die benötigten Fachkräfte.
Obwohl es gerade dort unter Entwicklern eine ähnliche Konkurrenz geben dürfte wie bei den Messtechnikern hier, oder?
Natürlich gibt es eine ganz große Szene, aber wir haben auch ein richtig attraktives Paket. Zum einen suchen wir niemanden für die nächste Preissuchmaschine, da fangen die Leute mittlerweile an zu
gähnen. Sondern wir machen Software, die Kunden im Lebensmittelbereich dabei hilft, Qualitätsprozesse und Produktqualität sicherzustellen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man letztendlich dazu beitragen kann, dass weniger Menschen lebensmittelbedingt erkranken oder gar sterben. Das zweite ist: es ist keine typische Startup-Situation, sondern ein seriöses mittelständisches Unternehmen mit 60 Jahren Geschichte und noch vielen spannenden Jahren vor sich. Das ist auch in der Großstadt attraktiv. Deshalb scheuen wir den Wettbewerb nicht.
Wie hat man sich das Startup-Ambiente bei Testo in Berlin vorzustellen? Dann eher ein bisschen geregelter, ohne leere Pizzaschachteln auf dem Fensterbrett?
Kein Hinterhof und keine Sofalandschaft, aber modern eingerichtet und nahe der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Charlottenburg. Wir haben uns ganz bewusst dagegen entschieden,
unbedingt eine Startup-Atmosphäre zu schaffen, die den Unterschied zwischen Schwarzwald und Berlin zu groß werden ließe. Wir wollen die Gemeinsamkeiten in den Kulturen leben.
Liegt die Zukunft für Testo noch in der klassischen Ingenieurs- und Handwerksleistung oder ist es vermehrt die App-Entwicklung?
Wir haben vor vier, fünf Jahren erkannt, dass das Messgerät an und für sich nur einen kleinen Teil dessen löst, was der Kunde an eigentlichem Bedarf hat. Wer misst, möchte in der Regel die Daten haben. Das war eine Erkenntnis, die ich in einem Gespräch mit IBM-Managern gewonnen habe, dass Messdaten eben auch Daten sind. Damit wäre Testo voll und ganz im Thema Internet der Dinge, Industrie 4.0, Big Data mit drin. Und unsere Wettbewerber wären in Zukunft auch Google etc. Darüber haben wir viel nachgedacht und festgestellt, dass wir an uns auf jeden Fall den Anspruch stellen, einen größeren Anteil an der Lösung des eigentlichen Problems des Kunden zu haben: Neben der Datengenerierung auch die Datenverarbeitung für den Kunden so vorzunehmen, dass der eigentliche Grund für die Messung auch bedient wird. Daraus ist ein zweites Geschäftsmodell für uns entstanden, das „Solutions“ heißt. Auf diese Weise können wir heute bei großen professionellen Unternehmen, beispielsweise Restaurant-, Lebensmittel oder Supermarktketten, deren Quality Monitoring letztendlich komplett lösen und damit einen großen Wert stiften mit Blick auf verlässliche Produktqualität.
Bleiben Sie damit im Schwarzwald konkurrenzfähig, zum Beispiel gegenüber Anbietern in Billig-Lohn-Ländern?
Was wir hier im Schwarzwald nach wie vor können, ist Sensorik, wir haben 60 Jahre Erfahrung damit und das ist eine Stärke, die andere Unternehmen, die vielleicht mehr aus der Programmierung kommen, nicht haben.
Die Gefahr von Kopien Ihrer Hardware spielt hier keine große Rolle mehr?
Die war bei uns noch nie so stark ausgeprägt. Für Firmen, die Plagiate bauen wollen, sind wir generell kein typischer Markt. Einfach aus zwei Gründen: Erstens ist die jeweilige Nische des Produktes zu klein. Zweitens sind die Produktlebenszyklen zu kurz. Daher lohnt die Anstrengung in der Regel nicht. Aber wir setzen auch in der Messtechnik Trends und schaffen neue Produktklassen. Zum Beispiel die Smart-Probes, kleine Fühler, die über Bluetooth mit dem Smartphone verbunden werden, aber nicht irgendwelche Spielereien darstellen, sondern hochklassige Sensoren und professionelle Fühler sind.
Um das Jahr 2014 herum haben Sie mit einem Rückgang beim Umsatzzuwachs erkannt, dass Sie regelmäßigere Innovationen benötigen, um Ihr Wachstum abzusichern.
Ja, das hatte sicherlich verschiedene Gründe, trotzdem leben wir sehr stark von Innovationen und wenn die über ein, zwei Jahre ein bisschen dünner sind, ist das Umsatzwachstum heute sofort schwächer. Wir sind damals nicht geschrumpft, aber es sind eben plötzlich nur zwei Prozent Plus gewesen und das ist für uns natürlich enttäuschend. Wir wissen, dass Innovation uns in den Märkten hilft, wir wissen auf der anderen Seite aber auch, dass sich diese Märkte stark verändern. Der persönliche Kontakt zwischen dem Verkäufer von Testo und dem Kunden ist nur noch ein Bruchteil dessen, was er einmal war. Wir müssen uns darauf einstellen, dass viel mehr über die digitale Kommunikationsebene geht.
Auch in Ihrer Branche, die ein Business-to-Business-Geschäft ist?
Ja, und das fällt sehr erfahrenen Vertriebsverantwortlichen schwer zu akzeptieren: dass der Großteil unserer Umsätze heute ohne einen persönlichen Kontakt getätigt wird. Dass sich die Kunden im Internet für die Entscheidung vorbereiten und dann eine Entscheidung treffen, die sie gar nicht mitbekommen.
Das findet auch in Ihrem ein-Prozent-Markt wie bei ganz gewöhnlichen Konsumenten statt?
Es geht nur noch so. Wir machen mittlerweile Facebook-Ads, wir stellen um auf das Thema Marketing-Automation, also voll mit der Website integrierte Kampagnen, Maßnahmen, um Kunden regelmäßig anzusprechen. So gesehen sind wir auch kein ganz kleiner Markt – wenn Sie ein Prozent der Bevölkerung ansprechen, dann sind das allein in Deutschland 800.000 Menschen. Und wenn Sie den US-Markt nehmen, dann rechnen Sie mit über drei Millionen. Insofern gelten hier komplett die Gesetzmäßigkeiten, die man vom Massenmarketing kennt. Tendenziell hat diese Digitalisierung des Marketings und des Vertriebs für uns erst mal Nachteile gebracht, weil wir früher sehr etablierte Beziehungen hatten. Und wie kann man diese Vertrauenswürdigkeit ins Web hinüberretten? Das ist schwer. Was zählt in einem Massenmarkt im Web? Da zählt eine Überschrift, da zählt ein Preis und da zählen vielleicht noch ein paar Sterne, egal, wie die erst einmal zustande kommen.
Betrachten Sie Testo vor diesem Hintergrund nach wie vor als Schwarzwälder Unternehmen?
Ich glaube, wir fühlen uns erst einmal als ein starkes, technologiebasiertes Familienunternehmen. Das Wichtige ist aber, dass es nicht nur Wurzeln gibt, sondern dass man weltweit versteht, wie sich Märkte unterscheiden. Wurzeln ja, Provinzialität nein.
Was das Nicht-Provinzielle angeht: Sie haben vergangenes Jahr nicht nur außerordentliches Engagement gezeigt für erkrankte Mitarbeiter, sondern auch für Flüchtlinge – wie kam es dazu?
Wir sind 60 Jahre alt geworden, uns geht es richtig gut als Unternehmen, die Zukunft sieht gut aus, aber es geht eben nicht überall so. Neben den Charity-Läufen mit weltweitem Kilometersammeln für einen guten Zweck, haben wir einfach noch etwas Anderes versucht: Dieses „wir schaffen das“ der Kanzlerin auch ein bisschen im kleinen regionalen Bereich zu unterstützen und tatsächlich was zu schaffen, was diese etwas leere Versprechung ein bisschen mit Substanz füllt. Letztlich sind da Leute, die sind anerkannt, es ist gerechtfertigt, dass sie hier Schutz gefunden haben in dieser Gesellschaft. Lass uns dafür sorgen, dass sie nicht ein Fremdkörper bleiben, sondern sie über den Arbeitsmarkt letztendlich integriert werden in die Gesellschaft. Das war der ausgesprochen unpolitische Ansatz, mit dem wir darangegangen sind.
Wie sieht Ihr Aktionsradius als Vorstand aus? Neben Titisee, Lenzkirch und Berlin hatten Sie ja die weltweiten Standorte bereits angesprochen.
Ich würde sagen, dass ich in der Größenordnung zwischen 45 und 60 Tagen jährlich unterwegs bin. Durch das Thema „Kunden weltweit“ wächst das gerade noch.
Bleibt Ihnen noch Zeit für Ihren Einsatz für Kulturelles oder Bildung? Vor zwei Jahren haben Sie turnusgemäß den Vorsitz des Freiburger Uni-Beirats abgegeben. Wie viele Ämter üben Sie noch aus?
Ich bin noch in zwei Beiräten, darunter das Kuratorium des Walter- Eucken-Instituts. Aber insgesamt habe ich mich 2015 ganz bewusst entschieden, dass ich das, was ich jetzt an Kraft habe, nunmehr in die Firma stecken werde.
Was war der Anlass?
Dass Testo einfach im Moment in dieser ganz entscheidenden Phase ist: Wie entwickeln wir uns von der Old Economy in die Digital Economy hinein? Und das ist letztendlich eine Aufgabe, bei der ich sage, hier sichere ich die Zukunft des Lebenswerks meines Vaters und von mir.
Sehen Sie diese Schwelle als zusätzliche Erschwernis bei der Übergabe von Familienunternehmen?
Das Thema Industrie 4.0 und Internet of Things ist für viele Unternehmen nicht nur ein wichtiger neuer Impuls, sondern komplett geschäftsmodellverändernd. Das bedeutet in vielerlei Hinsicht „vollständig umbauen“: Wo wir vorher brave Analogingenieure hatten, haben wir heute Leute, die programmieren. Im Vertrieb ist das eine völlig neue Denke. Und was Qualität angeht auch. Wir gehen jetzt davon aus, dass wir in vielen Fällen, vom niedrigen Prozentbereich, in den parts-per-million-Bereich beim Messen kommen, also Anforderungen an Produkte haben ähnlich denen in der Automobilindustrie.
Wie sieht Ihr Ausblick für die Konjunktur am Standort Südbaden für kommendes Jahr aus? Was könnte die Region hart treffen, was wird ihr zugutekommen?
Ich fange mal so herum an: Ich glaube, dass wir auch in 2018 ein Jahr der Arbeitsmarktüberhitzung haben werden, das setzt sich fort…
… also zu wenig Arbeitskräfte zur Verfügung stehen?
Ja, genau. Das ist natürlich nur deshalb der Fall, weil wir in der Industrie keine konjunkturelle Delle erleben werden, da bin ich relativ sicher. Und das wird sich insbesondere auf die exportierenden Industrieunternehmen und die Automobilzulieferer in der Region auswirken und deswegen auch auf den Arbeitsmarkt. Das ist für uns als Arbeitgeber nicht ganz so glücklich, weil wir müssen ja schließlich hier nebenan 300 Leute reinbringen. Aber es ist natürlich gut für die Region –Vollbeschäftigung bedeutet Sicherheit und ein sauberes Einkommen.
Und wenn Sie weiter blicken, was das Weltpolitische bringt für Südbadens Wirtschaft?
Wir haben ein paar interessante Entscheidungen wie den Brexit gesehen, die sicherlich auch verstören können und da zeigt sich jetzt eine für mich eine neue Robustheit der Wirtschaft. Ich glaube, wir leben gerade in Zeiten, in denen sich die Wirtschaft ein wenig unabhängiger macht von schlechten Nachrichten aus der Politik. Auch dass sie an und für sich so eine Kraft des Ignorierens von politischen Meldungen hat, die letztendlich keine wirkliche Auswirkung mehr haben. Das sehen wir nicht nur in Deutschland, sondern in vielen starken Volkswirtschaften. Ich finde das erstmal gut.
Wie bewerten Sie als Unternehmer fern von Washington, Brüssel oder Berlin Grün-Schwarz im Land?
Ich habe viele Politiker kennengelernt in den letzten fünf Jahren, von denen ich sage, dass sie sehr seriös arbeiten. Denen es nicht darum geht, jeden Tag fünf Mikrofone zu bedienen und vor fünf Kameras stehen zu dürfen, sondern einen guten Job zu machen. Und das hat mich sehr beeindruckt, dass eben Politik nicht nur ein Showgeschäft ist, sondern für viele bedeutet, redlich, sauber zu sein, sich in die Probleme hinein zu arbeiten, zu vermitteln, Kompromisse zu prüfen. Und das fand ich sehr beeindruckend.
Weitere Prognosen, bitte: Packt es „Ihr“ SC Freiburg 2018?
Haha! Ich sage immer: man kann die Kompetenzen eines Menschen daran erkennen, ob er auch auf Fragen antwortet, für die er erstmal grundsätzlich nicht so viel Kompetenz hat. Und deswegen glaube ich nicht, dass ich in irgendeiner Form geeignet dazu bin, das mit höherer Kompetenz zu beurteilen als Sie beide. Mein Herz sagt ja. Mein Verstand hätte Ende November noch nein gesagt.