Der Messtechnikspezialist Testo fördert Quereinstiege in technische Funktionen und hat seit Kurzem auch wieder eine Frau im Vorstand, die als Vorbild taugt.
VON KATHRIN ERMERT
Das Timing war passend. Am 7. März hat Antje Leminsky ihren Vorstandsposten in Titisee angetreten, einen Tag später, am Weltfrauentag, lud sie zehn Kolleginnen zu einem Führungszirkel mit dem Thema „Frau und Technik“ ein. Als Industrieunternehmen spielt Technik natürlich eine herausragende Rolle für Testo. Außerdem will der Messtechnikspezialist Frauen generell sowie speziell in technischen und Führungspositionen stärken. Die Methoden, wie er das tut, haben allerdings wenig mit klassischer Frauenförderung zu tun. Die meisten Ansätze zielen auf eine wertschätzende und motivierende Personalarbeit für alle Beschäftigten. Und passen damit gut zur neuen Personalvorständin.
Für Antje Leminsky, 51, spielte das Geschlecht nur die Nebenrolle in ihrem Werdegang, den man getrost als Erfolgskarriere bezeichnen kann: Mit 31 leitete die aus Rostock stammende Wirtschaftswissenschaftlerin als CIO die IT- und Digitalentwicklung von Gruner&Jahr, die gleiche Funktion übernahm sie später beim Otto-Versand, mit 41 Jahren kam sie in den Vorstand des Leasingunternehmens Grenke in Baden-Baden, dessen Vorstandsvorsitzende sie bis Ende 2021 war.
„Teilzeit ist kein exklusives Frauenthema.“
antje Leminsky, stellvertretende Testo-Vorstandsvorsitzende
Kompetenz, Gestaltungswille und Persönlichkeit sieht Leminsky als wesentliche Treiber ihrer Laufbahn. Das Frausein hat einmal geholfen – der Grenke-Aufsichtsrat präferierte 2012 ein weibliches Vorstandsmitglied –, ansonsten war es egal, und geschadet hat es nie. Ein roter Faden, der sich durch all ihre Tätigkeiten zieht, ist das starke Frauenbild, das ihre männlichen Vorgesetzten prägte. Sie stieß selten auf tradierte Rollenvorstellungen, musste sich nicht schon im Bewerbungsgespräch besorgte Fragen nach der Betreuung ihrer zwei Söhne anhören.
Die Kompetenz zählt
Auch bei Dörte Witkovsky haben die Menschen in ihrem beruflichen Umfeld ihren Weg geprägt. „Ich hatte immer Kollegen, von denen ich mir Sachen erklären lassen konnte“, sagt die 42-Jährige, die seit drei Jahren das Customer-Relationship-Management (CRM) bei Testo leitet. So ist die Geisteswissenschaftlerin in die IT-Projektleitung gekommen und damit auch ein Beispiel, dass Testo Quereinstiege fördert. Witkovsky hat in Dresden Angewandte Linguistik, Amerikanistik und Geschichte studiert. Ihren Schwerpunkt legte sie auf Unternehmenskommunikation und verknüpfte ihre Magisterarbeit mit einem Projekt bei einer Digitalagentur. Es ging darum, Inhalte auf Websites barrierefrei, also auch für Menschen mit Einschränkungen zugänglich zu machen. Ein sanfter Einstieg in die IT.
„Das digitale Umfeld bot mir die Möglichkeit, Kommunikation vielschichtig zu gestalten“, sagt Witkovsky. Ähnlich wie bei den unterschiedlichen Agenturen, für die sie tätig war, arbeitet sie auch jetzt bei Testo eng mit den Entwicklern und IT-Spezialisten zusammen. „Es braucht jemanden, der sowohl die Sprache des Fachbereichs als auch der IT spricht und Anforderungen in beide Richtungen formulieren kann“, sagt die Expertin für Unternehmenskommunikation. „Wenn etwas hakt, ist es meistens nicht das Projekt selbst, sondern die unklare Kommunikation.“
Als sie sich für die CRM-Leitung bewarb, wusste Witkovsky, dass sie mit Themen in Berührung kommt, die sie noch nicht kennt und bei denen sie Unterstützung braucht. Aber das habe ihr keine Angst gemacht. Denn schon im Bewerbungsgespräch hatte sie das Gefühl: Da hat jemand meinen Lebenslauf wirklich gelesen und weiß, was ich kann. „Es stärkt mein Selbstbewusstsein zu wissen, dass meine Kompetenzen gesehen werden. So kann ich überzeugt auftreten, fühle mich sicher in meiner Rolle im Unternehmen und mit meinen Aufgaben“, sagt Witkovsky.
Testo investiert in diese Richtung, unter anderem in Mentaltrainings für Führungskräfte, und bietet unterschiedliche Mentorenprogramme an. Das Thema Frauen spielt dabei im positiven Sinne keine Rolle – die Angebote sind geschlechterübergreifend. Laut Dörte Witkovsky zahlt sich das Engagement aus. Sie erlebe viel Verständnis, auch für die Vereinbarkeit ihrer beruflichen Tätigkeit mit ihrem Privatleben. „Zu wissen: Das Unternehmen findet mit mir eine Lösung und unterstützt mich in der Umsetzung – das zeichnet Testo aus“, sagt sie.
Geöffnete Türen
Antje Leminsky weiß, wie wichtig die Unternehmenskultur ist, um weibliche Karrieren zu ermöglichen. Dass auch männliche Vorgesetzte ihren Kolleginnen das entsprechende Gefühl geben müssen. Für ein Industrieunternehmen sei Testo vergleichsweise sehr gut aufgestellt. Der Frauenanteil der rund 1400 Beschäftigten in Südbaden liegt bei 40 Prozent, viele Frauen arbeiten auch wie Dörte Witkovsky in leitenden Funktionen.
Die nötigen Rahmenbedingungen, beispielsweise die Unterstützung bei der Kinderbetreuung, sieht die neue Frau im Testo-Vorstand aber geschlechtsunabhängig. Und auch Teilzeit sei kein exklusives Frauenthema, sagt Leminsky. Das beobachtet sie bei den älteren und vor allem bei den jungen Kollegen. Sie will Frauen wie Männern Freude an der Arbeit vermitteln, Freude an der inhaltlichen Herausforderung herausstellen und Freude an der Wirkung, die man erzielt.
Antje Leminsky weiß aber auch, dass Frauen nicht immer durch die Türen gehen, die man ihnen öffnet, weil es immer irgendeinen Grund gibt, der dagegen spricht. Sie selbst hätte zum Beispiel den Vorstandsposten in Titisee ablehnen können, weil ihre beiden Söhne in Baden-Baden bleiben und dort zur Schule gehen. Beide stecken mitten in der Pubertät. „Da kann ich natürlich sagen, in dieser schwierigen Lebensphase muss ich hundert Prozent präsent sein. Oder ich sage: Ich vertraue meinem Mann, der diese Rolle sehr gut ausfüllt, wenn ich nicht zuhause bin.“ Fragen nach der Vereinbarkeit von Karriere und Familie, die nur Frauen in Führungspositionen gestellt werden, nerven sie grundsätzlich nicht. Aber sie findet die Reihenfolge der Fragen entscheidend. Zum Schluss darf es auch um solche Themen gehen. Wenn es der Einstieg in ein Interview ist, sagt das ihrer Meinung nach viel über den Journalisten aus. Es sei denn, es geht explizit um das Thema, das sie auch gezielt unterstützt. Vor einigen Wochen erst hat sie zum Beispiel einer deutschen Doktorandin aus Oxford zugesagt, die eine Studie zum Thema Vereinbarkeit plant. „Natürlich nehme ich an solchen Studien teil – weil die eigene Erfahrung auch anderen weiterhilft“, sagt Leminsky.