Eine Klinik, in der sich Patienten wohl fühlen und ganzheitlich behandelt werden, ist selten geworden – die Bad Säckinger Sigma-Klinik stellt eine Ausnahme dar, die sich dem Druck im Gesundheitswesen zum Wohl psychisch Erkrankter widersetzt.
Von Rudi Raschke
Was im Jahr 2000 mit gerade einmal 12 Patienten in einer einstigen Physio-Reha begannt, ist heute ein namhaftes Haus mit Platz für 155 stationäre Patienten – dieses Jahr kam ein Früherkennungszentrum für seelische Störungen hinzu.
Das Zentrum in einer einstigen Villa stellt eine deutschlandweit einmalige Einrichtung dar:
Es bietet eine niedrigschwellige Erstberatung, gerade für Menschen, die einem möglichen Burnout vorbeugen und ihn rechtzeitig erkennen wollen. Damit beteiligt sich die Sigma-Klinik an einer umfassenden Prävention, bietet aber auch eine besondere Diagnostik:
Aus ganz Baden-Württemberg, teilweise auch aus der benachbarten Schweiz reisen Patienten an, die dieses Angebot in Anspruch nehmen. Die Diskretion und die Terminfindung (auch an Samstagen) sind dabei hilfreich, ein psychischer wie physischer Check bietet eingehende Erkenntnisse – durchaus auch für Manager, die kurz vor dem Zusammenbruch stehen.
Die Früherkennung wurde vergangenes Jahr beschlossen und dieses Jahr eröffnet. Es stellt eine in jeder Hinsicht naheliegende Ergänzung zum bestehenden, ganzheitlichen Sigma-Konzept dar, das ebenfalls seinesgleichen sucht:
In einer Klinik mit drei Abteilungen kommen jeweils 50 Patienten in familiärem Rahmen zusammen, 15 Patienten finden in der Tagestherapie Platz. Die Unterbringung erfolgt in Einzelzimmern, das Haus bietet Menschen in psychischen Ausnahmesituationen die Annehmlichkeiten einer Hotelunterbringung statt einer Spital-Abfertigung.
Das griechische Summenzeichen Sigma, dass für den Geschäftsführenden Ärztlichen Direktor Prof. Christoph Bielitz die Gesamtheit aller Ansätze zur psychotherapeutischen Behandlung verkörpert, steht für eine auf den Patienten individuell abgestimmte und multidisziplinäre Herangehensweise.
Sowohl Bielitz als auch sein für die Unternehmensentwicklung zuständiger Kollege Prof. Wolfram Schottler legen Wert darauf, dass hier nicht streng nach Lehrmeinung, sondern mit vielfältigen Methoden behandelt wird.
Beide verbergen sich nicht hinter medizinischen Fachbegriffen, sondern erklären ihr Haus mit einfachen, eindrucksvollen Beispielen: Als Beleg für den multifaktoriellen Ansatz zählen sie auf, dass Ihr Haus das einzige sei, dass auch für Diabeteskranke Patienten geeignet ist. Rund ein Drittel der Patienten sei davon betroffen, sagt Schottler, eine richtige Einstellung befördere auch die eigentliche Psychotherapie. Die Sigma-Klinik fällt mit einer Vielzahl von Angeboten auf: Musik-, Bewegungs- und Kreativ-Therapie gehöre dazu, Esoterik dagegen nicht. Fachlich wird je nach Bedürfnissen mit Verhaltens-, Psycho- oder systemischer Therapie gearbeitet, für das beruhigende Setting sorgen neben Konzertabenden oder Lesungen auch ein Schwimmbad und Kunst.
Aber auch das Genussmoment, sagt Schottler: Zur Kommunikation gehört das gemeinsame Mittagessen, das Mitarbeiter und Patienten in lichtdurchfluteten Sälen fern vom Kantinen- Ambiente einnehmen. Mit der inhaber-geführten Einrichtung, das erklären Bielitz und Schottler ebenso deutlich, stemme man sich erfolgreich gegen die „Daumenschrauben“ mancher gesetzlichen Krankenversicherung. Die Erlöse seien zwar gedeckelt, sagt Schottler, aber man wehre sich sowohl gegen Übernahmen durch „Medizin-Heuschrecken“, als auch gegen die „Drei-Minuten-Schnelldiagnose“, wie sie vielerorts an der Tagesordnung sei. Es handele sich sehr wohl um ein Unternehmen, fährt Schottler fort, aber der karitative, humanitäre Aspekt stünde gleichermaßen im Vordergrund des Sigma- Handelns. Damit behalte man gegenüber traditionellen Häusern die Nase vorn und könne sich Zeit nehmen – die meisten Patienten sind minimum vier bis sechs Wochen vor Ort, bei manchen dauert die Therapie auch Monate. Innovation im therapeutischen Angebot ist das eine, zum Wohlbefinden des Patienten kommen:
Mit guter Weiterbildung, einem wertschätzenden Klima, aber auch Innerund Supervision ist das Haus trotz direkter Nähe zur medizinisch lukrativeren Schweiz ein attraktiver Arbeitgeber – auch Rückkehrer von der anderen Rheinseite gehören zu den Angestellten, auf deren Work- Life-Balance ebenfalls geachtet wird. Was selbstverständlich in so einer Einrichtung klingt, es aber oft nicht ist. Die beachtliche Anzahl von 240 Mitarbeitern kümmert sich um rund 150 Patientenplätze, die mit Ausnahme von ein paar freibleibenden Akut-Betten zu 95 Prozent ausgelastet sind.
Die Patienten- wie Mitarbeiterzufriedenheit sei gleichermaßen hoch, sagt Prof. Bielitz, der das medizinische Konzept verantwortet und zugleich Inhaber ist. In einer grundlegenden Reform hat er vor fünf Jahren das Konzept noch einmal neu ausgerichtet: Indem mit Qualitätssicherung und Evaluation modernen Erkenntnissen Rechnung getragen, die digitale Krankenakte eingeführt und die Evidenz, also die Wirksamkeit der Behandlung, überprüfbarer gemacht wurde. „Was wir bisher machen, reicht nicht“ lautete Bielitz’ ambitionierte Erkenntnis damals. Er achtet noch mehr darauf, dass die Behandlung so gut wie nicht formalisiert erfolgt, auch einmal von Leitlinien abgewichen werde, auch Teil-Erkenntnisse als wertvoll betrachtet werden.
Paradox sei ohnehin, dass psychische Erkrankungen zwar derzeit breiten medialen Raum einnehmen, viele Patienten aber immer noch von großer Scham beherrscht seien. Bielitz begegnet dem mit größtmöglicher Flexibilität wie in der samstags offenen Früherkennung und vermeidet den Druck voller Wartezimmer. Zum Aufbau der Patientenbeziehung gehöre nicht nur Elastizität, sondern auch ein interner kritischer Dialog und eben Weiterbildung. Mit Blick auf die positive Atmosphäre sagt der Klinikchef, dass die schönste Vase nunmal nichts nütze, „wenn das Wasser darin vergiftet ist.“
Die Klinik muss zur Überlebensfähigkeit nicht nur dem Kostendruck im Gesundheitswesen standhalten, sondern auch bei den Krankheitsbildern wandlungsfähig bleiben. Bei Jugendlichen stünden beispielsweise Essstörungen, aber auch Internetabhängigkeit oder Zwangshandlungen im Vordergrund. Wie bei allen Patienten setzt Bielitz dabei multidisziplinäre Behandlungsweisen ein, will nicht nur auf einzelne Trigger (Auslöser), zum Beispiel in der Schmerzproblematik, achten und setzt auch schulmedizinische Methoden ein. Die medial beförderte Scharlatanerie in der Behandlung psychischer Leiden erscheint hier in Bad Säckingen ganz weit weg. Hier handelt keiner im Stile eines Gurus – denn zur optimalen Patientenbeziehung gehört es auch, die eigenen Positionen und Methoden hin und wieder auf den Prüfstand zu stellen.