Sie waren Attraktionen im Zirkus und auf dem Rummelplatz oder dienten als Fotomodell am Strand. Im Alternativen Wolf- und Bärenpark im Nordschwarzwald leben solche Tiere heute unter naturnahen Bedingungen. Bär, Luchs und Wolf folgen dort erstmals ihren Instinkten. Über ein Bildungsprojekt zu den drei großen Beutegreifern und die Frage, ob Zoos noch zeitgemäß sind.
VON CHRISTINE WEIS
Der Weg in die Wildnis ist weit. Von Wolfach aus fährt man kilometerlang durchs Wolftal, dann taucht er irgendwann am Hang zwischen den Ortsteilen Bad Rippoldsau und Schapbach auf: der Alternative Wolf- und Bärenpark. Es hat geschneit Ende Januar, im Nordschwarzwald herrscht Frost, der Park ist geöffnet, der Besucherparkplatz dennoch fast leer. Das ist gut für die Winterruhe der Braunbären und schlecht für deren Futterkasse. Und damit zeigt sich schon die Crux, die sich auch in dem alternativen Konzept des Wildtier- und Artenschutzprojekts nicht ganz auflösen lässt. Das Problem der Wildtiere ist der Mensch. Er hat sie gefangen, in Not gebracht und auch in der zehn Hektar großen umzäunten Freianlage sind sie abhängig von ihm. Die misshandelten Tiere wären ohne Hilfe nicht überlebensfähig, weil sie nie gelernt haben, so zu leben, wie es ihnen entspricht: wild und frei.
In der kleinen Gaststube Bärenblick prasselt der Holzofen. Auf einem großen Bildschirm läuft eine Dokumentation über die tierischen Parkbewohner in Dauerschleife. Der Hund der Familie am Nachbartisch ist unruhig, er späht nach draußen, wo in Sichtweite Luchs Hero umherstreift. „Hunde sind erlaubt“, sagt Teresa Carl, „und Menschen willkommen“. Es gibt aber Regeln, an die sich alle halten müssen. Leider würden sie von manchen trotz der vielen Hinweisschilder ignoriert, erzählt die stellvertretende Parkleiterin. Zum Beispiel soll die Familie mit dem Hund am Gehege der Wölfin Gaia rasch passieren. Auch wenn es den Anschein hat, dass die Wölfin Zutrauen sucht. Gaia wurde als Welpe in Litauen im Wald gefunden und als Haustier gehalten. Als die Wölfin ausgewachsen war, gaben sie die „Besitzer“ in eine Hundeauffangstation, wo sie Verhaltensstörungen entwickelte. „Besucher sind bestenfalls stille Beobachter, die nicht mit den Tieren interagieren“, sagt Carl auf dem Rundweg durch den Park, nachdem sie die Familie freundlich bat, bitte einfach weiterzugehen und die Wölfin zu ignorieren.
Die neun Bären, drei Luchse und das Wolfsrudel leben zusammen auf dem zehn Hektar großen Freigelände mit Wald und Weide. Es gibt genügend Rückzugsmöglichkeiten, wo sich die Tiere separieren können. Die Vergesellschaftung der Tiere untereinander sei wichtig, denn sie würden auch in natürlichen Lebensräumen aufeinandertreffen, erklärt die 33-jährige Biologin Carl. Dadurch könnten sie ihre eigentlichen Verhaltensmuster wiederentdecken, und so ihre Störungen überwinden.
In freier Wildbahn müssten sie ihre Nahrung erjagen, hier werden sie gefüttert. Ein Braunbär frisst im Sommer täglich rund 50 Kilo vorwiegend pflanzliche Nahrung, ein Luchs etwa eineinhalb Kilo Fleisch, meist ist das ein Kaninchen pro Tag. Ein Teil des Futterbedarfs wird eingekauft, etwa bei einem heimischen Bauern mit eigener Schlachterei, das meiste sind Spenden.
Paten, Spender und Besucher finanzieren das Projekt
Der Park finanziert sich durch Eintrittsgelder, Spenden und Tierpatenschaften. In den Sommerferien können es bis zu 1000 Besucher am Tag sein. Rund 80.000 finden jährlich den Weg ins Wolftal. Neun Mitarbeitende für Tierpflege, Führungen, Technik und Verwaltung sowie fünf ehrenamtliche Helfer managen den Park, der wirtschaftlich als gemeinnützige GmbH geführt wird. Eigentürmer der Grundstücke und Gebäude sowie Gesellschafterin der GmbH ist die Stiftung für Bären mit Sitz in Worbis in Thüringen. Dort wurde 1996 der erste Alternative Bärenpark in Deutschland eröffnet. Nach Angaben der Stiftung wurden bis dato 42 Bären, 38 Wölfe und sechs Luchse aus schlechten Haltungen gerettet.
„Wildtiere kann man nicht artgerecht halten.“
Teresa Carl, Biologin
Den Alternativen Wolf- und Bärenpark gibt es seit 2010. „700 ehrenamtliche Helfer haben damals den Park in 150 Tagen wörtlich aus dem Boden gestampft“, berichtet Carl. Jurka war die erste Bärin, die eingezogen ist, und heute noch lebt. Sie wurde in Italien von Menschen angefüttert und gezähmt. Jedes der Tiere hat eine Geschichte, die auf Tafeln oder bei den Führungen erzählt wird, um über die Misshandlungen und die Notwendigkeit des Tierschutzes aufzuklären. Agonis wurde in einem Restaurant angekettet und zur Schau gestellt. Zu früh von der Mutter getrennt, nuckelt er heute noch seine Tatzen. Arthos und Arian wurden als Selfie-Motiv am Strand in Albanien gehalten. Bärin Daria wurde in einem Zoo in Spanien nach dessen Schließung im Zwinger zurückgelassen. Anfang Dezember wurden zwei neue Braunbären aus einem litauischen Freizeitpark aufgenommen – mit Unterstützung einer dortigen Tierschutzorganisation. Luchs Ela stammt aus einer Züchtung im Zoo und das Wolfsrudel aus dem Freizeitpark in Klotten an der Mosel, der beschlossen hatte, die Wolfhaltung einzustellen.
Wildtierhaltung ist ein Widerspruch
Zum Thema Zoo und Wildtierhaltung in Freizeitparks hat Teresa Carl eine klare Meinung. „Wildtiere können in Gefangenschaft nicht artgerecht gehalten werden“, sagt die 33-Jährige. Dem Argument, dass Zoos zur Arterhaltung bedrohter Tiere dienen, widerspricht sie. Denn es sei nicht sinnvoll, ein Tier im Zoo zu erhalten, während sein natürlicher Lebensraum nicht geschützt wird. Zudem seien 80 Prozent der Tiere in Zoos gar nicht vom Aussterben bedroht. Den Zoo als Bildungsort stellt sie auch infrage. Die Besucher erleben die Tiere in Gefangenschaft samt ihren Verhaltensstörungen. Was sie dort sehen und lernen sei nicht die Realität. „Es gibt doch heute ganz andere Möglichkeiten der Wissensvermittlung wie holografische Animation oder Videodokumentationen“, sagt Carl.
Auch im Alternativen Wolf- und Bärenpark in Bad Rippoldsau-Schapbach sind die Tiere eingezäunt. Doch sie werden nicht zur Schau gestellt und leben in naturnaher Umgebung. Manch ein Besucher könnte enttäuscht sein, wenn er heuer keine Bären sieht. Gerade halten sie in ihren Höhlen Winterruhe. In der warmen Gaststube Bärenblick laufen die Beutegreifer ganz sicher über den Bildschirm und beim Rundgang im Gelände sollte jeder Besucher ein stiller Beobachter sein.