Der Freiburger Bäckermeister Tillmann Gurka glänzt mit einem ungewöhnlichen Zeitmanagement: Nicht nur weil er seine Teige länger reifen lässt als andere. Er hat auch ein Geschäftsmodell.
VON CHRISTINE WEIS
Es duftet schon von weitem nach frischem Baguette. Wer sich mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Kopf aus dem Autofenster nähert, kann sich von der Nase zu Till und Brot in Freiburgs altem Güterbahnhofareal in Freiburg leiten lassen. Dort erwarten einen neben Baguette, Dinkel- und Roggenbrot auch Brioche, Vanillestreusel oder Zimtschnecken – und zwar wochentags ab 11 und samstags ab 8 Uhr, dann gibt es auch Brötchen.
„Nachts zu arbeiten, empfinde ich als ungesunden Rhythmus für Körper, Geist und Seele und ist auch nicht familienfreundlich.“
Brotsommelier Tillmann Gurka
„Anfangs haben einige morgens immer wieder ans Fenster der Backstube geklopft, weil sie die Öffnungszeiten an der Eingangstür für einen Schreibfehler gehalten haben“, erzählt Tillmann Gurka. Doch er verfolge mit seinem Backladen, den er im Februar dieses Jahres eröffnet hat, ein anderes Konzept.
„Nachts zu arbeiten, empfinde ich als ungesunden Rhythmus für Körper, Geist und Seele und ist auch nicht familienfreundlich“, sagt der 29-Jährige, der bald Vater wird. Für ihn war klar: Wenn er sich selbstständig macht, dann bleibt der Ofen nachts aus. Sein Arbeitstag beginnt um 6:30 Uhr. Dabei geht es ihm nicht allein um seine Interessen, sondern er denke auch an die Kunden und deren Essgewohnheiten. Anders als Weckle oder Croissants werde Brot nicht am frühen Vormittag gekauft, weil es erst abends auf den Tisch kommt.
Bis jetzt geht sein Geschäftsmodell auf. Die Kunden haben sich die Öffnungszeiten mittlerweile akzeptiert und kommen mittlerweile auch aus dem Umland. In dem halben Jahr hat er sich bereits einen guten Ruf erarbeitet. Speziell am Samstag muss man sich in eine lange Schlange einreihen, um ein Laugenkrusti oder Steinmühlenbrot zu kaufen.
Zukunft der Zunft
Tillmann Gurka kennt auch andere Zeiten. Mit 15 begann seine Lehre beim Dorfbäcker in einer kleinen Gemeinde im Odenwald. Was beim Reifeprozess der Teige passiert, fand er schon damals faszinierend. Weniger pickelnd sei gewesen, dass er sämtliche Partys verpasst habe. Seine Jugend empfand er als trist.
Der Wecker klingelte in der Regel um 2 Uhr nachts. Mit 20 hatte er den Meistertitel, seit letztem Jahr ist er Brotsommelier, so nennt sich die Auszeichnung für einen geprüften Brotexperten. Vor rund zehn Jahren kam Gurka nach Südbaden. Bevor er sich Anfang des Jahres selbstständig machte, war er bei unterschiedlichen Betrieben in leitender Funktion. Die unliebsamen Nachtschichten gab es überall und darin sieht er auch das Problem für den Personalmangel im Bäckerhandwerk.
Dazu einige Zahlen: Gab es 2009 bundesweit noch knapp 15.000 produzierende Bäckereimeisterbetriebe, waren es 2021 noch 9.965. Neben dem Fachkräfte- und Nachwuchsmangel wird die Branche gerade zudem akut von den steigenden Energie- und Rohstoffpreise gebeutelt. 70 Prozent der Handwerksbäcker sind laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks auf Gas angewiesen.
Tillmann Gurka hat einen strombetriebenen Ofen und hat die Preise nicht erhöht. Die Uhren scheinen bei ihm tatsächlich nicht branchenkonform zu ticken. Eigentlich hatte er nicht vor, einen Lehrling einzustellen, doch dieser kam im Mai von selbst vorbei. Dienstpläne müssten sich ändern, damit der Beruf auch für junge Menschen attraktiv sei. Aber auch die Verbraucher sollten manche Gewohnheiten ändern, wenn Bäckereien weiterhin existieren sollen.
“Bäcker müssten umdenken und sich spezifizieren.”
Tillmann Gurka, Bäckermeister
Gurka nennt aber noch einen weiteren Aspekt, den er mit „Weniger ist Mehr“ auf den Nenner bringt. Das umfangreiche Sortiment ist für ihn ebenfalls nicht zukunftsträchtig. Bäcker müssten umdenken und sich spezifizieren.
Er zumindest geht diesen Weg und der Erfolg gibt ihm bisher recht. Er hat beschlossen, nicht mehr als fünf Sorten Brot auf Basis von Sauerteig anzubieten. In Planung seien zudem Kurse, bei denen er zeigen möchte, was ein gutes Sauerteigbrot auszeichnet. Entscheidend sei eine Teigführung bis zu 48 Stunden. Das macht das Ergebnis schmackhafter, haltbarer und bekömmlicher als Brote mit Hefe. Mehl, Wasser, Salz und Zeit – mehr brauche es nicht für ein gutes Brot – und am besten noch einen ausgeschlafenen Bäcker.