Mit dieser Ausgabe gestatten wir uns einen kleinen Umweg und beginnen ausnahmsweise in New York: netzwerk südbaden hatte im Juni dieses Jahres die Ehre, die Zeit und Muße und gottlob neben der Inspiration auch die Spesen, um sich in Manhattan und Brooklyn nach der Zukunft der Arbeit umschauen zu dürfen.
Von Rudi Raschke
Als lokale Plattform waren wir eingeladen zur Konferenz „work awesome“. (Das „awesome“ steht für Attribute wie „genial“ oder „großartig“ und hat als Jugendsprachen- Kompliment ungefähr einen Bedeutungswandel hinter sich wie der Begriff „geil“ im Deutschland der 80er Jahre). „Work awesome“ also lautet der Titel einer Konferenz in New York und Berlin, die von zwei in New York lebenden Deutschen, Felix Zeltner und Lars Gaede, organisiert wird. Zeltner und Gaede sind Journalisten, Unternehmer und große Menschenverbinder – in diesem Fall die einer 13-köpfigen Reisegruppe aus Deutschland und der Schweiz mit namhaften US-Unternehmern und -Denkern. Unsere Gruppe hatte das Vergnügen, bei der „New York Times“ vorbeizuschauen, digitale Legenden wie Jeff Jarvis zu treffen, mit Bestsellerautorinnen beim Lunch zu diskutieren und Firmen aller Größenordnungen zu besuchen, die die Arbeitswelt voranbringen: Möbelproduzenten, Personalagenturen, Change-Berater, Trendlabore oder Industrie-Start-ups.
Es wäre müßig, unsere Leser an jeder einzelnen Station dieses 16-teiligen Ritts über drei Tage teilhaben zu lassen. Aber weil heutzutage vielfach von „Learning Journeys“ die Rede ist (der Freiburger Haufe-CEO Markus Reithwiesner wird auf den folgenden Seiten ebenfalls vom Arbeiten als „Lernreise“ sprechen), sollen die Erkenntnisse und Lektionen hier geteilt werden. Wir beginnen an der Südwest-Ecke des Central Parks, bei „steelcase“, einem Office-Einrichter, der in den USA ein Muss beim Thema „neue Arbeit“ ist. Designtechnisch betrachtet mag es dort nichts geben, was Unternehmen wie „Vitra“ nicht schon vor Jahren gestaltet hätten. Aber der gedankliche Überbau, den steelcase für seine Einrichtungskonzepte betreibt, überzeugt. Das alles ist mehr Sozialwissenschaft als Möbelbau, es wird über Kultur gesprochen, nicht über Einrichtung. Erste Lernerfahrung, zur modernen Arbeitswelt:
„Wer es mit dem Raum vermasselt, vermasselt es mit den Menschen“
Eine Generation von Arbeitenden, die auch in ihrer Freizeit besondere Erlebnisse sucht, will auch von ihrem Arbeitsplatz individuell angesprochen werden, berichtet Patricia Kammer. Die Zeiten, da die Chefetage von oben vermeintlich image-förderndes Mobiliar verordnet, sind vorbei. Und mögen die Trends auch kommen und gehen – wer sich an den Treibern dieser Trends, beispielsweise der Millenial-Generation orientiert, wird sich mittelfristig besser zurecht finden.
„Vielfalt ist die Grundlage – Diversity an Ethnien, Geschlecht und Talenten“
Das sagt Chaco Hernandez von der New York Times, die ihre Wurzeln in Puerto Rico hat und für das digitale Geschichtenerzählen verantwortlich ist. Ihr Lebenslauf ist komplett auf Spanisch abgefasst – „vor fünf Jahren hätte ich hier keinen Job bekommen“. Weil die New York Times aber gemerkt hat, dass eine Zeitung von alten, weißen Männern in keiner Weise mehr ihrem Publikum gerecht wird, hat sie ihre Personalpolitik verändert. Und setzt mehr denn je auf Vielfalt der Herkünfte, Neigungen und Geschlechter und das lebenslange Lernen voneinander. „Unser Publikum muss in diesem Gebäude repräsentiert sein“, sagt Hernandez.
„Es gibt keine Alternative zur Transparenz“
Diese Erkenntnis hat die „New York Times“ gemacht, als ihr schonungsloser Innovationsreport versehentlich an die Öffentlichkeit geriet. Und dort als großartiger Einblick in den kulturellen Wandel einer der größten Medienmaschinen gefeiert wurde. Ein Beratungsunternehmen in Brooklyn, „August“, geht noch weiter: „Klaut unsere Ideen“ lautet das Motto, mit dem Dokumente der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Kunden wie Google oder der ungleich sprödere Bertelsmann- Konzern werden damit ermutigt, ihre Veränderungsprozesse zu leben und eine Umstellung der Kommunikation vorzunehmen. Über Ausgaben, Führung und Gehälter könne offen verhandelt werden, wenn man die „kollektive Weisheit“ nutzt, sagen sie dazu. Bei „August“ liegt intern übrigens auch sauber offen, was jeder einzelne Angestellte verdient.
„Kollaboration wird auch in der Industrie und der Produktion möglich sein“
Für Freiburger ein eigenwilliges Déjà-vu: Es erinnert in den Hallenmaßen an den einheimischen Kreativpark – auch das „New Lab“ in Brooklyn ist ein riesiges Hallenschiff, das sich Unternehmen teilen. Im Breigau ist es eine einstige Lok-, hier ist es eine ehemalige Werfthalle. Was in Freiburg Startups aus Dienstleistung und IT belegen, sind hier, eine Stufe weiter, Manufakturen. Es findet keine Fertigung statt, aber die Entwicklung von Robotik und Hardware. Die Ökonomie des Teilens der nächsten Ebene: hier entwickeln Tüftler mit einem kollektiven Maschinenpark aus gemeinsam genutzten CNC-Fräsen, Lasercuttern und 3D-Druckern.
„Meetings müssen einem Zweck dienen, nicht dem Ritual“
Ein Mittagessen mit Priya Parker, die für ihren Bestseller „The Art of Gathering“ (wörtlich etwa „Die Kunst des Versammelns“, Untertitel: „Warum wir uns treffen und warum das eine Rolle spielt“) 100 Arten von Meetings untersucht hat. Mit faszinierenden Erkenntnissen von der Seite 1-Konferenz der „New York Times“ alten Formats (laut Parker ein „Gladiatoren- Meeting“) bis zur toskanischen Wildschweinjagd im Örtchen Panzano („eine Stammes-Gemeinschaft“). Ihre Erkenntnisse, die vom Familienessen bis zur Abteilungsleiterkonferenz gültig sind: Meetings müssen revitalisiert werden. Sie sind ein sozialer Kontrakt: wer sich öffnet, darf Offenheit erwarten. Der Auftakt und der Rahmen bestimmen die Atmosphäre. Und jeder Teilnehmer geht ein gewisses Risiko nur ein, wenn er dafür eine Belohnung erwarten kann.
„Zwei Fehler bei der Personalfindung: Zuwenig Investion. Und das Kopieren der Anderen“
Das Unternehmen Greenhouse heuert Talente für Sony, Walmart, Airbnb und andere an. Einer der Gründer, Jon Stross, sagt, dass die Personalpolitik der Erfolgsgrund Nummer eins für Unternehmen sei und das Recruiting viel mehr Unterstützung benötigt. Warum sich Mehrinvestitionen lohnen? Stross erklärt sie über das sogenannte Onboarding. Wer fähiges Personal eher an den Start bringe (auch über höhere Ausgaben), statt lange zu suchen und zu integrieren, kann mit einer besseren Unternehmenskultur auch die Verbleibchancen erhöhen – seine Kurvendarstellung verspricht eine Produktivität, die in drei Jahren um das zweieinhalbfache besser liegt als beim gewöhnlichen Eintritt-Austritts-Szenario.
„Der Ära des Sprechens folgt die Ära des Zuhörens“
Das sagt Jeff Jarvis, der ebenfalls erfolgreicher Autor ist („Was würde Google tun“) und Direktor der Journalistenhochschule CUNY, die sich dem digitalen und unternehmerischen Publizieren wie keine zweite verpflichtet fühlt. Seine Ideen sind nicht nur für Medienleute spannend: Leser, Nutzer oder Kunden müssen als Individuen gehört werden, nicht als Masse. Die Vorzeige-Beispiele, die er undogmatisch nennt: Ausgerechnet Facebook und Amazon. Klassische Medien, sagt er beim Treffen in einem Seminarraum seiner Schule, würden viel zu sehr in Großgruppen denken statt an die Bedürfnisse von Communities und Einzelnen. Und: Es gelte, Brücken zu bauen für eine neue Konversation in unserer Gesellschaft. „Wir haben gerade erst angefangen“, sagt er uns deutschsprachigen Gästen mit Blick auf manche Skepsis gegenüber den Umgangsformen des Internets. Das befinde sich nach Jahreszahlen seit seiner Erfindung gerade einmal dort, wo Gutenberg 1474 stand.
A propos Zuhören: „Das Erzählen von Geschichten findet neue, alte Kanäle“
Diese Erkenntnis bewegt zwei Menschen, die wir in New York treffen. Der eine, Matt Hartmann, entwickelt als Partner von „betaworks“ Beteiligungen an unzähligen Medien-Start-ups. Und er ist besessen von Stimmen – zwischen Bewegtbild und Buchstaben sieht er ungeahnte Möglichkeiten, beispielsweise für die Erzählungen von Podcasts. Das ist zum einen der Metropolen- Erfahrung geschuldet – wer zwei Minuten für einen Coffee-to-go ansteht und damit zehn Minuten zur Arbeit läuft, wird keine Zeitung lesen – zum anderen den ansprechbaren Smart-Lautsprechern für daheim: Sie haben weit schneller 50 Prozent des US-Marktes erobert als vor ihnen Smartphones, Computer, TV und Radio. Der andere ist Michael Barbaro, der mit seinem Podcast „The Daily“ für die New York Times monatlich mehr als fünf Millionen Hörer erreicht. Barbaro kann nicht direkt unsere Fragen beantworten, er empfängt in einem New Yorker Theater noch gut 800 andere Interessierte zum Talk an einem Freitagabend, das allein sagt einiges aus.
Er selbst erklärt, wie er jeden Morgen um 9.30 Uhr das News Meeting der „NY Times“ besucht und danach sein Thema findet. „Was ist die größte Story des Tages?“ Um 14 Uhr nimmt er auf, danach wird es von der Redaktion produziert, ab 22 Uhr steht es zum Herunterladen auf der Website. „Er wolle nicht mit einer göttlichen Stimme erzählen, die hat er zwar auch, sondern schlichte Antworten geben, in 20 Minuten. Er hat Grubenarbeiter für Interviews angerufen, die Trump gewählt haben und auch schon Podcasts im Taxi aufgenommen. In diesem Medium sei eine Empathie und Menschlichkeit möglich, mit der der traditionelle Journalismus oft kämpfe. Mag der letzte Punkt auch „nur“ ein journalistisches oder ein Unterhaltungs-Thema betreffen – die Ansätze der „work-awesome“- Konferenz belegen den tiefgreifenden Wandel, in dem wir uns befinden. Was sich in New York gerade entwickelt, schaut nicht aus, als würde es nie den Schwarzwald erreichen. Deshalbt tut es gut, sich vom Umgang mit Veränderung gerade in dieser Metropole etwas abzuschauen. Nicht zuletzt die Offenheit.
Work Awesome Berlin
29. November 2018
www.workawesome.de