Zur Lage des Kulinarischen in der Region: Im Herbst bietet unser Magazin für gewöhnlich jedes Jahr einen Einblick in die Töpfe oder Fässer der Region – Anlass dazu gibt es auch in diesem Jahr.
VON RUDI RASCHKE
Gourmet-Führer vergeben Auszeichnungen, opulente Messestände türmen feste und flüssige Nahrung, Festtage befeuern Hobbykoch-Fantasien. Das ist in diesem Jahr nicht komplett anders, aber die Messen fallen aus und die brenzlige Lage der derzeit geschlossenen Gastronomie ist bekannt. Ein Austrocknen der Genusslandschaft hier steht zu befürchten, und es wird keine Spreu-vom-Weizen-Trennung sein, auch wenn sich einige Anbieter leichter tun werden als andere.
Trotzdem können auch jene in Not geraten, die über die Jahre immer wieder in ihren Betrieb investiert haben. Doch auch mit dieser Last und unter veränderten Vorzeichen lässt sich das Thema als genauso wichtig betrachten. „Der Mensch ist, was er isst“, die Weisheit des Philosophen Ludwig Feuerbach trifft mehr denn je zu: Essen und Trinken bleiben ungeachtet der Pandemie sozial, sie sind politisch, sie stärken die Gesundheit oder anderweitig das Seelenheil.
Und glücklicherweise entwickelt sich vieles auf eine Weise weiter, dass es sich durchaus lohnt, auch bei momentan ungeöffneten Lokalen ein Heft über Gaumenfreuden zu gestalten. Es gibt Etliches, was auffiel in den vergangenen 12 Monaten seit der letzten Ausgabe zum Thema. Unsere Beobachtungen in diesem Heft stützen sich auf Hof- und Restaurantbesuche in der Region. Und in diesem Jahr drehen sie sich eher um Grundsätzliches als über weiße Salatsaucen oder pappiges Baguette. Ein paar Erkenntnisse für die Arbeit an Essen und Trinken:
1. Das Profil wird noch einmal wichtiger
Wer nicht gerade ein Aussichtslokal mit Schweizblick bewirtet, tut gut daran, sich klar auszurichten: Wer alle will, kriegt keinen. Wer am liebsten „Pizza, Sushi, Salad & more“ anbietet, wird keinen glaubwürdigen Preis mehr mit seinen Produkten erzielen. Handwerklich gute Arbeit und Kreativität sind gefragter denn je.
Das ist nichts Neues, aber in der Corona-Zeit noch deutlicher geworden. Unverwechselbarkeit, aber auch Flexibilität wurden belohnt. Wer eine solide Fanbasis, neudeutsch Community, um sich weiß, hat es mit seinem Angebot in der Krise leichter.
2. Gute Kommunikation ist ansteckend
Eine Beobachtung kurz vor dem zweiten Gastro-Lockdown, Ende Oktober: Das Erlebnis eines sieben-Gang-Menüs wird durch eine Maske auf dem Weg zum Tisch keineswegs eingeschränkt. Das Erlebnis wird aber enorm aufgewertet, wenn der Koch nicht nur zur abschließenden hat’s-gschmeckt-Runde vorbeikommt, sondern sich präsent zeigt.
Erklärend, nicht belehrend. Zu erleben beispielsweise bei Thomas Merkle in „Merkles Rebstock“ in Endingen, der es sich nicht nehmen lässt, im Wechsel mit seinem Küchenchef Niels Möller einzelne Gerichte zu bringen und kurz zu erklären, was wie zustande kommt. Es ist auflockernd, es animiert, es ist nicht mehr der sakrale Nicht-Dialog zwischen Chef und Gast. Sondern lässt uns bei Tisch die Arbeit in der Küche besser nachvollziehen.
Thomas Merkle selbst sagt dazu augenzwinkernd, dass die Zeit einfach vorbei sei, in der der Gast eine Klingel hinter der Theke hört und wenig später wird ein Teller abgeladen.
3. Die Gastgeber sind entscheidend
Noch eine Erkenntnis aus diesem Sommer, die nicht ganz neu ist: Es braucht eine Atmosphäre, die einen Gastgeber erfordert, nicht bloß einen Wirt. Wer erlebt hat, wie die beiden jungen Köche Yannik Spielmann und Nico Heuer mit dem Weinfreund Julian Dittmann einen knappen Monat lang den Freiburger Stadtteil Stühlinger mit ihrem temporären Restaurant „Hawara“ verzauberten, weiß einmal mehr, was oft fehlt: eine qualitätsbewusste Einheit von Ort, Speisen, Getränken und den Menschen an diesem Ort – denen vor und denen hinter dem Tresen.
Es gehört eben nicht nur dazu, sich ein besonderes Menü auszudenken. Die tischübergreifenden Gespräche, passende Musik, das vielfache Anstoßen, zahlreiche „Ah“s und „Oh“s, wenn Gänge gemeinsam probiert werden, auch besonderes Geschirr – ein Sinnes-Erlebnis wie beim „Hawara“ hatte mancher zuletzt in den 80er Jahren.
Das ist umso beachtlicher, als sich doch angeblich jeder nach dem besonderen Genuss sehnt, nach einfacher Lebensfreude, nach sozial intensiver Gastronomie. Hoffen wir, dass gerade dieses Gefühl zurückkommt. Gute Gastgeber und Gäste vermissen es am meisten.
4. Die Produktküche ist zurecht ein großes Thema
Ein wenig komisch klingt der Begriff ja, zumal kein Gericht ohne „Produkte“ im Sinne von Rohstoffen auskommt. Trotzdem vergeht kein Tag, an dem ein junger Koch in Deutschland nicht die saisonale oder regionale „Produktküche“ als hauseigene Philosophie ausgibt.
Was es damit auf sich hat: Betont wird die Qualität des Materials, der landwirtschaftlichen Güter, die unser Essen ausmachen. Dafür rücken mehr denn je die Produzenten ins Scheinwerferlicht. Der Star ist nicht mehr nur der Koch oder ein besonderer Effekt, sondern auch das, was der Acker hergibt. Ohnehin sagen Kenner, dass die Qualitätssteigerung von Brot, Gemüse, Obst oder Fleisch hier in der Region der Weiterentwicklung in den Küchen fast überlegen ist.
Umso schöner, wenn die Höfe, aber auch deren politische Themen von Tierwohl bis Umweltschutz Beachtung finden. Gute Gasthäuser haben kein Problem mehr damit, in einer knappen Auflistung zu belegen, woher sie ihre Einkäufe beziehen. Die Chance, dass sich ein Großmarkt oder Ramsch-Metzger dazwischen finden, sinkt mit der Transparenz.
Zumal ja auch die Gäste beim heimischen Kochen und Backen längst ihr Wissen um die guten Produkte einsetzen. (Noch ein Nebenaspekt der Produktküche: Auch die Idee, dass die japanische Küche hier vom Schluchsee bis Freiburg- City für den Wunsch nach besonderer Tiefe von Zutat und Zubereitung zitiert wird, ist kein Zufall. Auch wenn sich dies nicht immer eins-zu-eins in Südbaden verwirklichen lässt, steht gerade dieser Trend in der heutigen Zeit für Charakter, Verlässlichkeit und Aufgeräumtheit. Ist aber jetzt nicht für jedes Lokal zur Nachahmung geeignet.)
5. Und ewig leuchten die Sterne
Die meisten von uns haben hin und wieder das Bohei um verliehene Sterne, Kochlöffel, Punkte oder Hauben in Restaurantführern für albern erklärt. Wer fährt noch mit einem 400-Seiten-Buch im Handschuhfach durch das Land und hält dort an, wo er 17 Gault&Millau-Punkte oder zwei Michelin- Sterne kennenlernen kann? Das mag unzeitgemäß sein, wenn gleichzeitig überall Google-Sterne, Trip-Advisor-Punkte oder Praktikanten-Rankings von Stadtwebsites hinterlassen werden – möglich auch für Lokale, wo man gar nicht eingekehrt ist.
Ergänzt um tausende Fotos des umherreisenden Influencer- Schnorrertums. Aber macht das eine kompetente Bewertung überflüssig? Im Gegenteil. Gourmet-Führer mögen hin und wieder antiquiert sein in Sprache und Aufmachung, oft verkennen sie in ihrer Musealität auch ein wenig die Gastgeber, bei denen man sich wirklich wohlfühlt. Nur: wer traut sich noch eine leidenschaftlich-kompetente Restaurantbesprechung zu?
Weder die Tageszeitung noch das Insta-Kid leisten heute verlässliche Kritik, wenn wieder ein „Lecker“- Treff öffnet. Gleichzeitig hungern wir nach Empfehlungen, Geheimtipps und Einordnungen. Denn auch das wird hoffentlich keine Pandemie verhindern können: Essen und Trinken bringen uns nicht nur zum Gespräch zusammen – sie bleiben selbst ein unverzichtbarer Gesprächsstoff.