Gehaltsgerechtigkeit, weibliche Innovation und männliche Schadensbilanzen: Die Themen rund um Frauen in der Wirtschaft sind noch einmal vielfältiger geworden. Daraus könnte man ableiten, dass Dinge vorankommen. Oder ist das nur Theorie?
VON RUDI RASCHKE
Es war der nachdenkliche Moment bei einem Freudenfest im Mai 2022: Nachdem die Freiburger Eisvögel, Basketballerinnen des USC, zum ersten Mal überhaupt die Deutsche Meisterschaft gewonnen hatten, wartete auf sie der Rathaus-Empfang samt Balkonpräsentation. Die Feierstunde mit dem Oberbürgermeister im holzvertäfelten Inneren nutzte ihr Trainer Harald Janson zur Veranschaulichung von Ungerechtigkeiten.
Seiner verdutzten Spielerin Lina Sontag, 18, drückte er 30 Zentimeter Flatterband in die Hand, die Ihr Gehalt verdeutlichen sollten. Mit dem Rest der Rolle ging er die Wände entlang: 30 Meter Band verdeutlichten das Salär des ebenfalls erst 21 Jahre alten Talents Malte Delow aus Berlin. Das Hundertfache. Ein Unterschied, der sich – anders als vielleicht im Fußball – kaum mit dem Hundertfachen an TV- oder Zuschauerinteresse rechtfertigen lässt. Unter dem Begriff Gender Pay Gap ist das eines der Debattenthemen unserer Tage, wenn es um Themen der Entlohnung von Frauen geht.
Wo stehen wir aktuell? Wie verändert sich der Diskurs? Kommt er überhaupt voran?
Mehr Führung, weniger Gehalt
Der Versuch von ein paar Antworten: Die Themen haben sich verändert, die reinen Zahlen eher nicht. Vor fünf Jahren haben wir ein Heft über Unternehmerinnen, Frauen in Führung oder im Männerberuf gemacht. „Entscheiderinnen“ lautete der Titel damals. Es ging um Frauen an der Spitze von Start-ups, Gründerzentren, Handwerksbetrieben. Aber auch um Übernahmethemen in der Gastronomie, Frauennetzwerke und deren Forderungen. Es ging um die Zahlen der von Frauen geführten Betriebe, im Kammerbezirk der IHK ebenso wie im Silicon Valley in Kalifornien. Diese Zahlen sind weitgehend unverändert. Auch der Anteil weiblicher Erwerbstätigkeit im Raum Südbaden ist mit Ausnahme von 2015 auf einem Rekordhoch, wenn auch in Stagnation. Aber reden wir weiterhin über das Gleiche, wenn wir über Frauen in Unternehmen reden?
Die Debatte um Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung ist lauter geworden. Was hoffentlich veranschaulicht, dass Themen von „Frauen in Führung“ ein klein wenig selbstverständlicher geworden sind. Es geht inzwischen zunehmend darum, die gleichen Lohnbedingungen herzustellen. Die frühere Müllheimer Bürgermeisterin Astrid Siemes-Knoblich war beispielsweise bundesweit in den Medien, weil sie dagegen klagt, dass sowohl ihr Vorgänger als auch ihr Nachfolger mehr Gehalt bezogen als sie.
Empowerment als Schlüssel
Dass sie heute Frauen dabei berät, wie sie an wichtigen Positionen sichtbar werden, gehört zum sogenannten Empowerment. Ein hierzulande noch neuer Begriff in Fragen der Gleichstellung. Dabei geht es nicht so sehr darum, dass sich Frauen, die bereits weit gekommen sind, in Netzwerken austauschen (auch das ist weiterhin wichtig). Sondern darum, dass Frauen sich Gedanken machen, wie sie einander darin befähigen, voranzukommen.
Was wir selbst hin und wieder bei der Suche nach Expertinnen für unser zugegebenermaßen auch ungewollt männerlastiges Magazin erleben: Männer haben wenig Probleme, wenn sie für jedweden Rat, Kommentar oder andere Meinungsäußerungen angefragt werden. Frauen sind unnötig bescheidener und bestreiten teilweise ihre eigene Expertise, selbst wenn eigentlich kein Weg an ihnen vorbeiführt.
Empowerment als Befähigung ist gerade in technischen Disziplinen gefragt.
Is it a man’s world? Ja, immer noch. Aber Empowerment von Frauen führt dazu, dass auch solche Themen mittlerweile auf die Tagesordnung finden und entsprechend gehandelt werden kann. Bei unseren Gesprächen für diese Ausgabe wurde gleich zweimal die Erfahrung geteilt, dass Männer sich weiterhin auf Stellen bewerben, bei denen sie vielleicht grade einmal drei von zehn Kriterien erfüllen. Frauen bewerben sich dagegen nicht, wenn sie nur acht von zehn schaffen. Ein Thema, das fürs Recruiting in den nächsten Jahren enorm wichtig werden wird. Empowerment ist als Befähigung von Frauen dann gerade in technischen Disziplinen gefragt.
Männerkosten und Fraueninnovation
Der Diskurs ist aber auch an anderer Stelle klarer geworden, wo Dinge nicht mehr hingenommen werden, die jahrzehntelang selbstverständlich waren, offenbar auch bis vor wenigen Jahren. Seit diesem Jahr gibt es für Deutschland sogar Berechnungen, welche Kosten männliche Kriminalität, Sucht oder Unfälle der Gesellschaft aufbürden. Kein Scherz: In seinem im Mai 2022 veröffentlichten Buch „Was Männer kosten“ kommt der Wirtschaftswissenschaftler Boris von Heesen, der selbst bei sozialen Trägern aktiv ist, auf diese Zahl: 63 Milliarden Euro jährlich, allein in Deutschland. Für manche eine eigenwillige Idee, dies zu summieren, für andere ein durchaus plausibler Gedanke: ob Alpha-Männchen und toxische Männlichkeit – vom Totraser bis zum Extremisten – unsere Gesellschaft nicht vielleicht doch ein wenig zu viel kosten auf Dauer. Zumal die vielen Bankrotte durch überwiegend männliches Management nicht einmal eingerechnet sind.
Wem diese Rechnungsstellung zwar realistisch, aber ein wenig brachial vorkommt, der sei auf eine elegantere Veröffentlichung verwiesen – die ebenfalls bis 2022 brauchte, um das Licht der Welt zu erblicken: Die schwedische Bestsellerautorin Katrine Marçal fragt schlicht, warum die Welt der Innovation denn bitte so sehr von männlichen Ideen dominiert sein muss. Das Buch trägt den schönen Titel „Die Mutter der Erfindung“.
Marçal ist feinsinnig der Frage auf der Spur, warum die Menschen bereits auf den Mond fliegen konnten, es aber noch zwei weitere Jahrzehnte dauerte, ehe der Rollkoffer sich durchsetzen konnte. Warum haben beim Automobil vermeintlich unmännliche Annehmlichkeiten wie Komfort und Sicherheit so lange gebraucht? Am Ende erklärt sie über Erfindergeschichten nicht nur, warum weltweit lediglich drei Prozent des Wagniskapitals in weibliche Hände gelangen. Sondern stellt auch die gar nicht so kühne These auf, dass Innovationen für die Lösung unserer globalen Probleme vielleicht besser unter Einbeziehung von weiblichen Innovatoren gefunden werden könnten.
Von Care-Arbeit bis Reihenhaus-Feminismus
Man mag zu den Debattenbeiträgen die eine oder die andere Haltung entwickeln, dass uns diese Diskussionen schaden und nicht weiterbringen, wird keiner behaupten. (Sie dürften bei weitem wertvoller sein, als der immer wahnwitzigere Streit um Wortschöpfungen wie „Gästinnen“, „Mitgliederinnen“, um Sternchen, Doppelpunkte, Innen-Schreibweisen mitsamt der nicht minder hysterischen Gegenposition, dass deshalb der Untergang des Abendlands ins Haus steht.)
Das Thema Frauen und Arbeit, das hat sich beim Entstehen dieser Ausgabe gezeigt, ist für viele weibliche Führungskräfte zumindest so weit etabliert, dass die Frage nach dem Frausein nicht immer als erste gestellt werden muss. Wie Tätigkeiten von Frauen honoriert werden, dass ist Gegenstand der Diskussion um die Care-Arbeit und die häuslichen wie außerhäuslichen, ehrenamtlich bis schwach honorierten sozialen Aufgaben von Frauen. Dass daraus auch ein dringender Aufruf an Frauen zu weit mehr finanzieller Unabhängigkeit entstanden ist (die Autorin Mirna Funk kritisiert den „Reihenhaus-Feminismus“), ist mehr als ein spannender Nebenaspekt.
Halten wir fest: Der Diskurs um den weiblichen Aspekt der Wirtschaft nimmt trotz mancher Stagnation wieder an Fahrt auf und findet noch immer neue Themenstränge. Auch gesetzlich haben einige Vorgaben den Weg zur Gleichstellung weiter bereitet, wenn auch langsam. Dass die „Gläserne Decke“ – jenes Phänomen, dass bestimmte Berufs-gruppen nicht mehr weiter aufsteigen können – für Frauen verschwunden ist, lässt sich nicht beobachten. Sie ist nur bedingt aufgebrochen. Wenn überhaupt, dann ist es ein wenig weiter nach oben gerückt.