Im Herbst herrscht Küchenhochsaison – Vorweihnachtliches trifft Schlemmer-Messen, dazu saisonale Top-Zutaten. Und die generelle Zugkraft des Gemüts ins Innere sorgt dafür, dass man dem Thema „Essen und Trinken“ nicht entgehen kann. Und gar nicht entgehen will.
Von Rudi Raschke
Vor zwei Jahren haben wir bereits die „Plaza Culinaria“, aber auch das Erscheinen der Gastroführer „Gault&Millau“ und „Guide Michelin“ zum Anlass genommen, uns die Küchen der Region anzuschauen. Mögen die Buchanleitungen nicht mehr ganz so relevant sein (der „Michelin“ erscheint dieses Mal ohnehin erst im Februar) – es lohnt sich auf jeden Fall, hier in die Töpfe zu schauen. Unter genießerischen wie wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Fangen wir mit einem etwas schweren Gang an: Es sind nicht die besten Nachrichten, die die heimische Restaurant-Welt in den vergangenen Monaten produzierte – wieder verschwand der eine oder andere prominente Restaurant-Name. Und einem sehr starken touristischen Andrang stand diesen Sommer eine heftige Personal-Dürre gegenüber. Obwohl sich immer noch junge Menschen für die kreative Arbeit in der gehobenen Küche entscheiden, hält der Rückgang der Azubis an, vom Service-Bereich ganz zu schweigen.
Verstärkt wird der Trend hierzulande von einem explosiven Mix aus Wohnungsknappheit und Niedrig-Gehalt, der das Problem noch verstärkt. Ein zentraler Fall inmitten Südbadens schönster Puppenstube, dem Freiburger Münsterplatz, war diesen Spätsommer das „Gasthaus Rappen“. Vor fünf Jahren ist das dort wirtende Ehepaar Ebner angetreten, um zu zeigen, dass auch in Bestlage eine qualitativ gedachte Regionalität möglich ist – beispielsweise mit hochwertigem Fleisch samt Herkunftsbezeichnung.
In diesem Jahr hat der Köchemangel die Notbremsung des Konzepts eingeleitet – mit der Besinnung auf die italienischen Wurzeln des Chefs wurde ein Teil des Menüs auf Steinofen- Pizza umgestellt. Mancher andere hat in ähnlichen Situationen die Küche für immer geschlossen. Es rumort enorm: wo die Mitte in der Stadt kämpft, hat man als Gast am unteren Ende der Skala oft nicht mehr das Gefühl, dass irgendwer mit Koch-Knowhow die Platten bedient.
Aber auch in der Sternewelt zeigt sich bisweilen eine Unzufriedenheit, die weit über konjunkturelles Gejammer hinausgeht. Und ernst zu nehmen ist. Deftig hat es der aus Offenburg stammende drei-Sterne-Koch Christian Bau, seit 20 Jahren im Saarland tätig, in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ Anfang Oktober ausgedrückt. Im Gespräch mit dem in Südbaden lebenden Autor Christoph Wirtz brachte er seinen ganzen Frust über die mangelnde Wertschätzung gegenüber seinem Beruf zum Ausdruck. „Die Politik verachtet uns“ lautete die Überschrift.
Mutig daran war, dass Bau soeben das Bundesverdienstkreuz angeheftet wurde, allerdings erst als drittem Koch unter 257.000 Geehrten seit 1951. Er hat den Anlass genutzt, um sich völlig zu Recht darüber zu beschweren, dass gutes Essen in Deutschland nicht als Kulturgut gilt, sondern unter permanentem Kaviar-Verdacht steht. Diplomatischer, aber ebenfalls bildhaft, drückt es Douce Steiner aus, die einzige Frau unter den deutschen 50 Restaurantchefs, die die Höchstwertung von drei oder zwei Sternen im Guide Michelin verzeichnen: Sie wolle einfach zum Nachdenken anregen, sagt sie.
In Deutschland werde eine 100-Euro-Jeans problemlos in zehn Minuten probiert und gekauft – ein wenig Anerkennung und Zugänglichkeit müsse dann eben auch für ein mehrstündiges Menü abfallen, an dem rund 20 Arbeitskräfte in Service und Küche werkeln. Sie möchte das nicht so sehr als persönlich Betroffene verstehen, sagt sie, denn sie kann aufgrund der Nähe zur Schweiz und Frankreich mit angemessenen Preisen hantieren. Aber es gebe hier eben auch Kollegen, die auf hohem Niveau agieren und sich nicht trauten, dies auch entsprechend einzupreisen. Soweit die Rahmenbedingungen, Ende des schweren Gangs.
Im leichteren Teil des Menüs: Es gibt in unserer Region eine Konstanz, die in jeder Hinsicht beruhigend wirkt. Wenn man auf die immer noch dichte Landkarte guter Adressen schaut, aber auch wenn man sich an einen jener Orte begibt, die schon seit Jahrzehnten, oft Jahrhunderten von sich behaupten können, ein soziales Netzwerk zu sein. Gemeint sind die gut eingeführten Landgasthäuser gehobener Küche, die das bieten, was mancher trendgastronomische Windbeutel zeitlebens nicht hinbekommen wird: Eine Bereitschaft, ein hochwertiges Wild- oder Fischgericht genau wie ein Wiener Schnitzel über Jahre hinweg mit gleichbleibender, oft noch gesteigerter Qualität auf die Teller zu bringen.
Dabei ein guter Gastgeber zu sein, mit einem kundigen Weinservice aufzutreten und nebenbei noch eine wärmend-kommunikative Stube zu bieten. Wechselnde Saisonhöhepunkte mit Klassikern zu mischen, keine zu umfangreiche Karte zu listen und etwaige Extravaganzen gekonnt aufzutischen. Mit persönlicher Handschrift, aber nicht in Stein gemeißelt. Alle diese Häuser, die vielleicht einmal ein Untersternchen oder eine Preis-Leistungs-Empfehlung im „Michelin“ bekommen, sind das Rückgrat der heimischen Gastrokultur.
Und sie haben sich längst auch die Anerkennung der Spitzenköche gesichert, wie unsere Umfrage in dieser Ausgabe zeigt. (Wobei auch diese Spitzenköche, ob sie den Stern nun offen zeigen oder nicht, sich hier sehr gut konsolidiert haben und durchaus auch Lehrreiches für den Nachwuchs bieten: Was Markenbildung, Talent, Komposition und Gastgeberschaft angeht.) Es lohnt sich durchaus, mal den gesamten Emissionsstress in Städten wie Freiburg, Offenburg und Lörrach hinter sich zu lassen und eine Landpartie zu unternehmen.
Die „Hidden Champions“ der Gastgeber hier finden sich in abgelegenen Ortsteilen wie Freiamt-Mussbach, Kirchzarten-Höfen, in Britzingen und Scherzingen, aber es sind Perlen, die beileibe nicht hinter jedem Dorfwirtshaus „Zum …“ glänzen. Blickt man an einem normalen Donnerstagabend in eines der gutbesuchten ländlichen Häuser, sieht man vor allem, dass Ihnen die umgekippte Alterspyramide sehr zugute kommt.
Menschen mit ordentlichem Auskommen an Freizeit und Barmitteln zieht es hierher, bereits um-die-40-Jährige sorgen mancherorts für eine Senkung des Schnitts. Schade daran ist, dass viele Jüngere gutes Essen offenbar vordergründig nur noch über Event-Zinnober, Fleischbestellungen aus dem Internet und Zeitraffer-Lecker-Videos auf Youtube konsumieren. Wenn doch aber jeder gerade die ultimative Premiumisierung und Verkomplexisierung fast aller Lebensbereiche und -mittel erlebt: Warum nicht einfach hin und wieder für „Human premium“ im „Ochsen“ einkehren?
Womit wir bei ein paar Wünschen an die Gastrowelt wären:
Einfache Dinge gut machen
Vor ungefähr einem Jahrzehnt galt noch die ungeschriebene Regel, dass man an der Qualität des hingestellten Brots oft mehr über ein Lokal sagen kann als entlang von hundert Weinposten auf der Karte. Das traf zu und mag vielfach besser geworden sein. Leider kann man heute nicht das Gleiche über einen schlichten Beilagensalat sagen: Die wenigsten schaffen es, einen einfachen grünen Kopfsalat mit einer schönen Vinaigrette zu servieren. Einer, der vielleicht etwas aufwändiger zu putzen ist als das gekräuselte Zeug vom Tankstellen-Sandwich, das auch die Apokalypse überdauert. Ist das wirklich so schwer? Auch der Verzicht auf Blendgranaten in Form dreier Häufchen aus Karotte, Rotkraut und Sellerie, die unterm schlechten Grünzeug lauern?
Gutes Essen für den ganzen Tag
Viele Betriebe sind durch (sinnvolle) Arbeitszeitgesetze nicht mehr in der Lage, mittags zu öffnen. Für die, die es trotzdem tun, oder sogar ein Frühstück anbieten, gerade in der Nähe von großen Bildungseinrichtungen in Städten: Kann es sein, dass sich diese Karten seit 30 Jahren nicht erneuert und nichts von der Welt gesehen haben? Schnöde Wurstteller mit sinkender Produktqualität, dazu der immer noch vermeintlich edle Discountlachs? Wo sind Bagel, Pancake, Porridge oder mal ein Ei, das nicht aus der Heißhaltewanne stammt?
Und beim Mittagessen: Es tut keineswegs weh, für rund 30 bis 40 Euro bei einem Sternekoch ein wohlschmeckendes, nicht zu einschläferndes Lunchmenü zu essen. Oder bei einem gut ausgebildeten Stadtteil-Restaurateur eines für die Hälfte. Weh tun die überbackenen Wohngemeinschafts-Essen für Erwachsene, die mit Espresso und kleinem Saftschorle auch an die 20 Euro rankommen. Wann wird die Serie „Feta der Klamotte“ endlich gestoppt? Und wann gewinnt jene raffinierte Ethno-Küche endlich die Mehrheit, die auf „Pizza Strammer Max“ und Gardinen verzichtet?
Schaut auf die guten Trends
Hin und wieder bekommt man den Eindruck, dass es eher die schlichten Ideen der globalisierten Gastrowelt sind, die im hock-seligen Südbaden Station machen. Die Schlacht der Imbisswägen, genannt „Street Food Market“, mag vermutlich auch Bedürfnisse stillen, die oben genannte Wirte ignorieren. Aber warum nicht die Rückbesinnung aufs Gemeinschaftliche dazu nutzen, wieder einmal an langen Tafeln die Menschen ins Gespräch zu bringen?
Das vollzieht sich gerade in Mailand und Turin und niemand wird sagen, dass dort wenig Ahnung vom Essen herrscht. Die „Tavolata“, ein Tisch mit über einem Dutzend Plätze, der mit Wildfremden aufgefüllt wird, muss nicht jedermanns Sache sein. Praktische Lebenshilfe wäre er für alle, die ihre gleichförmige „Filterblase“ mal ganz real verlassen wollen. Und natürlich auch für jene traditionellen Anschweig- Paare, die ganze Lokale stilllegen können.
Ein bisschen mehr Provisorium wagen
Auch wenn oben die Verlässlichkeit des gehobenen Landgasthauses gepriesen ist: Manchmal entsteht ein gastronomisches Ausgehvergnügen eben auch aus der Momentaufnahme, dem Temporären, Spontanen, der Kreativität vom Rand: (Jeder, der schon einmal in eine am gleichen Abend vorgenommene Silvesterreservierung am Comer See oder in Rom geraten ist, wird das bestätigen.)
Also warum nicht auch mal eine verlassene Liegenschaft für eine Restaurant-Nutzung „besetzen“. Sterne-Koch Nicolai Wiedmer macht das in Lörrach mit seinen „Say-Cheese“-Käsefondues ab 15.11., in Offenburg startet das Umfeld des „Haus Zauberföte“ am 13.11. einen Ausflug ins Vietnamesische bei „OG Projects“ (elf Gänge, fünf Tage, 38 Plätze, ein DJ), in Basel gibt es aktuell für 100 Tage bis zum 9. Januar das polnisch kochende „Warschau“ in einer stillgelegten Confiserie. Vielen Städten brächte ein bisschen mehr Pop-up Bewegung.
Nicht zuletzt: Gutes Essen braucht qualifizierte Berichterstattung
Es ist ein bisschen zum Augenreiben: in der sich gern selbst lobenden Gastrohochburg Südbaden fehlt es ein wenig an guter journalistischer Einordnung und Empfehlung, mit Qualität über Quantität. Die ein bisschen mit geweitetem Blick auf die langfristige Entwicklung von Menüfolgen schaut und nicht immer nur biedere „auf den Punkt gegart“-Formulierungen zur Simulation echter Kritik einsetzt. Im Herbst erscheinen wieder etliche Beilagen in Zeitungen und dicke Magazine: Manche setzen sich nur aus Anzeigenkunden zusammen und geben ein unvollständiges Bild ab.
Manche arbeiten sich derart an der Vollständigkeit ab, dass jeder Espressozapfer ums Eck vertreten ist und es schwer als Ausgehhilfe funktioniert. Manches in der Tagespresse versteht sich als PR-Support und Anschub, aber halt nicht für den Leser. „Übermäßig viel Schnick-Schnack oder Deko gibt es nicht.“ So etwas wird noch dem zugestelltesten Flohmarkt-Lokal attestiert. Und wo sich richtige Punktewertungen ergeben wie im üppigen „Restaurantführer für Südbaden“ (zuletzt 2016), sorgt ein kryptisches Wertungssystem in vier Klassen dafür, dass scheinbar alles zwischen acht und zehn Punkten rauskommt und es nur noch um „toll – supertoll – wundervoll“ zu gehen scheint.
Aber sich manche bemühte Besprechung wie ein Imitat historischer Küchenkritik liest. Einer der seit Jahr und Tag sagt, was ist, ist allein Wolfgang Abel, der mit seinem eigenen „Oase Verlag“ im Alleingang durch Freiburg, Markgräflerland, Ortenau, Oberrhein und Südschwarzwald flaniert und seine Beiträge als Bücher und Blog-Kolumnen „vom guten Leben“ veröffentlicht. Was er liefert, sind Geschichten zu Küche, Menschen und Umgebung.
Man wird in der eigenen Urteilskraft gestärkt, manchmal auch polemisch zum Widerspruch gefordert. Aber es gibt auch immer schöne Beobachtungen zum Ambiente und zur sozialen Statik der Restaurant-Insassen. In Zeiten, wo jeder Mikrowellen- Koch seinen Bekanntenkreis zum Klickdienst auf Webseiten wie „Tripadvisor“ oder „Stadtbesten“ verdonnert, braucht es solche fachkundige Unterstützung.