Vor der Saison wirkt der Sport-Club Freiburg auf fast allen Ebenen gestärkt, finanziell wie sportlich und beim Image. Über ein nicht mehr ganz kleines Unternehmen, das sich in schwierigen Zeiten Wettbewerbsvorteile verschafft.
VON RUDI RASCHKE
Der 21. Mai 2022 hat ein wenig das Zeug, so etwas wie der Mauerfall Südbadens zu werden: „Wo warst Du, als der SC das Finale in Berlin gespielt hat?“ Diese Frage könnte noch jahrelang die Gespräche zwischen Fans beseelen. Um dann in Erinnerungen an zwei unvergessliche Tage zu schwelgen: An Zugfahrten, auf denen wirklich alle als Gemeinschaft zusammenkamen. An den Weg zum Stadion, wo sich Menschen aller Klassen und Schichten getroffen haben. An 120 Minuten Stimmung wie noch bei keinem SC-Auswärtsspiel zuvor. Und daran, wie einem der SC danach erschien, als die Tränen noch nicht getrocknet waren, aber immerhin aufgehört hatten zu fließen.
Als die Mannschaft und Verantwortlichen wie ein Ensemble nach einem magischen Theaterabend ganz lange vor ihrem Publikum standen und sich scheinbar endlose Ovationen abholten: In diesem Moment kam vielleicht die Erkenntnis zum ersten Mal auf, dass der Sport-Club wirklich schier Unmögliches geschafft hatte. Als Verlierer wie der Sieger gefeiert zu werden, während der echte Sieger gegenüber vor einer sich leerenden Kurve steht.
Der SC schien in dieser knappen Stunde zwischen verschossenem Elfmeter und der Siegerehrung zu etwas noch Größerem geworden zu sein, als er für die meisten Mitgereisten ohnehin schon war. Ein mittelgroßer Club, der sich für den europäischen Wettbewerb qualifiziert hat und beinahe noch den nationalen Pokal gewonnen hätte – gegen ein Unternehmen, das fast den vierfachen Umsatz macht. Ein bundesweiter Sympathieträger, der über 30.000 Menschen hinter dem Schriftzug „Einzigartiger Verein“ versammelt. Und für das bisweilen etwas selbstverliebte Südbaden wirklich großartige Werbung macht. Bescheiden und unaufgeregt, aber aufregend.
Europa League – Umzug – Rekordumsatz
Hinter dem SC liegt eine Spielzeit, in der er wirklich Grenzen versetzt zu haben schien: Er griff an den letzten Spieltagen von oben kommend sogar nach einem Champions-League-Platz. Er ist in ein neues Stadion umgezogen und hat dort ohne Umstellungsprobleme gekickt. Er kam mit Rekordumsatz aus der Coronazeit. Ein Unternehmen, das 110 Millionen Euro erlöst, aber die Truppe, die das Geld einspielt, wirkt wie eine romantische Gemeinschaft, bei der ein Stiefel Spezi kreist nach Abpfiff.
Das klingt, als wäre der Verein als Organisation wirklich auf einem neuen Level gelandet. SC-Sportvorstand Jochen Saier hatte erst 2019 im Interview mit netzwerk südbaden gesagt, dass der Verein in den nächsten Jahren den „richtigen Schritt in puncto Vereinsentwicklung und Stabilität gehen könnte“. Es wirkt, als sei dies bereits nach drei Jahren erfolgt. Klemens Hartenbach, als Sportdirektor quasi der Personalverantwortliche für die Kabine, sagt heute, dass er einen Unterschied wahrnehme: „Wenn man drei Jahre zurückblickt, wie wir das Stadion gebaut haben und einen ordentlichen 13. Tabellenplatz in der Bundesliga belegten, dann kann man auf jeden Fall sagen, dass wir seither die richtigen Schritte gemacht haben.“
Ein anderer Marktteilnehmer
Am Markt bekommt der Club nunmehr die Spieler, die auch Bremen oder Mainz wollen. Er tauscht den Nationalverteidiger Schlotterbeck gegen den National-verteidiger Ginter – und nimmt dabei noch ein zweistelliges Millionenplus mit. Auch dies eine Steigerung gegenüber 2019. Hartenbach bestätigt dies, wenngleich es auch Risiken birgt: „Es stimmt, dass wir anders wahrgenommen werden am Markt, aber das hat Vor- und Nachteile. Natürlich stehen bei Spielern und Agenturen die Türen ein wenig weiter offen – das bedeutet aber auch, dass es teurer wird, wenn wir durch diese Türen durchgehen.“
Hinter dem SC liegt eine Spielzeit, in der er wirklich Grenzen versetzt zu haben schien.
Die Kurve weist nach oben. In den elf Abschlusstabellen der Ära Christian Streich gab es allein vier einstellige Tabellenplätze bei nur einem Abstieg. Der SC Freiburg hat sich zweifelsohne etabliert und ein gesundes Wachstum hingelegt. Zugleich hat er bei vielen prominenteren Namen gesehen, wie das Modell Traditionsverein der Disruption, also dem Ersetztwerden, ausgesetzt ist. Alljährlich kämpfen Clubs gegen den Abstieg, die keiner dort erwartet hätte, zuletzt sie selbst. Die Zweite und Dritte Liga ist voll mit Markennamen von gestern.
Zur Konsolidierung bemerkt Klemens Hartenbach ebenfalls selbstkritisch, dass es wichtig sei, „dass das Tempo dieses Wachstums nicht zu schnell wird. Und dass eben nicht nur beim sportlichen Personal alles gut wächst, sondern auch im Bereich der Leute, die dafür sorgen, dass es wächst.“
Die nächste Reise beginnt
Christian Streich hat von der „Reise“ gesprochen, die der Verein mit dem Berlin-Endspiel hinter sich habe. Vor ihm liegt eine Reise durch Europas Stadien, die ebenfalls eher unter Roadtrip-Aspekten denn ergebnistechnisch spannend werden könnte. Vorige Erfahrungen mit anschließenden Abstiegen oder Beinahe-Abstiegen endeten ohnehin wenig erfreulich. Hartenbach glaubt allerdings auch hier an ein verändertes SC-Gefühl: „Im Unterschied zur Europa League vor neun Jahren nehmen es dieses Mal alle an und freuen sich richtig darauf.“
Wenn es darum geht, dass der Sport-Club in den vergangenen Jahren beachtliche Fortschritte gemacht hat, gibt es dennoch auch eine andere Interpretationsmöglichkeit vor der Saison: Auch in diesem Jahr fängt er zwar nicht finanziell, aber punkteseitig wieder komplett bei null an. Er kann nichts mitnehmen. Auch wenn es schwer vorstellbar ist, kann er auch nach dem sportlichen Hammerjahr jetzt absteigen.
Dass ihn dieses Schicksal trifft, ist dennoch unwahrscheinlich. Dem SC könnte überdies der eigenwillige Saisonablauf in die Karten spielen, wie die Pandemie-Spielzeiten davor. Bereits hier hatte er sich mittels Trainingssteuerung und -disziplin mit einer der Mannschaften gezeigt, die die wenigsten Coronafälle verkraften mussten. In diesem Jahr ist die Trainingssteuerung gefragt, wenn wegen der Winter-WM von Mitte November bis Ende Januar zehn Wochen Pause überstanden werden müssen.
Klemens Hartenbach sagt, dass die Belastungssteuerung ein riesiges Thema in dieser Saison sein werde: „Wir spielen von Ende August bis zur WM-Pause Mitte November durchgehend im Donnerstag-Sonntag-Rhythmus.“ Wegen der langen Pause werde die Bundesliga-Mannschaft zwei komplette Saisonvorbereitungen machen, im Winter wie im Sommer. „Wir geben Vollgas bis Mitte November, dann bekommen die Spieler ihre Trainings-pläne für zuhause oder unterwegs und sind dann bis Anfang Dezember nicht bei uns auf dem Gelände.“
Eine Fußballmannschaft, die Resilienz beweisen muss und im Remote-Modus trainiert – auch das ist der Sport-Club Freiburg vor der Spielzeit 22/23. Was weitere fußballselige Ausflüge zu Haupt-stadt-Endspielen angeht, glauben wir fest an die Weisheit eines uns nahestehenden Vertriebsexperten, dass es nicht wieder 118 Jahre dauern müsse: „Wenn Du es einmal geschafft hast, kannst Du es auch ein zweites Mal schaffen“, sagte er kürzlich. Es wäre für die Region ein noch größeres Highlight, wenn den Schritten nach oben der weit schwierigere Verbleib auf dem aktuellen Level folgt.