Ein wenig entfremdet, aber eigentlich eine Beziehung, die sich nochmal flottkriegen lässt: Wir Freiburger und der Einzelhandel.
Von Rudi Raschke
Natürlich ist das ein mustergültiges kleines Einzelhandels-Erlebnis. Die Freiburger Modehäuser Kaiser haben es sich im Vorweihnachtsgeschäft für die Präsentation ihrer neuen Dekoration ausgedacht: Feierliche Enthüllung von drei Fenstern am Damen-Modehaus – eigens gestaltet von jener zehnköpfigen Abteilung, die eben sogar einen bundesweiten Preis gewonnen hat, etwas Making-of-Charakter, dazu eine Tee-Verkostung, feiner Baumkuchen am Stand einer Freiburger Konditorei, Glühwein und Musik vorm Haus für Herrenmode gegenüber. Es ist das maximal Mögliche, was ein Innenstadt-Einzelhändler mal eben an einem normalen Samstag aus dem Hut zaubern kann und es ist das Gegenteil seelenlosen Konsums. (Die Fenster sind sogar als warenfreie Winterlandschaft gestaltet und sollen ein wenig den Zauber von Kulturstätten wie dem Berliner „Kaufhaus des Westens“ entfalten.) Eine nette Geste, mit der sich qualifizierter Einzelhandel vom Allerweltsladen und vom Online-Einkauf abhebt.
Das sehen nicht alle in der Stadt so:
Gegen Mittag schaut ein gemeinsamer Trupp von Polizei und Gemeindevollzugsdienst vorbei, um erstmal den Baumkuchenverkauf an der Haus-Arkade zu beanstanden. Ein paar Stunden später rückt die selbe Besetzung an, um DJ und Glühwein mit einer Buße anzugehen. Freiburg muss sich für einen Einzelhändler in diesem Moment wie Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang anfühlen. In einer Stadt, die nächtliches Bongotrommeln, Junggesellenkrach und organisierten Drogenverkauf nicht in den Griff bekommt, wird aktuell der Handel mit Baumkuchen bekämpft.
Ja-wenn-das-jeder-machen-würde? Dann wäre Freiburg ein schönerer Ort zum Einkaufen. Es mag eine Momentaufnahme sein – aber sie sagt als Sinnbild viel über Wertschätzung aus: Zum Beispiel, dass ein Einzelhändler auf seiner eigenen Hausfläche weniger erlaubt bekommt als ein Gelegenheits-Gitarrist am selben Ort. Das ist die besondere Welt des stationären Handels in Freiburg. Der heißt bekanntlich so, weil er sich an festen Orten und nicht im Virtuellen abspielt. Aber je öfter man den Begriff hört, desto eher denkt man, es handle sich hier um einen Patienten. Intensivstationärer Handel. Es herrscht ein eigenwilliges Klima auf dieser Station.
Etablierte Familienbetriebe aus dem Herzen der Stadt, die mit ihren Vorzeigemarken auch online gut aufgestellt sind, wollen nicht über ihre Arbeit sprechen – sie teilen nur mit, dass es gerade wenig Spaß mache, weil kaum motiviertes Personal zu bekommen sei und ingesamt die Einkaufslust fehle. Andererseits geben manche Vollgas, bauen ihren fast noch neuen Laden erneut um und können nur schnell ein paar Sätze am Telefon sagen, weil die Kunden angesichts großzügiger Umbau-Prozente den Laden überrollen.
Und die unberechenbaren Kunden?
Können ihre Einkaufserlebnisse aktuell selbst nicht ganz fassen, wenn man sich umhört: Mal selig mit ihrem Einkauf in der Fußgängerzone, dann auch wieder beeindruckt, was regionale Händler ihnen an digital-Service anbieten. Hin und wieder badisch-bruddelnd, weil sie entweder vom Verkaufspersonal viel zu sehr bedrängt werden oder viel zu wenig beachtet. Mancher freut sich sowohl an Onlineshop-Abos, die für ihn mitdenken – aber er sucht auch das nette Lädchen, wo es völlig wurscht ist, dass das Angebot wenig Wahl lässt. „Kunden, die bei amazon gekauft haben, kauften auch … in der Buchhandlung zum Wetzstein.“
Vor zwei Jahren war der Einzelhandel vor Ort noch zerrieben zwischen der arg dröhnenden Initiative „Wir!“ und dem braven Verband „Z’Friburg in der Stadt“, der von der kleinen Boutique bis zum City-Aldi alle vertreten muss. „Wir“ ist verschwunden, „Z’Friburg“ schleppt einerseits den in die Jahre gekommenen „Mega-Samstag“ durch, hat aber auch den „Freiburg-Gutschein“ als verbindendes Element an den Start gebracht. Aber vor allem eine neue Initiative macht Hoffnung: „Herzschlag Freiburg“ heißt sie und verbindet neun bekannte Familienhäuser der Innenstadt. Gemeinsam wollen sie den Mehrwert betonen, das Unverwechselbare. Jeder mit eigenen Events, Ideen und Produkten, die es eben in standardisierten Fußgängerzonen nicht gibt.
Vorbild sind die Münchner „Ersten Häuser“, die ihren Verbund sogar für die Arbeitgeber-Attraktivität nutzen, zum Beispiel mit einem Azubi-Austausch. Zu den Händlern gehören das Bettenhaus Stiegler, das Schuhhaus Kocher, Mode Fabel, Sport Bohny, die Parfümerie Kern, Buchhandlung Rombach, Schafferer Haushaltswaren, Freiburger Leder Haus und eben Kaiser. Dessen Chef Frank Motz bietet beim Gespräch im hauseigenen Café ein Stück Käsekuchen an und bemerkt nebenbei, dass es das beim Online-Händler nicht gibt. Dann wird es ernster, aber er schildert ruhig und ohne fünf-vor-zwölf-Stimme, was ihn als Händler umtreibt: Selbstverständlich müsse jeder seine Hausaufgaben machen, „unser Modell ist Beratung, Ambiente und Erlebnis“, sagt er.
Motz sagt nur, dass er sich „eine flexiblere Stadt“ wünsche. Er hätte allen Grund, über Giga-Staus vor Brückentagen, astronomische Gebühren in unerreichbaren Parkhäusern und eine Einzelhandels-resistente Haltung bei mancher Großfraktion im Gemeinderat zu wüten, aber er sagt mit ruhiger Stimme über Baustellen und Verkehr: „Es wird immer Einschränkungen geben.“ Und das Ergebnis der vergangenen Jahre sei tatsächlich eine Entwicklung zu mehr Urbanität. Für die Zukunft wünscht er sich schlicht eine Rückkehr zu einem „gemeinsamen Stadtmarketing“, bei dem auch über Erreichbarkeit gesprochen werden muss, „der ÖPNV allein schafft das nicht“.
Generell ist es der Wunsch nach gemeinsamen Gesprächen, Einbeziehung, auch, dass der regionale Einzelhandel gehört wird. In einer Stadt, die gefühlt bei jeder Baumpflanzung eine Bürgerbeteiligung veranstaltet, sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Ein weiteres Gespräch, paar Tage zuvor: Jemand, der wie Frank Motz kein schwarz-weiß-Denken an den Tag legt, sondern auf die Stufen dazwischen achtet, ist Hanna Böhme, die Chefin der Freiburg Wirtschaft Tourismus und Messe (FWTM). Ja, sagt sie, ihr Haus verstehe sich als Unterstützer des Handels, wenn Hilferufe eintreffen. Die Stadtgesellschaft müsse so etwas durchaus ernst nehmen. Und natürlich seien Teile der Umland-Kunden weggebrochen – nicht nur wegen der Erreichbarkeit, sondern auch wegen Alternativen zuhause vor Ort.
Trotzdem nimmt sie ein Es-ist-besser-Credo wahr. Zumal bei einigen stadtbekannten Unternehmen beispielsweise die Generationen-Fortführung erfolgt ist. Und weil ein Ende von Stau und Baustellen nahe ist. Gleichwohl muss auch die FWTM mit ansehen, dass in der City der Immobilien-Hunger gestillt ist. Der monatelange Leerstand der einstigen „Sport-Arena“ in Kaufhausgröße wirft Fragen nach künftigen Szenarien auf, auch kleinere Leerstände in unmittelbarer Nähe zur 1A-Lage Kaiser-Joseph-Straße sind nicht mehr so schnell zu verpachten. Ein Vorgeschmack auf ein Szenario, bei dem nach der Kaufhof-Karstadt-Fusion sogar ein ganzes Kaufhaus leer stehen könnte?
Matthias Sasse vermittelt mit seinem Unternehmen MSI Gewerbeimmobilien Ladenflächen und sieht, dass dies heute nicht mehr zu den Preisen möglich ist, die vor drei oder fünf Jahren erzielt wurden. Eigentümer müssten hier ihre Ansprüche herunterschrauben und auf nachhaltige, also langlebige Händler als Mieter setzen. Sasse glaubt aber nicht, dass es durch die Fusion in den kommenden Jahren zu einer Kaufhausschließung in Freiburg kommen könnte. Wenn Dinge in dieser Dimension geschähen, sagt er, dann sollte die Stadt aber gut darauf reagieren können: Mit einem Multi-Concept-Store, also einer großflächigen Ansammlung thematisch passender Shops. Wie man sich auch angesichts von Leerständen in der Konviktstraße gemeinsam Gedanken machen könnte, wie hier zwischen Restaurants, Weinstuben und Fachhandel ein kleines Kunstquartier gefördert werden könnte.
An dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung:
wohin man auch hört – es geht wohl nur im Miteinander. Die Situation ist nicht begeisternd, aber die Bereitschaft, die Dinge anzupacken, scheint größer als vor zwei Jahren. Das sieht vermutlich auch der Oberbürgermeister Martin Horn so, der ausrichten lässt, er habe „ein offenes Ohr für die Sorgen, mit denen der Einzelhandel hier zu kämpfen hat. Es ist mir wichtig, dass der Austausch zwischen Verwaltung, Politik und den Verantwortlichen für die Innenstadt intensiv gepflegt wird.“
Schließlich habe rund um das Freiburger Münster der Handel über Jahrhunderte „zu einer lebendigen, funktionsfähigen Stadt“ beigetragen. Anspruch der Stadt sei es, dies zu erhalten und weiterhin tolle Einkaufs-Erlebnisse für Einheimische, das Umland und unsere Gäste bereithalten zu können. Woraus sich eigentlich ein paar klare Aufgaben ergeben: Die Stadt muss dem Handel ein Angebot machen, das auf kooperieren statt auf bürokratisieren setzt. Es ist durchaus Aufgabe der Verwaltung, dass die Kaufkraft in der Stadt bleibt, dass das Einkaufserlebnis nicht schon am Park&Ride mit einem Tobsuchtsanfall endet, bevor es losgeht.
Und dass – Stichwort Mieten – möglichst viele am Einzelhandel teilnehmen können, sei es als Kunden oder als Angestellte. Die Händler sollten sich Ressourcen schaffen, in denen sie auch auf schwierigem Kurs kreativ werden können – abseits des Hamsterrads. Dazulernen schadet nie: In Sachen Service, Angebot, Nettigkeiten, Empfehlungen, auch digitalem Dialog mit Bestandskunden. Das heißt nicht, dass alles falsch ist, was sie aktuell machen. Und sie sollten sich mit ihren Ideen auch politisch artikulieren können. Das sollte nicht im Verlautbarungston erwartbarer Verbands-Statements geschehen. Zum Gehört-Werden braucht es manchmal auch Hintergrund-Gespräche mit Fraktionen und Verwaltung, jeder kulturelle Zuschussempfänger unternimmt dies auch.
Die Wirtschaftsförderung muss die Transformation unterstützen. Mit den Kunden und Produkten wandeln sich auch die Einkaufserlebnisse. Es muss nicht sein, dass der Mega-Samstag aus sentimentalen Gründen 2019 seinen 20. Jahrestag feiert. Möglicherweise ist ein verkaufsoffener Sonntag mit entsprechender Sozialverträglichkeit die bessere Darstellung von Einkaufskultur als das bisherige Besäufnis bis Mitternacht. Eine Schnittstelle zwischen Handel und Stadtverwaltung sollte für solche Ideen die Türen öffnen. Und schließlich die Kunden: manchmal lohnt es sich, die Faulheit zu überwinden. Am heimischen Rechner mag Sonntagabends die Komfortzone zum Einkaufen am größten sein.
Aber lernen wir nicht überall, dass wir Komfortzonen verlassen müssen? Und ist es umgekehrt so beschwerlich, am Samstag einen Streifzug zu lokalen Händlern zu unternehmen? Sich auszutauschen, ein paar Freunde zu treffen, sich ein Markt-Erlebnis zu gönnen? Bitte ausprobieren: Es fühlt sich irgendwie viel besser an, als ständig abends beim Nachbar zu klingeln, der die Online-Lieferungen entgegen nimmt.