Transport ist eine Schlüsselbranche, die zurzeit besonders belastet ist: Gestörte Lieferketten, knappes Material, hohe Energiekosten, fehlende Fachkräfte, schwierige Arbeitsbedingungen und ein angeknackstes Image machen Speditionen und Logistikunternehmen zu schaffen.
VON KATHRIN ERMERT
Laster sind keine Sympathieträger. Sie verstopfen die Autobahnen und verpesten die Luft. Doch bei aller berechtigten, vor allem ökologischen Kritik, gerät die Bedeutung des Transportwesens oft aus dem Blick. Unser Wohlstand und unser Wirtschaftsmodell beruhen auf Arbeitsteilung. Wenn nicht jeder seinen eigenen Bedarf anbaut und herstellt, bedeutet das: Rohstoffe und Waren müssen transportiert werden. „Der wohlfeile, schnelle, sichere und regelmäßige Transport von Personen und Gütern ist einer der mächtigsten Hebel des Nationalwohlstandes und der Civilisation“, schrieb der deutsche Ökonom Friedrich List schon Mitte des 19. Jahrhunderts.
Wie wichtig Transport ist, haben viele erst gemerkt, als er nicht mehr so funktionierte wie er soll.
Als auf einmal Supermarktregale leer blieben und sich Bestellzeiten verlängerten. Denn mehr oder minder weit transportierte Waren begleiten uns permanent – vom Kaffee am Morgen bis zum Bier am Abend. Auch die regionale Milch muss erstmal vom Bauernhof zur Molkerei und von dort in die Supermärkte kommen. Je komplexer ein Produkt ist, aus je mehr Einzelteilen es besteht, auf desto größere Distanzen summieren sich die Transportwege, die dafür nötig sind. Das haben beispielsweise Fahrrad- und Autofahrer zu spüren bekommen, die sich in den vergangenen knapp drei Coronajahren ein neues Fahrzeug zulegen wollten.
Mehr als doppelt so viele Lkw wie 1991
Die Pandemie und der Krieg in Europa haben manche Fehlentwicklung offenbart und viele Gewissheiten in der Logistik auf den Kopf gestellt. „Man merkte, dass vieles auf Kante genäht war in den einzelnen Produktionsschritten oder dass man sich auf zu wenige Lieferanten verlassen hatte“, sagt Streck-Geschäftsführer Gerald Penner im Interview über Lieferketten in dieser Ausgabe. Corona und der russische Angriffskrieg als zwei extreme Ereignisse, die aufeinander folgten, verdeutlichten die Fragilität. Die Lieferketten waren laut Penner nicht auf Überbedarf angelegt.
Das liegt auch an der Dimension, die der Gütertransport aufgrund der Globalisierung in den zurückliegenden Jahrzehnten angenommen hat. Deutschland ist Exportweltmeister und liegt als größte europäische Volkswirtschaft im Herzen des Kontinents. Entsprechend haben sich die Transportmengen hierzulande entwickelt. Von knapp 3,8 Milliarden Tonnen Güter, die im Jahr 1991 in Deutschland befördert wurden, stieg die Menge auf mehr als 4,7 Milliarden Tonnen vor Corona. Im Jahr 2021 waren es schon wieder gut 4,6 Milliarden Tonnen. In der gleichen Zeit hat sich die Zahl der Lkw in Deutschland von rund 1,8 Millionen auf rund 3,8 Millionen mehr als verdoppelt.
Denn der Zuwachs des Güterverkehrs hat fast ausschließlich auf der Straße stattgefunden, weil wir in den zurückliegenden Jahrzehnten zu wenig in Alternativen wie die Schiene investiert haben. Immerhin kommt jetzt Bewegung ins Thema. Gerade auf der sogenannten letzten Meile gibt es immer andere Transportoptionen, beispielsweise in Form von Lastenrädern oder lasterähnlichen Cargobikes. Die sind nicht nur emissionsfrei, sondern in Städten meist auch schneller unterwegs. Das rechnet sich für die Kunden.
Krieg verteuert die Treibstoffe
Transport hat wenig mit Gesinnung zu tun – es geht um Zeit und Geld. „Verkehr ist wie Wasser – er sucht sich seine Wege“, hat Karlhubert Dischinger, Seniorchef von Karldischinger und bis Mitte 2022 Präsident des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg, mal in einem Interview gesagt. Spediteure suchten ihren Kunden immer den günstigsten Weg, und das sei innerhalb Europas meist die Straße.
Stichwort Preis. Weil die Löhne in den Industrieländern wesentlich höher als im globalen Süden sind, haben sich arbeitsintensive Branchen komplett aus Europa und Nordamerika verabschiedet. Sie könnte gar nicht regional produzieren, weil hier die Kapazitäten nicht mehr vorhanden sind, erklärte Antje von Dewitz, Chefin der Outdoormarke Vaude, vor einigen Monaten den Schülerjournalisten des Freiburger Rotteck-Gymnasiums, die sie in ihrer Talk-Reihe „nachgefragt“ interviewten. Auch unsere Handys werden genauso wenig hierzulande zusammengeschraubt wie der Rechner, auf dem dieser Text entsteht.
Der Ukrainekrieg rückt die fossilen Probleme und Abhängigkeiten vielleicht eindrücklicher ins Bewusstsein, als UN-Klimakonferenzen dies können.
Das Lohnkostengefälle ließ sich aber nur nutzen, weil Energie und damit Transport zu billig waren. Die beiden Faktoren bildeten beziehungsweise bilden immer noch nicht die wahren Kosten ab, die sie vor allem in Sachen Klimawandel verursachen. Zynischerweise verteuert nun der Ukrainekrieg die Treibstoffe – im ersten Halbjahr 2022 um rund 46 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum –, damit auch den Transport und rückt so die fossilen Probleme und Abhängigkeiten jedem Einzelnen vielleicht eindrücklicher ins Bewusstsein, als UN-Klimakonferenzen dies können.
Tausende Fahrer fehlen
Laut Schätzungen des Verbands Spedition und Logistik fehlen derzeit in Deutschland rund 56.000 Lkw-Lenker. Allein in Baden-Württemberg gibt es demnach 5000 bis 8000 zu wenige Brummifahrer, wie man sie früher fast liebevoll nannte. Seit 2011 die Wehrpflicht wegfiel, machen kaum mehr junge Männer den teuren Lkw-Führerschein bei der Bundeswehr. In der Folge füllten immer mehr osteuropäische Subunternehmer die Lücke. Deshalb hat der Ukrainekrieg auch das Fachkräfteproblem verschärft.
Zwar erlebt der E-Commerce nach großen Zuwächsen während der Pandemie angesichts der hohen Inflation derzeit einen Dämpfer. Dennoch stapelten sich in der Vorweihnachtszeit wieder die bestellten Pakete in den Hausfluren. Den Preis für die Bequemlichkeit der Kunden zahlen andere. Die Wochenzeitung Die Zeit berichtete kurz vor Weihnachten über die katastrophalen Arbeitsbedingungen von Fahrern des Versandriesen Amazon, die oft fern der Heimat monatelang in ihrem Lkw leben, tagelang am Abhollager auf ihre Fuhre warten, übermüdet am Steuer sitzen, und dafür meist wenig Lohn bekommen.
Lange Arbeitszeiten, hoher Termindruck, dazu verstopfte Straßen gibt es nicht nur beim Onlineriesen. Solche Probleme in der Branche tragen zum Fachkräftemangel bei. Das schlechte Image des Berufs macht auch jenen zu schaffen, die sich für bessere Arbeitsbedingungen für Berufskraftfahrer einsetzen wie die regionalen Transportunternehmen, die in diesem Heft zu Wort kommen. Oskar Dold von der gleichnamigen Spedition aus Buchenbach im Dreisamtal beispielsweise ärgert sich über die „Nimby“-Mentalität (not in my backyard): Dass man zwar über zugeparkte Autobahnparkplätze schimpft, gleichzeitig aber gegen Neubaupläne wie an der Raststätte Schauinsland protestiert.
Gegen Vorurteile und Ahnungslosigkeit seiner Mitmenschen setzt sich manch ein Trucker mit Sprüchen auf der Plane zur Wehr. Eine Auswahl davon bietet die Website klebefisch.de. Unter den Top 30 finden sich – neben einigen Zoten – auch Wahrheiten im Sinn des eingangs zitierten Ökonomen List. Zum Beispiel: „Ohne mich wäre die Autobahn schön leer. Genau wie Ihr Kühlschrank“ oder ganz grundsätzlich: „Ohne Lkws gäbe es nicht mal die Straße, auf der Sie gerade fahren.“