Vor einem Jahr, am 24. Februar 2022, begann der Ukrainekrieg mit dem Überfall Russlands auf seinen Nachbarn. Seitdem haben rund 27.000 Menschen Zuflucht im Regierungsbezirk Freiburg gefunden. Deren Integration in den Arbeitsmarkt geht langsamer voran als viele gehofft hatten.
VON SUSANNE MAERZ
Es gibt sofort eine Aufenthaltsgenehmigung für zwei Jahre, eine Arbeitserlaubnis und das Recht auf Bürgergeld: Den Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, soll das Ankommen hier nicht unnötig erschwert werden. Natürlich müssen sie erst die Erlebnisse von Krieg und Flucht verarbeiten und tragen die Sorgen um die zurückgebliebenen Angehörigen mit sich. Dennoch hatten viele Arbeitgeber gehofft, zügig unter ihnen Arbeitskräfte zu finden. „Es hat sich nicht viel bewegt“, sagt Ibrahim Sarialtin, Fachberater für Zugewanderte bei der IHK Südlicher Oberrhein. Und Peter Schneider-Berg, beim Caritasverband Freiburg-Stadt für Migration und Integration zuständig, betont: „Es ist ähnlich wie bei anderen Geflüchteten in der Vergangenheit: Die Prozesse dauern ihre Zeit.“ Gleichwohl sagt er: „Die Menschen bringen nach wie vor eine große Motivation mit, schnell Sprachkurse zu belegen und ihre Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen.“
Doch bevor die Geflüchteten aus der Ukraine hier arbeiten können, müssen ihre Kinder versorgt sein, und sie brauchen eine feste Bleibe: Rund 27.000 Menschen, allen voran Frauen, Kinder und Jugendliche, sind seit Kriegsbeginn im Regierungsbezirk Freiburg aufgenommen worden (Stand 5. Januar). Laut Regierungspräsidium besuchen inzwischen rund 5200 Kinder und Jugendliche allgemeinbildende Schulen, die meisten von ihnen Vorbereitungsklassen, einige bereits den Regelunterricht. An beruflichen Schulen werden circa 860 ukrainische Schüler in Vorbereitungsklassen unterrichtet. Zahlen zu den Kitas gibt es nicht.
In den ersten Wochen des Krieges, als die meisten Menschen nach Deutschland flüchteten, kamen viele bei Freunden oder Verwandten unter, die anderen zunächst in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Freiburg. Dort sind inzwischen nur noch Geflüchtete aus anderen Ländern untergebracht. In Freiburg St. Georgen gibt es seit Oktober eine Notunterkunft der LEA, in der die Menschen aus der Ukraine für einige Tage Zuflucht suchen können. Knapp 140 Menschen waren dort Mitte Januar für kurze Zeit untergebracht. Dann wurden sie auf die Stadt- und Landkreise verteilt, die seit dem Sommer fürs Verteilen und Unterbringen der Ukraineflüchtlinge zuständig sind, und machten Platz für neue Ankömmlinge.
Steigende Zahlen seit dem Herbst
Der Ortenaukreis registriert inzwischen rund 5200 Ukraineflüchtlinge. Circa 50 kommen pro Monat hinzu. In Freiburg sind es seit Herbst rund 20 bis 25 pro Woche. Von den rund 2900 Geflüchteten, die seit Kriegsausbruch in den Stadtkreis gekommen sind, leben noch rund 2400 hier, wie es von der Pressestelle der Stadt Mitte Januar hieß. Darunter sind 16 Babys, rund 150 Kleinkinder sowie knapp 600 Kinder und Jugendliche. Rund 1400 sind zwischen 18 und 63 Jahre alt, etwa 240 älter. Wohin sind die 500 anderen gegangen? Darüber gibt es keine Statistik. Hermann Jägle, Teamleiter im Bereich Markt und Integration beim Jobcenter Freiburg, berichtet davon, dass im Sommer einige Geflüchtete für ein paar Wochen in die Ukraine zurückgekehrt waren, als die Lage dort besser war und sie noch auf den Sprachkurs warteten. Die meisten seien aber wiedergekommen.
„Die Menschen richten sich inzwischen auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland ein“, berichtet auch Schneider-Berg. Anfangs hätten viele noch gehofft, der Krieg sei von kurzer Dauer und sie könnten bald wieder in ihre Heimat zurückkehren. „Seit die Russen ihre Strategie geändert haben und in großem Stil Infrastruktur zerstören, hat sich die Hoffnung zerschlagen“, sagt Aljoscha Ramm, Migrationsbeauftragter und Teamleiter beim Jobcenter Freiburg. Rund 40 Prozent der Ukraineflüchtlinge wollen nach einer Studie mehrere Jahre in Deutschland bleiben. Etwa 30 Prozent wollen auf jeden Fall nach Kriegsende zurückkehren, und ebenso viele sind noch unentschlossen. „Wenn es den Kindern hier gut geht, kann es sein, dass sie länger bleiben“, sagt Hermann Jägle.
Dass bereits jetzt viele länger da sind als sie zunächst erwartet hatten, hat erstmal Auswirkungen auf die Wohnsituation. Diese würde viele der Geflüchteten, die bei der Migrationsberatung der Caritas zurzeit Hilfe suchen, am meisten beschäftigen, sagt Schneider-Berg. Denn die, die in den ersten Monaten erstmal bei Freunden oder Verwandten untergekommen waren, würden nun verzweifelt nach einer privaten Wohnung suchen. Finden sie keine, bleiben ihnen nur die Flüchtlingsunterkünfte der Kommunen. Dort ist es beengt. Zudem leben Menschen vieler Nationen zusammen. Das wiederum berge Konfliktpotenzial, wie Schneider-Berg berichtet. Doch angesichts des angespannten Wohnungsmarktes hätten viele keine Alternative.
Die Integrationskurse laufen
Zurzeit ist ein großer Teil der Ukraineflüchtlinge mit Deutschlernen beschäftigt: 529 der insgesamt 939 Teilnahmeberechtigten im Einzugsgebiet des Jobcenters Freiburg besuchte Mitte Januar einen Integrationskurs. Auch hier war eine Anlaufzeit nötig, bis die verschiedenen Träger genügend Kurse anbieten konnten, mussten sie doch zusätzliche Räume und Lehrkräfte organisieren. Inzwischen läuft es: „Im Prinzip haben alle ein Angebot bekommen“, sagt Jägle. Die Geflüchteten, die derzeit keine Sprachkurse besuchen, seien krank oder müssten Kinder betreuen. „Manche arbeiten auch schon“, sagt Aljoscha Ramm. 125 Menschen haben dem Jobcenter bereits einen Arbeitsvertrag vorgelegt. Das sind zehn Prozent der dort registrierten Geflüchteten aus der Ukraine. „Das entspricht auch anderen Migrationsbewegungen“, sagt Ramm. Fünf Jahre nach der Ankunft würde für gewöhnlich etwa die Hälfte arbeiten.
Die, die inzwischen einen Teil- oder Vollzeitjob haben, sind in verschiedenen Bereichen untergekommen: Hermann Jägle nennt Helferjobs in der Lager- und Transportwirtschaft als Beispiele, wo oft Kollegen Ukrainisch oder Russisch sprechen, genauso wie Hilfskräfte in der Wäscherei oder Reinigungsbranche. Pädagogische Fachkräfte oder Lehrer gibt es ebenfalls. Und Programmierer, deren Arbeitssprache Englisch ist. „Die meisten Menschen haben Abschlüsse. Aber bis die anerkannt sind und die Geflüchteten sich orientiert haben, sind die meisten bereit, einen Helferjob anzunehmen“, sagt Hermann Jägle. Und Aljoscha Ramm betont: „Ziel der meisten ist es, in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten.“
Problem Bürokratie
Peter Schneider-Berg von der Caritas berichtet, dass die meisten Geflüchteten aus der Ukraine im Gegensatz zu vorangegangenen Flüchtlingswellen, als die Menschen zum Teil nur mit den Kleidern am Leib übers Mittelmeer kamen, nun ihre Zeugnisse dabeihaben oder sich nachschicken lassen. „Trotzdem dauert es viel zu lange, bis die Abschlüsse anerkannt werden“, kritisiert er. Die zuständigen Stellen kämen angesichts der vielen Anträge nicht hinterher.
Dies bemängelt auch Ibrahim Sarialtin von der IHK: „Die Betriebe sind sehr offen dafür, ausländische Mitarbeiter anzustellen. Aber die bürokratischen Hürden sind viel zu hoch.“ Das gelte für Geflüchtete – zurzeit berät er vor allem Menschen aus Afghanistan, Syrien und der Türkei – sowie für Arbeitskräfte aus Marokko, Tunesien und der Türkei, die zurzeit über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nach Deutschland kommen wollen oder geholt werden sollen. Ukrainische Geflüchtete berät Sarialtin derzeit nur vereinzelt. Er rechnet mit mehr Nachfragen, wenn die Menschen die Sprachkurse absolviert haben.
Dies wird in den nächsten Monaten nach und nach der Fall sein: Denn ein Integrationskurs, in dem vor allem Deutsch unterrichtet wird, dauert zwischen sechs und neun Monate und schließt mit dem Sprachniveau B1 ab. Das genügt für einfachere Jobs. Für qualifizierte Arbeiten oder Ausbildungsplätze, für die man auch dem Unterricht in der Berufsschule folgen können muss, ist indes meist das höhere B2-Niveau nötig. Bis das erreicht wird, braucht es noch einmal einige Monate. Daher rät Sarialtin den Unternehmen, die derzeit Arbeitskräfte aus der Ukraine suchen: „Sie sollen sich noch etwas gedulden.“
Bei den 300 unter 25-Jährigen, die im vergangenen Sommer bei der Jugendagentur in Freiburg gemeldet waren, waren nur 25 in Arbeit oder Ausbildung, Letztere waren in der Minderheit. Sarialtin rechnet damit, dass im kommenden Sommer und mehr noch im nächsten Jahr Jugendliche aus der Ukraine einen Ausbildungsplatz suchen. Zurzeit gehen sie hier noch zur Schule gehen und überlegen, was sie mal werden wollen. „Noch sind sie aber nicht so weit“, sagt Sarialtin. „Die meisten brauchen eineinhalb Jahre bis zum B2-Niveau.“ Außerdem, so gibt er zu bedenken, hängt es von der Lage in der Ukraine ab, ob die jungen Menschen dann hierbleiben oder lieber in ihre Heimat zurückkehren und beim Wiederaufbau helfen.