Stadtentwicklung: Peter Unmüßig redet Klartext
Die Verantwortlichen der Stadt Freiburg versuchen derzeit, ihre Wohnungsprobleme mehr auch mit der umgebenden Region zu lösen. Sehen Sie das als vernünftigen Schritt?
Peter Unmüßig: Zunächst einmal ist es eine Bankrotterklärung, wenn eine Großstadt wie Freiburg – nicht erst seit gestern – ihre Wohnungsprobleme nicht lösen kann. Sicher ist es in der derzeitigen Situation durchaus vernünftig, auch die Randgemeinden einzubeziehen, was den Wohnungsmarkt in dieser Wachstumsregion anbelangt. Aber Fakt ist auch, dass diese Kommunen im Freiburger Umland einen guten Teil ihrer Individualität aufgeben. Es ist nun mal ein wesentlich heftigeres Wachstum, wenn ein kleines Dorf 30 bis 40 Prozent wächst und dies gar nicht zu den eigentlichen Strukturen passt. Wenn in Freiburg der Wohnungsbedarf um jährlich 10 Prozent wächst ist das sicher nicht so spektakulär, wie ein überproportionales Wachstum in einer 5000-Einwohner-Gemeinde. Ein Dorf hat nun mal nicht die Möglichkeit, ad infinitum quantitativ so zu wachsen wie eine große Stadt. Sonst beschädigt das die Wohnqualität.
Ist das dann schon so etwas wie eine Konkursverschleppung, was in Freiburg in punkto Wohnungsmarkt passiert?
Peter Unmüßig: Ja, absolut. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Es geht ja gar nichts mehr. Man sagt einfach: Wir haben nichts. Aber es ist doch auch Aufgabe einer Kommune, ein gewisses Wachstum sicherzustellen, eine offene Stadt zu sein, die offen ist für Neuankömmlinge. Wenn man das als unverzichtbar städtische Intention sieht, dann sind die Verantwortlichen Freiburgs schon seit einigen Jahren nicht mehr in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Und perspektivisch sind sie überhaupt nicht in der Lage, annähernd den Bedarf, der entsteht, in der Zukunft zu decken. Das ist das Allerschlimmste.
Gibt es einen gangbaren Weg aus der Krise?
Peter Unmüßig: Nach meinem Dafürhalten lässt sich in dieser Krisensituation nur mit der Einbeziehung der gesamten Raumschaft etwas bewegen. Allerdings auch mit der Stadt. Die gehört ja auch dazu. Freiburg kann und darf sein Heil nicht ausschließlich in den Nachbargemeinden suchen. Da gibt es tatsächlich nur ein Sowohl als Auch. Es ist ja purer Zynismus zu sagen, wir haben nichts mehr, die Leute sollen doch raus aus der Stadt. Wenn nur die „Neuen“ also die Zuzügler von außerhalb betroffen wären, würde ich mir das ja noch gefallen lassen. Der Effekt ist aber ein anderer: Die Armen, weniger Begüterten, ziehen von Freiburg, wo sie seit Jahrzehnten gewohnt haben weg. Sie können schlicht diese Preise nicht mehr bezahlen. Diejenigen, die nach Freiburg ziehen, weil sie sich das Leben in der Toskana Deutschlands leisten können, sind dann die Gewinner. Die kinderreichen Familien, die jungen Leute, die ja zu dieser Stadt gehören und eigentlich das Stadtbild prägen, die müssen raus.
Wie kommen Sie zu dieser These?
Peter Unmüßig: Die Statistik sagt klar, dass die Abwanderung von Familien aus Freiburg ein Fakt ist. Das ergibt eine soziologische Umstrukturierung von Freiburg. Es gibt tatsächlich eine Destrukturierung des bestehenden Levels in Freiburg. Ich garantiere: wenn das mal geschehen ist, dann kann man das mit einem Schneebrett vergleichen, das nicht mehr aufzuhalten ist. Zu reparieren ist ein so durchschlagender Eingriff in die Bevölkerungsstruktur nur in mehreren Generationen. Freiburg wird in seinen soziologischen Grundfesten regelrecht erschüttert. Wir müssen jetzt den Anfängen wehren, aber es ist schon fünf Minuten nach zwölf. Man muss nur die Augen aufmachen, dann sieht man die sich abzeichnenden Veränderungen im Einwohnerbild der Stadt – hin zu den Vermögenden, die sich Freiburg noch leisten können. Eben das nenne ich zynisch.
Braucht es so etwas wie ein Sofortprogramm? Einen runden Tisch, an dem nicht nur diskutiert, sondern auch entschieden wird?
Peter Unmüßig: Es muss, ich will das mal so ausdrücken, eine „multifacettige Strategie“ geben. Es muss alles gegeneinander abgewogen werden, ein „Entweder-Oder“ kann es in dieser Phase nicht geben. Es geht um eine enge Verknüpfung mit der Infrastruktur der Region ebenso, wie um eine vernünftige Innenentwicklung Freiburgs. Die Altstadt von Freiburg ist als historisch gewachsenes Element unantastbar. Aber über die Expansion an den Rändern muss man dringend reden. Wenn aber nach dem St. Florians-Prinzip alle Realisierungen unterbleiben, obwohl der Gemeinderat ja jedes Jahr 1000 neue Wohnungen bauen will, ist das keine Lösung. Sobald ein Windstoß aus der Gegenrichtung kommt, sind angedachte Projekte doch wieder in der Warteschleife. Dabei gehört es zur Projektentwicklung zwingend dazu, auch mal eine steife Prise aus der Gegenrichtung auszuhalten. Der Bürger würdigt es durchaus, wenn die Politiker hinstehen und versuchen durchzusetzen, was sie für richtig halten. Den ständigen Zickzackkurs sind die Leute doch Leid.
Haben Sie denn Hoffnung, dass es in nächster Zeit besser wird?
Peter Unmüßig: Nein.
das Interview ist in der Printausgabe von netzwerk südbaden erschienen.
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