Das Freiburger Diakoniekrankenhaus investiert derzeit 44 Millionen Euro in einen Erweiterungsbau. Damit sieht sich die evangelische Klinik angesichts der großen Herausforderungen auf dem Gesundheitsmarkt gut aufgestellt. Ein Gespräch mit dem kaufmännischen und dem theologischen Vorstand Michael Decker und Pfarrer Björn Slencka, über die Investition, die Krankenhausreform, über Unternehmensführung, Mitarbeitende und Spiritualität.
Interview: Kathrin Ermert • Fotos: Santiago Fanego
Das Wort Patient leitet sich vom lateinischen Begriff patiens ab, der leidend, erduldend bedeutet. Trifft das auf die Patientinnen und Patienten der Diakonie zu?
Michael Decker: Bevor sie zu uns kommen, auf jeden Fall. Freiwillig geht ja keiner ins Krankenhaus.
Björn Slenczka: Wir versuchen daran zu arbeiten, dass es möglichst wenig Leiden gibt, und bekommen auch eine hohe Patientenzufriedenheit zurückgespiegelt.
Seit gut einem Jahr sorgen die Bauarbeiten des neuen Flügels für Einschränkungen und fordern damit auch Geduld. Warum braucht es diesen Erweiterungsbau?
Decker: Der Hauptauslöser war der Kreißsaalbereich, der dem Wachstum nicht mehr gerecht wurde. Der ist damals für circa 500 Geburten pro Jahr gebaut worden, mittlerweile sind es 1500. Auch in der zentralen Notaufnahme und in anderen Bereichen haben wir beengte Verhältnisse, es fehlen zudem Räume, um die Nachfrage nach Einzelzimmern bedienen zu können, und in der Verwaltung gibt es kaum ein freies Besprechungszimmer.
Wie finanzieren Sie das 44 Millionen Euro teure Projekt?
Decker: Wir haben 22 Millionen Euro Förderung vom Land Baden-Württemberg bekommen, die andere Hälfte läuft über Bankdarlehen. Eigentlich sollen die Länder die ganze Investition bezahlen, das tut aber kein Bundesland vollständig. Baden-Württemberg macht sogar mehr als andere. Den Rest müssen die Träger selbst beschaffen. Wir hatten mit unserem Projekt noch Glück. Aktuell bekommen viele Krankenhäuser keine Darlehen mehr, bis klar ist, wo es mit der Reform hingeht.
„ Eine Reform ist notwendig, und die Grundgedanken sind auch richtig. Mich regt aber die Art der Umsetzung auf. Lauterbach hört nicht auf die Praktiker.“
Stichwort Reform. Sie haben beim Richtfest im Juli gesagt: „Karl Lauterbach hat die Krankenhauswelt in die schwerste Krise geführt, die ich je erlebt habe. Die Reform wird nicht funktionieren, nicht die Probleme lösen.“ Was sind die Probleme, und was wäre Ihrer Meinung nach die richtige Lösung?
Decker: Aktuell werden Krankenhäuser komplett über Fallpauschalen bezahlt, was teilweise falsche Anreize setzt, Leistungen zu steigern. Eine Reform ist notwendig, und viele Grundgedanken sind auch richtig. Mich regt aber die Art der Umsetzung auf. Lauterbach macht eine Krankenhausreform, ohne wirklich mit den Krankenhäusern zu sprechen. Er hört nicht auf die Praktiker. Das Ganze ist sehr komplex und viele Themen wurden nicht zu Ende gedacht. Zum Beispiel sind die Anteile, die aus den Fallpauschalen in die sogenannte Vorhaltefinanzierung genommen werden, gewürfelt. Wie hoch die Vorhaltekosten eines Krankenhauses tatsächlich sind, wurde nicht geprüft und berechnet. Wenn man sich aber hierbei vertut, und die Vergütung nicht stimmt, haben die Häuser ein echtes Problem, weil sie den Großteil ihrer Finanzierung nicht mehr mit eigener Leistung beeinflussen können.
Slenczka: Ein Problem ist auch, dass eine vorausgehende Auswirkungsanalyse verweigert wird und erst für 2029 vorgesehen ist. Bis dahin kann vieles an guter Struktur bereits kaputt sein.
„Gutes bleibt nicht automatisch gut. Man muss etwas dafür tun.“
Decker: Dazu kommen die aktuellen Kostenprobleme der Kliniken aufgrund von Inflation und Tariferhöhungen. Der im Gesetz hinterlegte Mechanismus zur Fortschreibung der Krankenhauserlöse bildet die aktuelle Entwicklung nicht ab und so bleiben die Krankenhäuser auf enormen nicht finanzierten Kosten sitzen. Für das Jahr 2024 reden wir allein in Baden-Württemberg von mehr als 900 Millionen Euro.
Wie steht es um die Liquidität des Diakoniekrankenhauses?
Decker: Wir haben in fast unserer 126-jährigen Geschichte noch nie rote Zahlen geschrieben. Aber für dieses Jahr sehe ich nicht, wie wir das ohne Anpassung der Erträge hinbekommen. Denn die Erlössteigerung von rund fünf Prozent deckt die Kostensteigerung im zweistelligen Prozentbereich nicht. Das mehrfach geforderte Vorschaltgesetz, das dieses Delta vorfinanzieren sollte, wurde abgelehnt. Ich habe das Gefühl, es wird bewusst ökonomischer Druck ausgeübt, um die Zahl der Krankenhäuser zu reduzieren. Wir können zum Glück ein paar Jahre negative Ergebnisse bewältigen, das gilt aber bei weitem nicht für alle Kliniken.
Wie schafft die Diakonie es, medizinische Qualität mit wirtschaftlicher Stabilität sowie der Zufriedenheit von Patienten und Mitarbeitenden zu vereinbaren? Und welche Rolle spielen dabei Glaube und Religion?
Slenczka: Sie sind ein Schlüssel, aber keine Erfolgsgarantie. Nicht alle kirchlichen Krankenhäuser haben automatisch eine gute Kultur. Der Blick auf den Menschen muss bewusst gepflegt werden. Wir orientieren uns an der Frage Jesu an den Blinden vor Jericho: Was willst Du, dass ich für Dich tun soll? Sie stellt eine Beziehung auf Augenhöhe her und macht den anderen nicht zum Objekt. Mit dieser Einstellung begegnen wir den Patientinnen und Patienten und pflegen den Umgang untereinander. Das wirkt sich aus: Die Menschen melden uns immer wieder zurück, dass hier ein gutes Betriebsklima herrscht. Wir haben ein großes Spektrum verschiedener Religionen und auch Konfessionslosigkeit, aber einen Konsens in dieser Haltung.
Wie kann der kirchliche Glaube ein Garant fürs Gelingen sein, wenn er parallel der Gesellschaft zunehmend abhandenkommt?
Slenczka: Wir versuchen präsent zu halten, woher diese Haltung kommt, dass die Gründe, warum viele das Arbeitsklima so positiv erleben, in der Orientierung dieser Einrichtung liegen. Bei der Feier unseres 125-jährigen Jubiläums im vergangenen Jahr haben wir das Gottvertrauen, das unserer Arbeit zugrunde liegt, sehr deutlich gemacht. Bei den Einführungstagen für die neuen Mitarbeitenden geht es ebenfalls um das Leitbild und die Geschichte der Diakonie. Auch ein so technisch wirkendes Instrument wie das Qualitätsmanagement ist eigentlich eine Konsequenz unseres Glaubens, weil es da auch um die Orientierung am Menschen und seinen Bedürfnissen geht.
Was genau macht ein theologischer Vorstand?
Slenczka: Auf einen Nenner gebracht ist meine Zuständigkeit die diakonisch-christliche Unternehmenskultur. Dazu gehören Gottesdienste, Andachten und Seelsorge. Ich kümmere mich vor allem um die Personalfürsorge. Da geht es insbesondere um betriebliches Gesundheitsmanagement inklusive des Eingliederungsmanagements, wenn jemand länger als sechs Wochen krank war. Außerdem um den Umgang mit Konflikten oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Das klingt nach klassischen Personalthemen.
Slenczka: Ja, wir haben keinen separaten Personalvorstand. Ich arbeite eng mit der Personalabteilung und der Pflegedirektion zusammen.
Womit kommen die Kolleginnen und Kollegen auf Sie zu?
Slenczka: Es sind viele krankheitsbezogene Themen, bei denen sich oft zeigt, dass die Krankheit nicht nur eine somatische Ursache hat, sondern auch Belastungen, die man von zu Hause mitbringt, eine Rolle spielen oder auch Trauersituationen, nicht selten Konflikte und natürlich auch die Arbeitsbelastung. Wir beobachten, dass die psychische Belastung generell steigt. Das ist auch außerhalb unseres Hauses statistisch nachweisbar.
Müssen auch die drei anderen Vorstände kirchenzugehörig sein?
Decker: Das war lange der Fall, ist jetzt aber keine Voraussetzung mehr. Dennoch präferieren wir es. Ich fände es schwierig, wenn jemand die Einrichtung leiten würde, der keinen persönlichen Bezug zum christlichen Glauben hat. Unser Glaube macht etwas mit der Unternehmensführung und färbt auf die Mitarbeitenden ab.
Im Gesundheitssektor ist der Fachkräftemangel besonders groß. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Decker: Es trifft uns, aber weniger als in der Branche üblich. Das hängt zum Teil mit dem Standort Freiburg und der Nähe zu einem großen Ausbildungszentrum zusammen. Ärzte müssen wir nicht suchen, die bewerben sich initiativ. In der Pflege haben wir keine Warteliste mehr, bekommen aber alle offenen Stellen relativ zeitnah besetzt. Und die Leute arbeiten gern bei uns, obwohl sie in der Uniklinik zum Teil mehr verdienen würden. Schwierig wird es in Bereichen, in denen wir mit anderen Branchen konkurrieren, wie IT, Technik oder auch bei Führungspositionen.
Wenn es so gut läuft – warum ist Ihnen dann das Arbeitgebersiegel „Great Place to Work“ wichtig, das die Diakonie seit Jahren als eines von ganz wenigen Krankenhäusern deutschlandweit erhält?
Decker: Wir brauchten 2010 für ein Zertifizierungsverfahren eine Mitarbeiterbefragung und fanden den Namen cool – denn das ist ja unser Anspruch. Wir wurden auch direkt ausgezeichnet, weil wir bereits damals ein gutes Betriebsklima hatten, bekamen aber auch Rückmeldungen über Dinge, die im Argen liegen. Daran haben wir gearbeitet.
Slenczka: Gutes bleibt nicht automatisch gut. Man muss etwas dafür tun. Great Place hilft, das Thema präsent zu halten. Ich erlebe es immer wieder, dass Mitarbeitende sich darauf berufen, es einfordern und Vorgesetzte eine Verpflichtung verspüren, darauf hinzuwirken.
Was können sich privatwirtschaftliche Unternehmen vom Beispiel Diakonie abschauen?
Decker: Das sie – egal wie viel Arbeit sie haben – eine gute Kultur prägen können. Bei uns wird echt was weggeschafft, Work-Life-Balance ist hier mit viel Work verbunden. Wir haben mit Leiden und Tod zu tun – auch in der Geburtshilfe kommen nicht nur gesunde Babys zur Welt. Und trotzdem schaffen wir eine Unternehmenskultur, in der 93 von 100 Menschen sagen: Das Diakoniekrankenhaus ist ein guter Arbeitgeber.
Slenczka: Ich glaube, dass es auch etwas gibt, das man nicht rationalisieren kann. Das Gottvertrauen, das Wissen, getragen zu sein.