Wie überprüft man, ob ein Aufzug im Alltag und im Notfall funktioniert? Wir haben eine Erstabnahme in Teningen begleitet.
Text: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Lorenz Hornek
Oh Gott, die Decke kommt immer näher. Jakob Burgert vom TÜV Süd hockt auf dem Dach eines Aufzugs und fährt nach oben. So weit, bis nur noch 100 Zentimeter zwischen Betondecke und Aufzug bleiben. Genau dahin wollte der Prüfer. Er packt einen Zollstock aus und misst an allen Ecken die tatsächlichen Abstände, weniger als 100 Zentimeter dürfen es nicht sein. „Das ist der Schutzraum für den Monteur, falls der Aufzug bei einer Wartung unkontrolliert nach oben fahren sollte“, erklärt Burgert.
In Deutschland brauchen öffentliche Gebäude, die mehr als ein Stockwerk haben, und private Wohnhäuser, die höher als zwölf Meter sind, einen Aufzug. Und jede dieser Anlagen muss regelmäßig gewartet, geprüft und abgenommen werden. Die Erstabnahme ist die umfangreichste, danach sind jährliche Prüfungen vorgesehen, davon alle zwei Jahre eine Hauptprüfung. Die TÜV Süd Industrie Service GmbH, eine Tochter des TÜV Süd Konzerns, gehört zu den ZÜS – den Zugelassenen Überwachungsstellen, die Aufzüge prüfen dürfen – und ist in der Region Südbaden für insgesamt 12.500 Fahrstühle zuständig. Jakob Burgert hat Maschinenbau in Offenburg studiert und arbeitet seit 2016 bei TÜV Süd Industrie Service in Freiburg. Dort ist der 37-Jährige als Gruppenleiter für zwanzig weitere Sachverständige verantwortlich. Er und seine Kollegen der Fördertechnik prüfen neben Aufzügen unter anderem Spielplätze, Wasserrutschen, Förderbänder, Skilifte, Krananlagen – alles Geräte, mit denen Menschen befördert werden.
Wir treffen uns Anfang Oktober in Köndringen, einem Stadtteil von Teningen. Hier bekommt die Nikolaus-Christian-Sander-Schule eine neue Turnhalle. Basketballnetze und Turnringe hängen bereits, die Umkleidekabinen und Toiletten sind noch Baustellen, ein paar Arbeiter werkeln am Lichtsystem. Und im ersten Stock zeigt Techniker Daniel Trautwein von der Aufzugsfirma Kone dem TÜV-Süd-Prüfer, dass der Aufzug funktioniert. Kone gehört neben Haushahn, Schindler und Thyssen Krupp zu den führenden Aufzugsfirmen. Das 1910 gegründete finnische Unternehmen beschäftigt rund 55.000 Mitarbeitende in 60 Ländern. Der deutsche Hauptsitz ist in Hannover, in Südbaden gibt es mehrere Niederlassungen.
Alles im Lot
Zunächst wird das Gegengewicht gecheckt: mehrere Betonscheiben, die übereinandergestapelt befestigt sind. Dazu muss man wissen: Die Seile, an denen die Aufzugskabine aufgehängt ist, laufen über eine am Antrieb befestigte Treibscheibe. Das Gegengewicht geht auf der einen Seite runter, die Kabine hoch. Das Gegengewicht muss so eingestellt sein, dass es sich bei halber Beladung des Aufzugs genau im Lot hält. In diesem Aufzug sind acht Personen beziehungsweise 630 Kilo als Maximum angegeben. Jakob Burgert checkt sein Datenblatt: „Die Kabine wiegt 637 Kilo, das Gegengewicht 889 Kilo. Jetzt schauen wir, ob das so passt.“
Dafür bringt Jan Kanzinger Gewichte: etliche rostbraune Henkelscheiben aus einem Betonmetallgemisch, jeweils 25 Kilo schwer. Kanzinger ist Verkaufsleiter bei der gleichnamigen Bötzinger Firma, die mittlerweile auf die Vermietung, Wartung und Service von Land-, Bau- und Weinbaumaschinen spezialisiert ist. Früher hat der Fachbetrieb hauptsächlich mit verschiedenen Gewichten unterschiedliche Eichaufträge ausgeführt: für Messwiegesysteme, Förderbänder, Aufzüge oder Kräne. „Heute kommen wir nur noch bei Erstabnahmen, der Rest läuft digital“, sagt Jan Kanzinger und schiebt einen Klotz nach dem anderen in die Aufzugskabine, bis die Halblast erreicht ist. Der Aufzug fährt los, Daniel Trautwein misst nach, Jakob Burgert notiert. Alles passt. Ein falsch eingestelltes Gegengewicht sei der häufigste Mangelgrund bei der Erstabnahme, erklärt der Prüfer.
Nach diesem Test fährt der Aufzug einmal mit Nenn- und danach mit Überlast. 25 Prozent mehr wuchtet Jan Kanzinger in den kleinen Raum. Eigentlich muss der Aufzug jetzt piepsen, blinken und stehenbleiben. Für die Prüfung wird die Sicherheitseinrichtung überbrückt, um zu sehen, ob die Notfallsicherung funktioniert. Vier Stahlseile halten die Kabine, jedes mit zwölffacher Sicherheit. Das heißt, selbst wenn drei Seile reißen, ist da immer noch eins, das zwölf solcher Kabinen halten könnte. Auch das Bremssystem ist redundant aufgebaut: Es gibt zwei Bremsen, die beide greifen, obwohl nur eine reichen würde. „Ein Aufzug ist wahrscheinlich eines der sichersten Beförderungsmittel, die es gibt“, sagt Jakob Burgert.
Und falls alles schiefgeht, gibt es immer noch eine Notbremse: die Fangvorrichtung. Sie greift, wenn der Aufzug zu schnell wird. Dieser hier fährt mit einem Meter pro Sekunde. „Wenn der Aufzug in Übergeschwindigkeit kommt, löst der mechanische Geschwindigkeitsbegrenzer die Fangvorrichtung aus, die sich links und rechts in die Schienen krallt und die Kabine stoppt, damit sie nicht auf den Boden knallt“, erklärt Jakob Burgert. Plötzlich gibt es einen lauten Knall. „So hört sich das an“, sagt der Profi, der für die Prüfung einen solchen extremen Fehlerfall simuliert hat. Der 125 Prozent überbeladene Aufzug steht, darf nicht mehr weiterrutschen. Jakob Burgert klettert in den Schacht, um die Rillen an den Schienen, die die Fangzange verursacht hat, zu prüfen und im Anschluss wegzuschleifen. Sobald Jan Kanzinger die Gewichte entfernt hat, stellt sich Burgert erneut in den Schacht. Diesmal ganz nach unten, geht langsam in die Hocke und lässt den Aufzug auf sich zukommen. Auch hier sollen mindestens 100 Zentimeter zwischen Boden und Kabine bleiben. Beklemmend sieht das aus, Angst hat der Prüfer aber nicht. Er ist Vater von drei Kindern: Auf Spielplätzen schüttele er deutlich häufiger den Kopf als jemals in irgendeinem Fahrstuhl, erzählt er. Wenn in einem Lift etwas schief geht, liegt es entweder an Selbstverschulden oder an äußeren Umständen wie Staub oder Dreck, die die Türen blockieren oder die Lichtschranke beeinträchtigen. Dann kann man auch mal steckenbleiben.
Länger als 30 Minuten darf es aber nicht dauern, bis die Rettung anläuft. Dafür gibt es in jedem Lift einen Notrufknopf, der rund um die Uhr von echten Menschen besetzt sein muss. Der Alam landet in den Notrufzentralen bei Aufzugsfirmen wie Kone oder bei deren Dienstleistern, die die Rettung in die Wege leiten. Jakob Burgert überprüft die Gegensprechanlage. Eine Frauenstimme antwortet nach wenigen Sekunden. Eine halbe Minute später ruft sie zurück. Funktioniert.
„Weil das die Norm sagt“
Zum Abschluss werden die Haustechniker der Schule und Turnhalle unterwiesen: Wie können sie im Notfall die Menschen erreichen, die im Aufzug steckengeblieben sind? Der TÜV-Süd-Prüfer führt vor: klopfen, beruhigen, Strom ausschalten, checken, wo die Kabine hängen geblieben ist, den Lift über die Notbefreiungseinrichtung in die Haltestelle fahren, Türen aufschieben, Menschen rausholen. „Das dürfen nur Personen machen, die eine spezielle Aufzugswärterschulung bekommen haben“, betont Burgert. Auf keinen Fall sollen Eingeschlossene versuchen, sich selbst zu befreien. Das sei lebensgefährlich. Die Männer nicken und begutachten die Rettungsleiter, die Jakob Burgert hervorzieht und mit dem Zollstock nachmisst. Sie muss mindestens 1,10 Meter aus dem Schacht ragen. Warum 1,10 Meter? „Weil das die Norm sagt“, antwortet Burgert.
Insgesamt dauert die Prüfung rund drei Stunden. Die Turnhalle hat nur zwei Stockwerke, da geht es recht flott. Die jährlichen Wiederholungsprüfungen sind mit ein bis zwei Stunden veranschlagt. Die Erstabnahme wird dabei von der Aufzugsfirma bezahlt, alle weiteren von den Betreibern beziehungsweise in Wohnhäusern von den Eigentümern. Die Anforderungen an Aufzüge sind überall gleich, ob Schule, Mehrfamilienhaus, Altersheim oder Krankenhaus. „Eine Ausnahme sind Feuerwehraufzüge, wie es sie zum Beispiel in der Studentensiedlung gibt“, sagt Jakob Burgert. Die funktionieren auch im Brandfall und dienen der Feuerwehr als Evakuierungsaufzug oder zur Brandbekämpfung, der Rauch muss durch den Schacht abgezogen werden, die Technik ist spritzwassergeschützt, der Aufzug läuft bei Stromausfall mit Notstrom statt mit Akku. Und auch bei der Prüfung gibt es Besonderheiten: „In der Freiburger Uniklinik prüfen wir die Aufzüge, die in die Operationssäle führen, in der Nacht, weil sie tagsüber im ständigen Gebrauch sind.“
Früher gab es einen Maschinenraum über den Aufzügen, bei modernen Aufzügen befindet sich der gesamte Antrieb im Schacht und die Steuerung funktioniert elektronisch. Das heißt, der Prüfer muss nicht alles aus- oder nachmessen, viele Zahlen spuckt der Computer aus. Daniel Trautwein misst und sagt an, Jakob Burgert fragt, testet, überprüft, hakt ab. Es ist ein bisschen wie Lego spielen: Einer baut einen Turm, der andere wackelt daran und schaut, ob er hält. Eigentlich ist es beim TÜV Süd noch eindeutiger: „Entweder erfüllt eine Anlage die Prüfnorm oder nicht“, sagt Jakob Burgert. „Bei uns gibt es keinen Graubereich, es gibt nur Schwarz oder Weiß.“ Am Ende der Prüfung zieht er einen Aufkleber im Innenraum ab, er hatte das CE-Zeichen abgedeckt, das erst nach erfolgreicher Erstabnahme durch den TÜV Süd zu sehen sein darf.