Kompetenz schlägt Klischee: Anja Hofstetter ist Geschäftsführerin des Ingenieursbüros Walter & Reinhardt in Herbolzheim und behauptet sich als Frau in der männerdominierten Baubranche.
VON DANIEL RUDA
Hinter dem Schreibtisch von Anja Hofstetter in der Herbolzheimer Innenstadt reihen sich die großen Baupläne an der Wand über mehrere Meter aneinander. Die künftige neue Produktionshalle eines Pharmaunternehmens ist darauf aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Alles unterfüttert mit Linien, Zahlen, Buchstaben. Es hat ein bißchen was von einer Galerie, einer sehr technischen eben. Anja Hofstetter ist Bauingenieurin.
Wenn es um Architektur geht, spricht die 50-Jährige gern von „künstlerischen Ideen“, bevor sie auf ihre eigene Arbeit inner-halb eines Bauprojekts eingeht. „Ich muss diese Ideen umsetzen, das ist immer wieder herausfordernd“, weil Gebäude eben immer unterschiedlich seien. „Wir bauen nur Prototypen.“
Hofstetter ist dabei für die Statik verantwortlich, Tragwerks-planung heißt das im Fachjargon. Es ist ihr Fachgebiet und das des Ingenieurbüros Walther & Reinhardt, dessen Geschäftsführerin sie seit sechs Jahren ist – gemeinsam mit Walter Reinhardt. 13 Angestellte haben sie.
„Ich hatte das nie geplant“, sagt die Ortenauerin über ihre Rolle als Unternehmerin in Führungsposition. Durch ihre gute Arbeit hatte es sich letztlich ergeben, dass sie nicht mehr nur einzelne Projekte realisiert, sondern nach dem altersbedingten Ausscheiden ihres Vorgängers die Gesamtverantwortung für das Ingenieursbüro mit übernahm, in dem sie seit 2008 tätig ist.
Dass in der männerdominierten Baubranche ihre fachliche Kompetenz immer mal wieder in Frage gestellt wird, weil sie eine Frau ist, will sie nicht groß zum Thema machen. Aber es gehört nun mal zu ihrem Arbeitsleben dazu. Sie kann da Geschichten erzählen. Ob in ihren ersten Berufsjahren von sexistischen Sprüchen bei der Baustellenabnahme oder von Telefonaten wie dem vor ein paar Wochen, als der Mann am Hörer Nachhilfe brauchte, bis er begriff, dass er nicht weiter-verbunden werden muss, da er schon mit der Geschäftsführerin spreche, und die auch noch Ingenieurin ist.
„Es ist erschreckend, dass sich das Denken in Bezug auf Frauen in technischen Berufen bei vielen Männern nicht verändert hat“
anja Hofstetter
„Es ist erschreckend, dass sich das Denken in Bezug auf Frauen in technischen Berufen bei vielen Männern nicht verändert hat“, fasst Anja Hofstetter dieses Dilemma zusammen, mit dem sie immer mal wieder konfrontiert wird. Sie kann darauf souverän reagieren.
Eine Azubi-Stelle hat das Büro, dass zuletzt eine junge Frau hier Bauzeichnerin wurde und nun studieren möchte, freut sie daher besonders. Hofstetter ging in den Neunzigern den gleichen Weg.
Mathe und Physik, das waren die Fächer, die ihr in der Schule lagen, zudem interessierte sie sich für Architektur. Statt direkt nach dem Abitur zu studieren, machte sie erst einmal eine Ausbildung zur Bauzeichnerin – „damals noch analog am Brett“. Von diesen Grundlagen zehre sie heute noch.
Der nächste Schritt war dann das Studium, bei der Abwägung zwischen Architektur und Bauingenieurwesen gewann letzteres. „Berechnungen liegen mir mehr als das Künstlerische.“ An der Fachhochschule Konstanz schloss sie in der Fachrichtung Konstruktiver Ingenieurbau 1997 das Studium ab und begann in einem Ingenieurbüro in Kippenheim nahe Lahr. Dort blieb sie elf Jahre, ehe sie nach Herbolzheim wechselte.
Um 7 Uhr morgens sitze sie hier normalerweise am Schreib-tisch, sagt Anja Hofstetter. In den ersten ein, zwei Stunden des Arbeitstages lasse sich dann einfach mehr schaffen, „weil man in Ruhe arbeiten und auch mal Dinge auf der To-Do-Liste erledigen kann, zu denen man sonst nicht kommt“. Zudem geht es auf den Baustellen ja auch immer früh los und es könnte Nachfragen bei der Ingenieurin geben.
Sie versuche aber, nicht bis spät abends im Büro zu bleiben, schiebt sie gleich hinterher. Das klappt oftmals zwar nicht, aber sie achte inzwischen darauf, dass sie dem Arbeitsstress deutlicher entgegenwirke, nachdem sie vor ein paar Jahren ernsthafte Herzprobleme bekam. „Daraus habe ich gelernt“, sagt Anja Hofstetter und wirkt dabei entspannt. Zum Ausgleich betreibt sie Yoga oder fährt gerne Mountainbike, beides mache auf eigene Art den Kopf frei.
Sie ist auch Mitglied im Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU). Themen wie der Umgang mit den eigenen Kräften sind im weiblichen Wirtschaftsverband auch immer wieder Thema. „Mir tut es allgemein gut, mich mit anderen Unternehmerinnen auszutauschen, weil ich dadurch Einblicke in ganz andere Bereiche gewinnen kann“, sagt Hofstetter. Auf den VdU aufmerksam geworden ist sie vor drei Jahren zuerst durch Artikel in netzwerk südbaden. Bei einer Netzwerkveranstaltung des Wirtschaftsmagazins kam sie dann mit einer Vertreterin des Verbands ins Gespräch und wurde schließlich Mitglied.
Als offenes unkompliziertes Netzwerk beschreibt sie den VdU. Eigenschaften, die sich auch einige Männer unbedingt mal zulegen sollten.
Dieser Artikel erschien in der September 2020-Ausgabe unseres Printmagazins.