Trotz oder gerade wegen des angespannten Buchmarkts gründet Matthias Grüb einen Verlag. Rund zwölf Titel mit regionalen Themen aus dem Südwesten sollen ab diesem Herbst jährlich im Freiburger 8 Grad Verlag erscheinen. Über ein ambitioniertes Vorhaben und einen mutigen Unternehmer.
VON CHRISTINE WEIS
Der Buchmarkt ist umkämpft. Die Verlage buhlen um die Gunst einer ohnehin schwindenden Leserschaft. Der mächtige Onlineriese Amazon schmälert den Umsatz des stationären Buchhandels. Es gibt immer weniger unabhängige Buchhandlungen und Verlage – in beiden Lagern wird kräftig fusioniert. Filialisten und große Verlagshäuser sind die Player im Markt. Man kann diese Situation als Krise verstehen – oder als Chance.
Der Mediziner Matthias Grüb ist von letzterem überzeugt und gründet gerade jetzt seinen Buchverlag namens 8 Grad. „Ich zettle keinen Kulturkampf an, aber ich will dem Verlust der Vielfalt entgegenwirken“, sagt der 49-Jährige. Es ärgere ihn seit langem, dass in den Buchhandelsketten überall dieselben Bücher verkaufswirksam präsentiert seien.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamts bestätigen seine Wahrnehmung: Demnach setzten die 3.000 Buchverlage in Deutschland im letzten Jahr rund fünf Milliarden Euro um. Mehr als vier Milliarden Euro verteilen sich dabei auf 60 Verlagshäuser. Laut Media Control sind es etwa eine Million Titel, die sich 273 Millionen mal verkauften. In den oberen Rängen der Bestellerliste rangieren zwei Thriller von Sebastian Fitzek oder Hape Kerkelings Katzenbuch.
“Ich zettle keinen Kulturkampf an, aber ich will dem Verlust der Vielfalt entgegenwirken.“
Matthias Grüb
Mit all diesen will Grüb nicht in Konkurrenz treten, das wäre auch naiv. Seine Passion sind nicht die Pageturner im Paperback, sondern das Potenzial von Deutschlands Südwesten. Der Name „8 Grad“ umreißt das Gebiet: Der achte Längengrad zieht sich von Norden nach Süden durch Baden-Württemberg. Dass ein Arzt einen Literaturverlag leitet, ist ungewöhnlich, doch genau der branchenferne Blick von außen sei ein Vorteil.
Ein brancheninternes Netzwerk habe sich indes nach und nach rasch geknüpft. Sein Team besteht aus Verlagsprofis – der ehemalige Tübinger Verleger Hubert Klöpfer gehört als Berater dazu, ebenso wie die erfahrene Programmleiterin Victoria Salley (sie war unter anderem tätig in den Verlagen Frech, Prestel, Christian) oder Buchgestalterin Julie August, die zehn Jahre beim renommierten Klaus Wagenbach Verlag alle Cover entwarf.
Von Hemingway bis Musikbusiness
Etwa zwölf literarische, landeskundliche und kulturhistorische Titel mit Bezug zum Südwesten sollen zukünftig in dem neuen Freiburger Verlag jährlich erscheinen. Dazu zählen Romane, Biografien, Essays, Reiseberichte, Sachbücher und Kalender.
„In Form und Inhalt haben wir uns der Nachhaltigkeit verschrieben, dabei entstehen ästhetische und hand-werklich schön gestaltete Bücher mit anspruchsvollen Inhalten, ausschließlich in Deutschland produziert“, heißt es in der Programmvorschau. Die ersten Bücher erscheinen im Oktober, mit diesen präsentiert sich der Verlag auch auf der Buchmesse in Frankfurt.
Die angekündigten Bände klingen vielversprechend. Der Berliner Autor Thomas Fuchs folgt den Spuren Ernest Hemingways. Genau vor 100 Jahren war der US-amerikanische Schriftsteller mit seiner Frau Hadley für drei Wochen im Schwarzwald. Das Paar wohnte im Parkhotel Wehrle in Triberg. Sie wanderten von Waldkirch nach Oberprechtal, wo sie im Gasthof Rössle einkehrten und fischten Forellen in der Elz. Währenddessen schrieb Hemingway Reportagen für die kanadische Zeitung „Toronto Star“. Diese Reise machte ihn zu dem Autor, den wir heute kennen – heißt es in der Ankündigung des Verlags. Auf die Einlösung dieser steilen These darf man gespannt sein.
Weitere Titel sind ein Portrait über die Stuttgarter Frauenrechtlerin Anna Haag, ein Roman über den Bürgerprotest Anfang der 1980er Jahre gegen die Stationierung von Atomwaffen in Süddeutschland und eine Coming-of-Age-Geschichte von Frank Maier. Der ehemalige Musikredakteur und Labelmacher schreibt über die Glitzerwelt des internationalen Musikbusiness, die für ihn im Wiley Club in Neu-Ulm begann. Jan Müller, Bassist der Band Tocotronic, nennt Maiers Buch „Warum die Liebe den Idioten überlassen?“ jetzt schon einen großen Gewinn.
Arzt und Büchermensch
„Seit ich lesen kann, bin ich verrückt nach Büchern“, sagt Matthias Grüb, der im schwäbischen Geislingen an der Steige aufgewachsen ist und heute mit seiner Familie in Freiburg lebt. Am Gymnasium belegte er Deutsch als Leistungskurs. Gefragt nach der Lektüre aus jener Zeit nennt Grüb Hermann Hesse, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Zunächst wollte er Germanistik studieren. Sein Vater, ein Optiker und Pragmatiker, riet ihm damals davon ab: Das literarische Fach biete keine ordentliche berufliche Perspektive. Grüb entschied sich für Medizin, studierte in Leipzig, Tübingen und Wien, ist Professor an der der Universitätsaugenklinik in Tübingen und übernahm 2006 in Breisach eine Praxis. „Ich bin sehr gerne Augenarzt und werde das auch bleiben“, bekennt Grüb. Dennoch macht er jetzt aus seiner Buchleidenschaft ein zweites berufliches Standbein. Es sei kein Hobby, das Verlagsgeschäft betreibe er ernsthaft, wirtschaftlich orientiert – und mit großer Lust.