Die Gamebranche boomt. Zu den größten deutschen Spielestudios gehören die Black Forest Games, die seit 2012 Videospiele in Offenburg entwickeln und zuletzt internationale Erfolge erzielten.
VON STEPHAN PETERSEN
Am Anfang war Giana. Ohne sie hätte der Offenburger Videospielhersteller Black Forest Games vermutlich nicht in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiern können. Bei der Dame handelt es sich allerdings nicht um eine reale Person. Giana ist die Spielfigur im Jump’n’Run-Videospiel „Giana Sisters: Twisted Dreams“. Das erschien 2012 und war das erste (und erfolgreiche) Projekt der Black Forest Games. Kurz zuvor war der Offenburger Spieleentwickler Spellbound Entertainment insolvent gegangen, und fünf ehemalige Mitarbeiter hatten daraufhin die Black Forest Games gestartet. Die Gründer sind heute noch allesamt in führenden Positionen im Unternehmen, unter anderem Geschäftsführer Adrian Goersch, der zusammen mit Andreas Speer das Unternehmen leitet.
Das Unternehmenskonzept basierte in den Anfangsjahren auf drei Säulen: Nicht-Gaming-Arbeiten, Auftragsarbeiten im Medienbereich und eigene Game-Projekte. „Wir haben alle drei gebraucht“, sagt Goersch im Rückblick. Mit dem Verkaufserfolg von „Giana Sisters: Twisted Dreams“ konnte Black Forest Games weitere Spieleentwicklungen finanzieren. Die ersten fünf Jahre waren dennoch eher unruhig. Immer wieder mussten Ressourcen zulasten der Qualität aus der Game-Entwicklung abgezogen und in andere Auftragsarbeiten gesteckt werden. Zudem waren die beiden Geschäftsführer stets auf der Suche nach Publishern und Investoren.
Publisher ist aus Österreich
Das änderte sich 2017 mit der Übernahme von Black Forest Games durch den österreichischen Verlag – beziehungsweise Publisher, wie es in der Spielebranche heißt – THQ Nordic. „Wir müssen keinen Abnehmer für unsere Spiele finden, sondern können sie direkt über THQ Nordic pitchen“, erklärt Goersch. Die Übernahme hätte zu mehr Sicherheit geführt und einen größeren finanziellen Spielraum eröffnet. Die Investorensuche gehört seither der Vergangenheit an, Black Forest Games kann sich komplett auf die Entwicklung konzentrieren. „Die Spiele werden dadurch besser“, meint Goersch. Die jüngsten Veröffentlichungen geben ihm Recht. Die schwarzhumorigen Actionspiele „Destroy All Humans!“ (2020) und „Destroy all Humans! 2 Reprobed“ (2022) kamen bei den Fans gut an und sind – was noch wichtiger ist – Verkaufserfolge.
„Wir müssen keinen Abnehmer für unsere Spiele finden, sondern können sie direkt über THQ Nordic pitchen.“
Adrian Goersch, GEschäftsführer Black Forest Games
Bei beiden Spielen handelt es sich um Remakes eines international bekannten Videospiel-Franchise. Das ist ein weiterer Vorteil für Black Forest Games: Sie können eigene Ideen einbringen, aber auch auf die international bekannten Videospielmarken von THQ Nordic zurückgreifen. „Die beiden „Destroy all Humans“ sind die größten Projekte, die wir je gemacht haben“, sagt Goersch und spricht von einem „Meilenstein“, der den internationalen Bekanntheitsgrad von Black Forest Games deutlich erhöht hat.
In den vergangenen Jahren ist der Videospielhersteller stetig gewachsen. Mittlerweile arbeiten rund 110 Mitarbeiter im ehemaligen Postgebäude neben dem Offenburger Bahnhof. Die auf zwei Ebenen angesiedelten, 1800 Quadratmeter großen Räume, in denen Office-Manager Mischa Strecker herumführt, wirken wie eine Oase für Kreativität: hell, bunt, modern, ein Aufenthaltsraum mit stylishen Barhockern und Spielautomaten, ein Ruheraum, eine Kletterwand und ein Fitnessbereich.
Spielentwicklung ist teuer
„Das Hauptteam arbeitet immer an einem Projekt“, sagt Goersch. Ein kleiner Teil ist mit der Beseitigung von Bugs, technischen Fehlern, im zuletzt veröffentlichten Spiel beschäftigt. Ein anderer Teil arbeitet in der Schlussphase einer Spieleentwicklung bereits an Ideen für ein neues Projekt. Dabei versucht man laut Goersch ein Spiel zu entwickeln, das sich später auch verkauft. „Denn Spieleentwicklung ist teuer und man arbeitet lange daran“, erläutert der Geschäftsführer. Bei der „Destroy all Humans!“-Fortsetzung waren es zweieinhalb Jahre.
Am Standort Offenburg schätzt Goersch die Nähe zu Frankreich und der Schweiz. Ausländische Mitarbeitende bestätigten ihm die offene und tolerante Atmosphäre. Menschen aus 20 Nationen arbeiten für Black Forest Games. Englisch ist – typisch für die Videospielbranche – die Arbeitssprache. Es wäre leichter, in Frankfurt oder Berlin zu rekrutieren. Eine Standortverlagerung kommt für Goersch dennoch nicht in Frage: „Alle Key-Leute sind mit ihren Familien in der Region verankert.“ Im Gegenteil sieht er sogar Vorteile, die er offensiv bewirbt: die Natur im sonnenverwöhnten Dreiländereck, den Schwarzwald und die Vogesen, die sportlichen Möglichkeiten und die Nähe zur Europahauptstadt Straßburg. Etwa jeder fünfte Angestellte pendelt aus Frankreich nach Offenburg.
Die Ausbildungs- und Studiensituation in Deutschland bewertet der Studiochef sehr gut. Als Beispiele nennt er die Games Academy in Berlin und die Hochschule Furtwangen. Mit letzterer arbeitet Black Forest Games eng zusammen und bietet Studenten Praktika an. Die Studiengänge an vielen Fachhochschulen seien richtig gut geworden. Zudem lobt Goersch die im September 2020 eingeführte Game-Förderung des Bundes, von der Black Forest Games bereits profitieren konnte. Damit sei Deutschland auf dem richtigen Weg: „Das geht in die Richtung, was Frankreich und England bieten“. In anderen Ländern bestehen seit vielen Jahren nachhaltige und erfolgreiche Fördersysteme.
Deutschland ist hinterher
Insgesamt hat Deutschland allerdings Nachholbedarf. Der Anteil deutscher Unternehmen auf dem heimischen Markt für Video- und Computerspielen lag 2020 bei gerade einmal 4,2 Prozent. Konkret: Die Deutschen kauften für 4,5 Milliarden Euro bei Spieleherstellern ein, doch nur 191 Millionen gingen dabei an Produktionen aus Deutschland. Adrian Goersch sieht Deutschland in der Games-Entwicklung weit hinterher. Eine Großproduktion wie „Destroy all Humans“ ist hierzulande die Ausnahme.
In Deutschland gibt es keinen großen Publisher. Auf europäischer Ebene tummeln sich immerhin einige Schwergewichte. Die weltweiten Marktführer kommen aber aus den USA und aus Asien. Schon längst hat die Spielebranche die Film- und die Musikindustrie überflügelt, erwirtschaftet deutlich höhere Milliardengewinne. Immerhin beginnt ein Umdenken. Am 10. November hat das EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit die Kommission und den Rat der Europäischen Union aufgefordert, eine nachhaltige Games-Strategie zu entwickeln, um den Ausstoß europäischer Produktionen zu erhöhen, die Abhängigkeit von Importen zu verringern und mehr Investitionen auszulösen – damit es in Zukunft mehr Großprojekte aus Europa und aus dem Schwarzwald gibt.