„Was wichtig wird“ – so war der Freiburger Mittelstandskongress dieses Jahr überschrieben. Es ging um Megatrends, die Generation Z, Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit und die Aufregungsdemokratie. Zwei Redakteurinnen von Netzwerk Südbaden waren vor Ort, die Redaktionsleiterin als Moderatorin auf der Bühne. Ein Bericht.
Text: Julia Donáth-Kneer und Susanne Maerz | Foto: Attila Jozsef
„Das Einzige, was im Leben Bestand hat, ist der Wandel.“ Mit diesen Worten eröffnet Philipp Zentgraf den 19. Freiburger Mittelstandskongress (FMK) Mitte Oktober im Freiburger Konzerthaus. Dass er diese wohlbekannten Worte wählt, hat einen guten Grund: Denn der Chef der Zentgraf-Gruppe übergibt die Geschäftsführung des Kongresses nach drei Veranstaltungen an Florian Städtler von Spielplan 4. Dieses Jahr kümmerte sich Städtlers Unternehmen bereits ums Eventmanagement. Als Kurator wirkte nach wie vor FMK-Gründer Günter Monjau. Dieter Salomon bringt die aktuelle wirtschaftliche Lage auf den Punkt. „Langsam dämmert’s uns, dass wir ein Problem haben“, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein in seinem prägnanten wie unterhaltsamen Grußwort und konstatiert: „Das deutsche Geschäftsmodell ist eigentlich kaputt.“ Der Export sei eingebrochen, Deutschland Schlusslicht in Europa. Deutschland habe es nach zwei Weltkriegen geschafft, das Land wieder aufzubauen und könne auch nun wieder aus der Krise herauskommen, „aber nur, wenn wir akzeptieren, dass wir ein Problem haben und uns neu erfinden müssen“, sagt Salomon und leitet damit zum Eröffnungsvortrag des Trend- und Zukunftsforschers Matthias Horx über. Dem nimmt er damit ein wenig die Butter vom Brot, sodass der Inhaber der Horx Future GmbH in Wien mit den Worten startet: „Das war die Rede des Tages. Die wesentlichen Inhalte sind eigentlich gesagt.“
Zukunftsforschung: An der Epochenschwelle
Das stimmt natürlich nicht, und es wäre schade, die geistreichen Worte des ebenso versierten Redners Horx zu verpassen. Unter dem Titel „Wie wir die Zukunft zurückgewinnen“ breitet er das, was Salomon anriss, im Detail aus und reichert es mit eigenen Schlussfolgerungen an, die dem aktuellen Pessimismus humorvoll begegnen und hoffnungsvoll klingen. Denn, so sagt er: „Unsere Vorurteile darüber, wie die Zukunft wird, stehen auf dem Prüfstand.“ Während man in den 1960er- und 70er-Jahen mit Freude nach vorne geschaut habe, empfinde man sie heute hingegen als etwas, das auf einem in einem dunklen Tunnel zurase.
Die Gegenwart ist für Horx eine Omnikrise, die aus acht miteinander zusammenhängenden Krisen besteht. Darunter Globalisierungs-, Klima- und Demokratiekrise. Begriffe wie Mobilität und Silver Society, mit denen man 20 Jahre lang Veränderungsprozesse beschrieben habe, würden nicht mehr funktionieren. Die sogenannten Megatrends der Vergangenheit hätten Gegentrends hervorgebracht. Ein Beispiel: „Die Globalisierung hat in vielen Teilen der Welt Nationalismus erzeugt“, sagt Horx. Dabei entstehe als Folge von Trend und Gegentrend nach einer Weile immer etwas Neues. „Globalisierung und Nationalisierung ist eine Paradoxie und führt zur Blockade“, sagt er. Man müsse nach Verbindungen suchen, die Zukunft bringe keine Ein-, sondern Mehrdeutigkeiten. Seine Wortschöpfung zu dieser Entwicklung: Glokalisierung Horx konstatiert: „Wir sind in einem Epochenwechsel.“ Das Problem in Turbulenzphasen wie dieser sei, dass „das Alte noch nicht aufgehört und das Neue noch nicht begonnen hat“ und man noch nicht wisse, auf was für eine Epoche man zusteuere. Im alten Rom oder im Mittelalter hätten die Menschen schließlich auch nicht gewusst, dass sie in dieser Epoche lebten. „Es ist möglich, dass das nächste Zeitalter das Solar Age ist“, sagt der Zukunftsforscher und nennt als Beispiele die riesigen Solarparks, die derzeit in den Wüsten entstehen, und die international betrachtet exponentiell steigende Zahl der Elektroautos. Das Problem: Die Veränderung werde in Deutschland so nicht wahrgenommen, sagt Horx und schiebt einen Appell hinterher: „Es geht darum, den Horizont zu verschieben.“
Generation Z: Zum Fan werden
Beim Vortrag von Felix Behm ist jeder Stuhl besetzt, und einige Leute stehen. „War der Titel zu provokant?“, fragt sich Behm, der seinen Talk „Kein Bock auf 08/15 Jobs – Was die Generation Z wirklich will“ genannt hat. Behm – selbst Jahrgang 1986, also kein Z-ler – gilt als einer der wichtigsten Speaker zum Thema. Beim Mittelstandskongress holt er weit aus: Er spricht über Boomer, die Generationen X, Y sowie eben Z und darüber, was wen prägt: „Die Generation Z wächst in dem Wohlstand auf, den die Boomer und die Generation X erschaffen haben“, sagt er. In der heutigen Arbeitswelt können sich die jungen Menschen Dinge erlauben, die die Älteren vielleicht auch gerne gehabt hätten, sich aber nicht zu fragen trauten. Dabei gehe es nicht nur um Work-Life-Balance, Urlaubsanspruch und Viertagewoche, sondern vor allem um Mitsprache: „Junge Leute wollen einen Vertrauensvorschuss und keinen Misstrauensvorschuss. Sie wollen sich einbringen“, sagt Behm, der auch Bücher zum Thema geschrieben hat („Generation Z – Ganz anders als gedacht: Wie sie tickt, wie sie handelt und wie wir ihr Potenzial erschließen“).
Die Generation Z komme aus ganz anderen Elternhäusern, erklärt der Experte. Und wenn sich Eltern ändern, müssen sich auch Führungskräfte wandeln. Nach der allgemeinen und sehr unterhaltsamen Einführung ins Thema präsentiert Behm Ideen, wie man die Gen Z erreichen könne: zum einen mit sinnstiftender Arbeit. Jeder Fünfte würde sich bei einem Unternehmen, das sich nicht mit Nachhaltigkeit beschäftigt, nicht mal bewerben. „Es reicht aber nicht, dass Sie das tun“, mahnt Behm. „Es muss auch irgendwo stehen. Sonst zählt es nicht.“ Für Führungskräfte heißt das außerdem: Ziele klar formulieren und auf Zwischenziele setzen – „die Aufmerksamkeitsspanne der Generation Tiktok ist kurz“, erklärt er. „Die jungen Leute müssen verstehen: What’s in it for me?“ Den zweiten Punkt nennt er Wertschätzung mit Kuschelfaktor: Feedback sei wichtig, vor allem, wenn man in einer Welt aus Likes aufwächst. Also: mehr Rückmeldung, Mitbestimmung, Erfolgsmeetings, rät der Experte. Er spricht noch über neue Lern- und Arbeitszeitmodelle, Jobrotation, Learning on demand und ähnliches. „Ob diese Entwicklung, die die Arbeitswelt nimmt, gut ist oder nicht, spielt keine Rolle“, betont Behm, der früher als Personalverantwortlicher in einem großen Klinikbetrieb gearbeitet hat. „Man muss lernen, damit umzugehen.“ Sein Fazit: „Wir sind schon oder werden Fan dieser Generation. Denn erstens haben wir keine andere und zweitens bringen die jungen Leute viele Dinge mit, die alle weiterbringen können. Wenn wir das bündeln und uns gemeinsam an den Tisch setzen, würde mich das als Brückenbauer dieser Generation unglaublich freuen.“
KI: Ausprobieren, aber das Gehirn gebrauchen
Auch Jens-Uwe Meyer, Vorstandsvorsitzender der Innolytics AG aus Leipzig, nimmt die Anwesenden in die Pflicht – passend zum Titel seines Vortrags „Chancen der Künstlichen Intelligenz erkennen und nutzen“. Erfrischend frei spricht der ausgebildete Polizeibeamte, der nach verschiedenen Stationen Vorstand eines auf Softwareentwicklung zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) spezialisierten Unternehmens geworden ist: „Meinen Vortrag könnte auch Chat GPT schreiben, ich könnte ihn in meinen Avatar packen – und zack, wäre ich überflüssig.“ Zum Glück schaltet er den Avatar gleich wieder ab und spricht selbst.
Am Anfang, so betont er mit Blick auf die Anwesenden, sei er auch kein KI-Experte gewesen, um dann eigentlich gleich die wesentliche Botschaft seines kurzweiligen Vortrages auf den Punkt zu bringen: „Wissen Sie, wie das Einspritzverfahren in Ihrem Auto funktioniert? Wir müssen nicht verstehen, wie KI funktioniert. Nur: Was kann KI, wie mache ich es nutzbar.“ Das bedeutet für Meyer: neue Geschäftsmodelle entwickeln, die richtigen Fragen stellen.
Und natürlich, „befinden wir uns gerade in einer Phase einer total schnellen Entwicklung“, sagt er. Ob Copilot von Microsoft oder Open AI – ständig gebe es Innovationen. Nach dem ersten Hype sei zunächst der „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ erreicht worden, dann das „Tal der Enttäuschungen“. Jetzt beginne die fachliche Auseinandersetzung. Der Vorteil der KI sei, dass sie auf das komplette Internet zugreifen und daher auf praktisch alle Fragen Antworten geben könne. Aber man müsse sie richtig anwenden können. Als Beispiel nennt Meyer ein Projekt seines Unternehmens: Ein Team überlegte, wie man die ISO-Zertifizierung automatisieren könne. Das Ergebnis: „KI liefert perfekte Ergebnisse, wie es die Sprache der Norm verlangt“, erklärt Meyer. ISO-Berater hätten natürlich kein Interesse daran, da es ihre Arbeit überflüssig mache. Daher würden sie die KI nicht pushen.
Was kann jedes Unternehmen tun? Auf jeden Fall nicht abwarten, sondern den Umgang mit KI lernen, rät Meyer. KI werde, so wie es beim Internet war und ist, nicht mehr verschwinden. Es sei wichtig, die Bedenken vieler Beschäftigter, KI könne sie ersetzen, ernst zu nehmen. Und man solle nicht als erstes fragen: Erlaubt der Datenschutz das? Sondern: Was kann ich damit erreichen? Er empfiehlt: Mit kleinen Projekten oder Anwendungsfällen beginnen, und dann, wenn es an einer Stelle funktioniert, die Datenschützer fragen, wie man den Prozess gestalten muss, dass dabei KI eingesetzt werden kann. Meyer empfiehlt den Anwesenden zu bedenken, dass die KI nicht perfekt sei und appelliert, fehlertolerant sein: „Lassen sie ihr Gehirn eingeschaltet.“
Cybersicherheit: Der Computer, dein Feind und Helfer
Nebenan geht es derweil um Cybersicherheit: Yona Raekow spricht über Cyberbedrohungen von kleinen und mittleren Unternehmen. Die Leiterin des Fachbereichs IT-Systeme beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in Bonn ist die perfekte Ansprechpartnerin für dieses Thema, schafft es aber leider nicht, ihren Vortrag aus der trockenen Ebene der Ministeriumsbürokratie und der schwer verständlichen Sprache von Gesetzestexten zu lösen. Sie referiert über den bedrohten Cyberraum in Deutschland, über die Gefahren, die vor allem Ransomware – also schadhafte Software, die sich von einem Rechner aufs ganze Netzwerk ausbreiten will – anrichten kann. Sie sagt, das BSI und andere Stellen entdeckten durchschnittlich eine Viertelmillion neue Schadprogrammvarianten täglich. Mehr als 2000 Softwareschwachstellen, darunter 15 Prozent, die als kritisch eingestuft werden, würden Monat für Monat bekannt. Daher sei es entscheidend, die Firmensoftware immer auf dem neuesten Stand zu halten und auf die Warnungen des BSI mit entsprechenden Maßnahmen zu reagieren, um Sicherheitslücken zu schließen. Denn das machten nach wie vor viel zu wenige Unternehmen, mahnt die Expertin. Deutschland sei im europäischen und weltweiten Vergleich schlecht aufgestellt, es gebe hierzulande eine viel zu hohe Anzahl verwundbarer Microsoft-Exchange-Server.
Raekow nennt Regeln für Cybersicherheit. Nummer 1: Jeder wird angegriffen. Es gibt keine Ausnahmen. „Identifizieren Sie Ihr Risikoprofil und Ihre Kronjuwelen“, erklärt die IT-Fachfrau. „Sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeitenden und sichern Sie Ihre Systeme so gut wie möglich ab.“ Regel Nummer 2: Früher oder später werden alle Schutzmaßnahmen versagen. „Erarbeiten Sie ein Notfallkonzept und bereiten Sie die Einholung externer Hilfen vor“, betont Raekow. Hinter ihr an der Wand prangt der Satz „Befolgen Sie eine Back-up-Strategie“. Jemand aus ihrem Team hat ihn mit fünfzehn roten Ausrufezeichen versehen. Im Anschluss erläutert sie Fakten zur neuen NIS-2-Richtlinie, die die Cybersicherheit auf ein gemeinsames Niveau heben soll, spricht über den Cyberrisikocheck des BSI – „so etwas wie das Seepferdchen der Cybersicherheit“ – und erklärt, welche Schulungen, Kontaktmöglichkeiten und Angebote es vor allem für KMU gibt.
Obschon einige Stühle leer blieben, sind doch diejenigen, die zuhören, bei der Sache, und bei der Fragerunde am Ende entspinnt sich ein Fachgespräch auf Augenhöhe.
Krisen meistern: Warum jedes kleine Rädchen wichtig ist
„Mit Mut, Empathie und Disziplin Krisen meistern und die Schallmauer durchbrechen“ hat Nicola Winter ihren Vortrag überschrieben – zweifellos das unterhaltsamere Thema. Die Pilotin und Astronautin in Reserve holt die Unternehmerinnen und Unternehmer in ihrem Alltag ab, auch wenn die Vergleiche, die sie zieht, aus einer völlig anderen Lebenswelt kommen. Nicola Winter, ein 1,60-Meter großes Powerpaket, träumte mit 16 Jahren davon, Jetpilotin bei der Bundeswehr zu werden. Ihr Vorbild: Tom Cruise im Kinoklassiker Top Gun. Häufig wurde sie belächelt, sie, die kleine, zierliche Frau, wie soll das gehen? Winter ließ sich von solchen Einwänden nicht beirren, recherchierte und fand heraus: „Ich kann dieser Vision folgen“, berichtet sie und fügt mit Blick auf die Anwesenden hinzu: „Es ist wichtig, eine Vision zu haben, der man folgen kann.“ Natürlich müsse man sich bewerben und pitchen. Und natürlich wollte sie nicht scheitern. „Egal wie oft wir es heute auf Linkedin lesen: Scheitern fühlt sich nicht geil an“, sagt sie und spricht so manchem der Teilnehmenden aus der Seele. Auch wenn man alles gebe, komme man manchmal woanders an. „Meist ist das dann trotzdem das richtige Ziel“, sagt sie.
Nicola Winter hat vieles erreicht, was sie wollte und dann doch anderes gemacht: Sie wurde Jetpilotin bei der Bundeswehr, flog den Eurofighter, ließ sich aber auch als Rettungssanitäterin ausbilden, studierte ebenso, arbeitet als Speakerin und wurde als Astronautin der Reserve bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA ausgewählt. In ihrer Zeit als Pilotin, von der sie immer wieder berichtet und Fotos von sich in der Luft, allein oder in einer Formation mit anderen zeigt, hat sie viel mitgenommen, was zur Arbeit im Unternehmen passt. Ein Beispiel: „Eine Pilotin kann nichts außer fliegen. Sie braucht das Team um sich herum“, sagt Winter. Das sei in Unternehmen ähnlich, wo ohne die Leute in Buchhaltung oder Controlling auch nichts gehe. Wieder zieht sie einen Vergleich zur Bundeswehr, nennt den Tanklastfahrer. Der brauche einen Führerschein und sonst keine vergleichbare Ausbildung wie sie. So dürfe sie ihn aber nicht behandeln. Wenn er deshalb nicht zur Arbeit kommt, habe sie ein Problem. „Er ist für meinen Job unerlässlich. Ich kann den Jet wirklich nicht betanken.“ Jeder sei ein wichtiger Teil eines Teams, betont sie.
Beispiel zwei: Projektmanagement. Das funktioniert bei einem Bundeswehrflug in der Reihenfolge Planen, Besprechen, Machen und Nachbesprechen. „Beim Briefing ist entscheidend, dass alle dabei sind, die am Projekt beteiligt sind, nicht nur die Chefs“, sagt Winter. Und: „Zwei Drittel der Zeit reden wir darüber, was wir tun, wenn es Schwierigkeiten gibt, zum Beispiel wenn es gewittert.“ Der Grund: „Wenn ich auf 80 Prozent der Dinge, die kommen können, vorbereitet bin, kann ich den Rest relativ leicht improvisieren.“ Und wenn es mal nicht nach Plan läuft, werde nicht in typisch deutscher Manier gemeckert, sondern man überlege gemeinsam, wie es bei nächsten Mal besser gehen könne. Auch da müssten alle dabei sein und nicht nur die Projektmanager. Schließlich könne man immer etwas besser machen. Nicola Winter spannt den Boden zur aktuellen Krise. Nur zu jammern, bringe einen auch da nicht weiter. „Es macht viel entspannter in der Krise, wenn man sich vorbereitet.“
Podiumsdiskussion: „In Krisen braucht es Personen, die den Karren aus dem Dreck ziehen“
Um die Krise geht es auch in der Podiumsdiskussion. Netzwerk-Südbaden-Chefredakteurin Kathrin Ermert eröffnet sie mit dem Zitat von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Die Lage ist ernst, nehmen Sie es ernst.“ Auf dem Podium sitzen: Dagmar Schmidt, die nach vielen Jahren in Führungspositionen bei Konzernen –unter anderem Toyota, Sony und BASF – nun einem Familienunternehmen vorsteht. Seit Juli ist die 53-Jährige CEO von August Faller in Waldkirch und damit die Nachfolgerin von Michael Faller und Daniel Keesman. Marcus Disselkamp ist freiberuflicher Trainer, Businesscoach und Buchautor, zudem Investor und Gründer sowie Beirat in Familienunternehmen. Birgit Schaldecker arbeitete 25 Jahre lang als Produktmanagerin und Technologieleiterin bei Gore in München. Danach war sie Geschäftsführerin der Foresight Academy, einer Plattform für Zukunftsforschung, aktuell arbeitet sie als Foresight Managerin bei Z-Punkt und als freie Beraterin. Seit drei Jahren referiert sich nicht nur beruflich über Wandel, sondern lebt ihn auch privat: im Schloss Tempelhof, einem selbst verwalteten, weitgehend autarken Dorf mit 150 Menschen, davon 50 Kinder, samt eigener Schule und Kindergarten. „Da üben wir gemeinsam gelingendes, zukunftsfähiges Leben“, sagt sie. Als vierter Teilnehmer sitzt Dieter Salomon auf der Bühne. Vor seiner Zeit als IHK-Hauptgeschäftsführer war er Fraktionsvorsitzender im Landtag und 16 Jahre lang Oberbürgermeister von Freiburg. „Er ist Grüner, aber immer schon Hardcore-Realo“, stellt ihn Kathrin Ermert vor.
Das Thema der Diskussion – die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands – ist ein großes, und die Teilnehmenden sich nicht immer einig. Birgit Schaldecker erläutert die Konsenskultur, die ihre Zukunftswerkstatt trägt, und spricht über die Kraft gemeinsam getragener Entscheidungen, von der auch Unternehmer viel lernen könnten. „Ich bin mir nicht sicher, ob klassische Unternehmenskulturen dafür bereit sind“, meint Dagmar Schmidt. Verstellen solle sich aber auch niemand, vor allem nicht die Führungsebene, sagt die Faller-Chefin: „Authentizität ist ein echtes Pfund. Ich möchte nahbar sein, meinen Leuten das Gefühl geben, gesehen zu werden.“ Es sei ihr Mittel, um negative Stimmung innerhalb der Firma abzufangen. Businesscoach Marcus Disselkamp sieht das ähnlich: „Der Unternehmer lebt vor, er hat eine Vision, will begeistern, das fehlt mir heute an vielen Stellen.“ Denn innerhalb der Komfortzone zu bleiben, bringe niemanden voran. „In Krisen braucht es Personen, die den Karren aus dem Dreck ziehen“, sagt Disselkamp. Man müsse bereit sein, alles zu hinterfragen, um handlungsfähig zu bleiben. „Wachstum ist nur ein Subziel von Rentabilität, kein Garant.“
Das findet auch Dieter Salomon und bezieht sich auf die deutsche Automobilindustrie, die vor China zittert. Man müsse verstehen: „Nur weil es zehn Jahre steil bergauf läuft, heißt das nicht, dass es so bleibt“, sagt er und betont, wie wichtig es sei, für den Mittelstand zu kämpfen – „aber nicht mit blinden Investitionen“. Dagmar Schmidt beobachtet hinsichtlich des Wachstums auch im Familienunternehmen Faller ein Umdenken: „Cash ist sexy, natürlich“, sagt sie. „Aber nur, weil sich das Wachstum verlangsamt, sind wir nicht weniger wettbewerbsfähig.“ Zum Abschluss fragt Moderatorin Ermert, ob die Runde generell optimistisch bleibt. Alle nicken, und Dieter Salomon schließt mit den Worten: „Optimistisch? Klar. Ich bin Berufsoptimist.“
Aufregungsdemokratie: „Wir wählen die Extremisten des Normalen“
Am Ende eines Tages voller spannender Vorträge und interessanter Gespräche sind die Menschen etwas müde. Das merkt man beim letzten offiziellen Programmpunkt des Tages, dem Vortrag von Karl-Rudolf Korte. Doch der Politikprofessor aus Duisburg gewinnt innerhalb der ersten Minuten die Gunst des Publikums für sich. Seine Keynote mit dem Thema „Wählermärkte: Regieren und Wählen in der Aufregungsdemokratie“ ist so unterhaltsam wie ein Kabarettstück. „Haben Sie sich heute schon aufgeregt?“, fragt er. „Über sich selbst? Die Wirtschaft? Die anderen? Heute will sich ja niemand mehr allein aufregen. Dafür gibt es ja jetzt Apps.“ Korte ist ein Meister der Rhetorik, benutzt Begriffe wie Jammerfolklore, Gereiztheitsspirale, Erklärgeiz und Empörungsfurore. Er berichtet von einer SMS, die er neulich bekommen hat. Darin stand: „Fang schon mal an dir Sorgen zu machen. Einzelheiten später.“
Dann spannt er den Bogen zur Politik. Angela Merkel sei gewählt worden, weil sie so unaufgeregt sei. Weil sie all das Empören, Jammern und Schimpfen nicht mitgemacht hat. „Bis an die Schmerzgrenze der Nüchternheit.“ Unberechenbarkeit sei das Prinzip unserer komplexen Gesellschaft. „Das Leben ist nicht so planbar, wie wir erwarten.“ Deshalb wollen die Menschen Verlässlichkeit von der Politik. „Scholz gegen Laschet“, sagt Korte. „Das war programmierte Langeweile. Aber darauf können wir stolz sein, dass es keine Populisten sind. Wir wählen die Extremisten des Normalen.“ Olaf Scholz sei ja auch so ein unaufgeregter Kanzler. Er strahle Vertrauen aus, stehe für Deeskalation. „Knäckebrotrhetorik“ nennt Korte das: „Er drückt sich sehr sparsam aus, sehr bröselig. Das ist seine hanseatische Mentalität: Der hat keinen Vokabelüberschuss.“ Die Mehrheit wolle weder links noch rechts, so die These des Politikwissenschaftlers, sondern eine liberale Linie, „die die Gesellschaft gegen die Partei verteidigt, die das nicht möchte.“ Es sei die Zuversicht der Mitte. „Politische Einsamkeit führt zur Wahl von Extremisten“, schließt Karl-Rudolf Korte. „Das muss man verhindern. Dafür hilft jeder Cent, den man in die Infrastruktur steckt. Das ist Staatlichkeit. In die Mitte investieren und schauen, wie man es schafft, dass diese Zuversicht dominiert.“
Der Applaus für Korte zeigt, dass alle Müdigkeit verflogen ist. Organisator Florian Städtler strahlt bei den Schlussworten: „Ich bin noch ganz geflasht“, sagt der Chef von Spielplan 4 und zählt auf: Rekordzahl an Partnern, Besuchern, Mitveranstaltern. „Ein besseres Zeichen, dass man solche Veranstaltungen braucht, kann es nicht geben.“ Man sieht sich wieder. Nächstes Jahr beim Freiburger Mittelstandskongress am 15. Oktober 2025.