Digitale Transformation ist viel mehr als das Nutzen neuer Tools und Techniken. Es geht für Firmen darum, das bestehende Geschäftsmodell entweder weiterzuentwickeln oder sogar komplett neu zu denken.
Text: Julia Donáth-Kneer
Ein gutes Beispiel für die digitale Transformation bekannter Abläufe sind die Orderterminals, wie man sie deutschlandweit etwa in Fastfood-Filialen findet. Statt einem Verkäufer vorne an der Ladentheke zuzurufen, was man haben möchte, kann man seine Bestellung an den Stationen eingeben, ändern und bezahlen. In Freiburg setzt die Taqueria Yepayepa auf die gleiche Technik. Wir besuchen Inhaber Robin Pfefferle in dem kleinen mexikanischen Laden.
Der 38-Jährige ist gelernter Koch, die Taqueria hat er 2015 gemeinsam mit seiner mexikanischen Frau Silvia Barba Quezada gegründet. Vergangenes Jahr haben die beiden sie komplett modernisiert. Seither stehen im Eingangsbereich zwei Bestellterminals: Welcher Taco soll es sein, mit Käse oder ohne, extra scharf, welche Saucen, Getränk dazu? All das können die Gäste per Touch auswählen, drei Sprachen sind voreingestellt. Bezahlt werden kann entweder bar oder direkt am Gerät. „Es ist das Ende der Bonwirtschaft. Die Bestellung kommt direkt auf den Monitor der Küche, damit sind die Abläufe effizienter“, sagt Pfefferle.
Er ist rundum zufrieden mit dem neuen Prozedere, auch wenn sich manche Gäste – vor allem „die über 40“ – erst daran gewöhnen mussten, keinen direkten Servicekontakt mehr zu haben. Aber es habe sich gelohnt. In den vollen Mittags- oder Frühabendstunden seien so „20 bis 30 Prozent mehr Umsatz“ möglich, sagt Pfefferle. Außerdem spare er durch die technische Arbeitserleichterung eine Vollzeitkraft ein. Und für ihn besonders wichtig: „Seither ist es kein Problem mehr, dass einige unserer Fachkräfte aus Mexiko erstmal nur Spanisch sprechen.“ Das Geschäft – Tacos verkaufen – ist dasselbe geblieben, aber der gesamte Prozess um den Bestellvorgang, die Struktur in der Küche, die Personalaufgaben und der Kundenkontakt haben sich geändert.
In der Gastronomie und Hotellerie existieren viele Prozesse, die mehr oder weniger selbstverständlich digital ablaufen: Hotelbuchungen übers Internet oder Online-Tischreservierungen zum Beispiel. Es gibt QR-Codes für Speisekarten, digitale Rufsysteme für Selbstbedienungsbereiche und Orderboys – das sind die kleinen handyähnlichen Geräte, die eine Bestellung direkt vom Service in Bar oder Küche schicken. Seltener sind Roboterkellner oder Essensbestellungen per Tablet. „Das ist die Zukunft. Wenn diese Systeme gut etabliert werden, können sie eine riesige Hilfe für die Branche sein“, meint Melanie Hättich. Die 43-Jährige ist 2012 in den Familienbetrieb eingestiegen, 2017 hat sie gemeinsam mit ihrem Bruder Matthias das fast 200 Jahre alte Hotel Imbery in Hinterzarten von den Eltern übernommen. Zunächst fanden sie einen klassisch strukturierten Betrieb vor: Reservierungsbuch fürs Restaurant, Zimmerplan fürs Hotel, Excellisten, handschriftliche Dienstpläne, Notizzettel. „Wir haben Schritt für Schritt umgestellt und die Bücher abgeschafft“, sagt Hättich, die eine cloudbasierte Softwarelösung für Restaurant und Hotel einführte. Das beschleunigte die Prozesse – nicht nur bei der Arbeitszeiterfassung, sondern zum Beispiel auch, wenn Daten ans Finanzamt, die Kurverwaltung oder den Steuerberater übermittelt werden müssen.
Je nach Branche unterscheiden sich die Schritte zur Digitalisierung. „In der Regel gehen die Fragestellungen weit über die rein technische Implementierung hinaus und haben eine hohe Auswirkung auf die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens und auf das strategische Management“, sagt Emmanuel Beule, der für die IHK Südlicher Oberrhein kleine und mittelständische Unternehmen bei diesen Schritten unterstützt. Welche Prozesse eignen sich, welche Kompetenzen muss man aufbauen, welche Produkte sollen den digitalen Kundinnen und Kunden angeboten werden? Und vor allem: Wer kümmert sich um die Transformation?
Alles beginnt im Kopf
Melanie Hättich hat die Erfahrung gemacht, dass die Transformation vor allem in den Köpfen starten muss. Im Hotel dauerte es lange, bis die Mitarbeitenden bereit waren, die neuen Prozesse zu akzeptieren. „Ich habe irgendwann den handschriftlich geführten Zimmerplan versteckt“, sagt sie. „Damit sich das Team wirklich an den PC setzen muss.“ Solange es zweigleisig läuft – mit neuem System und alten Techniken – ist die Gefahr für Fehler viel zu groß.
Joachim Jäckle kennt das gut. Der 63-Jährige war 30 Jahre lang im Topmanagement des Henkel-Konzerns mit Sitz in Düsseldorf tätig. Die letzten 10 Jahre als globaler IT-Chef und verantwortlich für alle Shared-Service-Bereiche. Mittlerweile wohnt der gebürtige Badener mit seiner Frau wieder in der Heimat und berät globale Konzerne auf dem Weg zur Digitalisierung. Sein Hauptauftraggeber ist die Boston Consulting Group, eine der führenden Unternehmensberatungsfirmen weltweit, für die er als Senior Advisor tätig ist.
Egal, in welchem Teil der Welt er die Implementierung von digitalen Transformationsprozessen begleitet, egal wie die Arbeitsumgebung oder die Unternehmenskultur aussehen, eins ist immer gleich: Ohne die Menschen geht es nicht. „Das ist der Beginn eines jeden Prozesses“, sagt Jäckle. „Bei allen Veränderungsthemen ist es die größte Aufgabe, die Menschen mitzunehmen.“ Bei Konzernen sei das schwieriger als im Mittelstand, vor allem, da sie deutlich arbeitsteiliger organisiert sind. „Um in Schlagwörtern zu sprechen: viele Silos, zu wenig Kommunikation“, fasst der promovierte Volkswirt zusammen. „Es ist die Aufgabe der Unternehmensführung, professionelle Kommunikation zu betreiben.“
Dazu gehören zum Beispiel technische Schulungen der Mitarbeitenden, damit sie die neuen Methoden anwenden können – und zwar unabhängig davon, ob sie sie im Berufsalltag brauchen werden oder nicht. „Wichtig ist es, dass alle verstehen, was sich ändert und am besten auch, warum es sich ändert“, sagt Jäckle. Immer wieder erlebe er, dass Mitarbeitende Angst haben, durch die digitalen Neuerungen an Einfluss oder gar ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
Mit Technik gegen Fachkräftemangel
Etwas gegenteilig läuft es in der Gastronomie, dort, wo es seit Jahren ohnehin viel zu wenig Arbeitskräfte gibt. „Digitale Geschäftsmodelle können helfen, dem Personalmangel entgegenzuwirken“, sagt Melanie Hättich. Seit einem Jahr arbeitet die fünffache Mutter nicht mehr im Hotel, sondern ist zur Rothaus Genusswelt in Grafenhausen gewechselt. Dort kümmert sich die studierte Wirtschaftsinformatikerin um die Einführung, Optimierung und Dokumentation digitaler Prozesse. Es sind die kleinen Schritte – „endlich im Biergarten mit EC-Karte zahlen“ – bis hin zu den großen, die das gesamte Ordersystem revolutionieren: Mittelfristig plant sie die Einführung der Bestellterminals wie bei Yepayepa. Bis dahin gilt es, alle rund 90 Mitarbeitenden mitzunehmen. „Dieses Warum-machen-wir-das muss allen klar sein“, betont Melanie Hättich.
“Es ist das Ende der Einzelkämpfer. In vielen Unternehmen muss aus vielen kleinen Königreichen ein großes Gesamtkonstrukt entstehen.“
Joachim JÄckle
„Bewährte Prozesse ändern sich, damit muss man klarkommen“, sagt Berater Joachim Jäckle. Nicht jeder kann das gleich gut, aber wer nicht mitzieht, bleibt auf der Strecke. Das betreffe häufig die Führungsebenen, erlebt der Experte: „Es ist das Ende der Einzelkämpfer. In vielen Unternehmen muss aus vielen kleinen Königreichen ein großes Gesamtkonstrukt entstehen.“ Es geht darum, Schnittstellen zu überwinden, Kompetenzen zu bündeln, Daten zu organisieren. Das kostet erstmal zusätzlich Geld, Zeit und Kraft, weil komplett neue Strukturen eingezogen werden müssen, aber es ist nötig, damit am Ende der Gesamterfolg stimmt.
Denn digitale Transformation ist kein Wunschkonzert, es ist eine Notwendigkeit. „Sense of urgency“ sagen die Amerikaner dazu, was mit „hoher Handlungsdruck“ übersetzt werden kann. Oder einfacher formuliert: Wer nicht einsteigt, verpasst den Anschluss. „Manchmal werde ich gefragt, wann der Prozess abgeschlossen ist“, sagt Emmanuel Beule, der IHK-Referent für Digitale Unternehmensentwicklung. „Die Antwort ist: nie. Damit wird man immer beschäftigt sein.“