Ein sehr altes Industrieunternehmen und zugleich ein Treiber der Energiewende: die Emmendinger Wehrle Werk AG, die in sechster Generation in 50 Ländern aktiv ist.
VON KATHRIN ERMERT
Wenn das Navi Richtung Fußgängerzone lotst, ist man auf dem richtigen Weg zum Wehrle-Werk. Denn das circa 40.000 Quadratmeter große Gelände des Anlagenbauers liegt in keinem Gewerbegebiet am Ortsrand, sondern mitten in Emmendingen. Aus der Produktion können die Mitarbeitenden in der Mittagspause rüber in die Fußgängerzone laufen, und Kunden schlendern gerne über den Marktplatz zum Werk. „Mitten in der Stadt zu sein, gehört zu unserer DNA“, sagt Vorstand Heiner Steinberg.
Er will diese Nähe noch mehr nutzen. Unter dem Titel „Emmendinger Plan“ laufen Gespräche mit der Stadt, wie sich die Verzahnung mit der Innenstadt verbessern lässt. Der Werkszaun soll keine Grenze sein, Steinberg will die industrielle Arbeit in der Stadt erleb- und sichtbar machen, etwa mit großen Fenstern. „Wir erhoffen uns positive Impulse von der Außenwelt“, sagt er. Probleme mit Lärm- oder anderen Emissionen gebe es nicht, und zu verbergen hat das Werk auch nichts. Im Gegenteil: Hinter den Werkstoren hat sich der Anlagenbauer in vielerlei Hinsicht sehr positiv entwickelt.
Angefangen bei den Geschäftszahlen: In den zurückliegenden fünf Jahren kletterte der Umsatz von circa 30 auf 45 Millionen Euro, die Zahl der Beschäftigten von 180 auf gut 260. Steinberg spricht von „Wachstum mit Augenmaß“. Auch die Unternehmenskultur hat der 39-jährige Betriebswirt, der das 1860 gegründete Traditionsunternehmen seit 2018 in sechster Generation leitet, auf seiner Agenda. Flexible Arbeitszeiten und -orte gibt es bei Wehrle schon länger als Corona. Und Energie spart das Unternehmen auch nicht erst seit dem Ukrainekrieg. Umweltschutz ist schließlich das Thema, mit es sein Geld verdient. Im größten Solarkraftwerk Emmendingens erzeugt Wehrle fast 60 Prozent seines Strombedarfs.
Abfälle und Abwasser
Ursprünglich als Kesselbauer gegründet hat sich das Wehrle-Werk vor fast hundert Jahren auf die Produktion und Wartung von Dampfkesseln spezialisiert. Seit den 1970er-Jahren baut Wehrle Anlagen zur Müllverbrennung und seit den 1980er-Jahren solche zur Abwasserbehandlung. „Wir sind Lösungsanbieter für komplexe Abfälle und Abwässer“, sagt Steinberg. Die Bandbreite der angewandten Technologien ist groß – vom Membranverfahren und biologischen Prozessschritten bis zur Thermik. Doch die Kernprodukte ähneln sich, allein schon, weil Müll zum Großteil aus Wasser besteht.
Sowohl bei Abfall als auch bei Abwasser steht die Entsorgung im Vordergrund. Doch mit steigendem Umweltbewusstsein rücken die Themen Rohstoffrückgewinnung und Energieerzeugung immer stärker in den Blick. Seit die Preise für fossile Brennstoffe explodieren, registriert Wehrle viele Anfragen von neuen Kunden. Aber die Projekte dauern lang, vor allem die Verbrennungsanlagen. Durchschnittlich drei Jahre braucht allein die Entwicklung, etwa ein bis zwei Jahre die Genehmigung, bei der Wehrle seine Kunden unterstützt. Und weitere zwei bis drei Jahre erfordert der eigentliche Bau.
Basis der meisten Anlagen sind lange Rohre aus Schwarzstahl, die zu Behältern zusammengeschweißt werden. Die 20.000 Quadratmeter große Produktionshalle in Emmendingen ist auf riesige, schwere Bauteile ausgelegt und mit entsprechend großen Maschinen und Kränen ausgestattet. Manche Anlagen werden hier nur vorgefertigt und vor Ort montiert, andere wie beispielsweise die auf Umkehrosmose basierenden Filtrationsanlagen entstehen komplett in Containern.
Wehrle sieht sich als Wegbereiter für grüne Technologien. Steinberg berichtet stolz von Premieren seines Unternehmens: 1991 etwa hat es den weltweit ersten großtechnischen Membranbioreaktor in Betrieb genommen, 1996 die erste großtechnische Nanofiltrationsanlage, 2006 die Abfallsortierungsanlage MYT oder 2019 eine Rostfeuerungsanlage für die Verbrennung von schwierigen Abfällen und Klärschlamm. Bei solchen Innovationen arbeitet Wehrle auch mit Forschungseinrichtungen wie der Uni Freiburg oder dem Zentrum für Solar- und Wasserstoffforschung in Stuttgart zusammen. Aktuelle läuft beispielsweise ein Projekt zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammasche.
Ingenieurbüro und Produzent
Das Unternehmen beschäftigt selbst viele Akademiker, ist zugleich Ingenieurbüro und Produzent. „Wir können entwickeln und umsetzen“, betont Steinberg. Die „einmalige Wertschöpfungstiefe“ endet nicht mit der Montage, sondern umfasst die Wartung über die gesamte Lebensdauer . Wehrle-Anlagen laufen – abhängig natürlich vom Kunden und der Nutzung – oft jahrzehntelang. In manch einem Industrieunternehmen der Region sind noch Vorkriegsmodelle im Einsatz. Und die ein oder andere Brauerei nutzt nach wie vor Kessel aus Emmendingen, obwohl Wehrle dieses Geschäftsfeld vor Jahrzehnten aufgegeben hat.
„Unsere Technologien setzen immer eine Regulierung voraus.“
Heiner Steinberg, Vorstand der Wehrle Werk AG, Emmendingen
Kunden sind heute sowohl private Industrieunternehmen – auf der Referenzliste stehen beispielsweise L’Oreal, Unilever oder Thyssenkrupp – als auch öffentliche Auftraggeber wie Kommunen und Abfallzweckverbände. Die Hälfte des Umsatzes erzielt Wehrle in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die andere Hälfte in Europa und dem Rest der Welt. „Unsere Technologien setzen immer eine Regulierung voraus“, sagt Steinberg. So darf in Deutschland und den meisten europäischen Ländern seit den 1990er-Jahren Abwasser nicht einfach so im Boden versickern, sondern muss gereinigt werden. Wehrle ist in knapp 50 Ländern auf fünf Kontinenten aktiv und betreibt Niederlassungen in der Schweiz, England, Spanien, Russland sowie seit drei Jahren in Malaysia. Seither haben die Südbadener viele Kunden in Südostasien gewonnen.
Wehrle gehört immer noch komplett der gleichen Familie. 162 Jahre nach der Gründung ist der Stammbaum natürlich breit. Eigentümer sind heute knapp 30 Aktionäre aus der fünften bis siebten Generation. Sie haben viele verschiedene Namen, nur Wehrle heißt niemand mehr in der Familie, weil Otto Wehrle, der Sohn des Firmengründers Wilhelm Wehrle, vier Töchter hatte, die die Nachnamen ihrer Ehemänner annahmen. „Im Familienbesitz zu sein, ist die Basis unseres Unternehmens. Wir denken in Generationen, nicht in Quartalen“, sagt Steinberg.
Deshalb investiert Wehrle kräftig – jedes Jahr mehrere Millionen Euro. Als Teil der Verzahnung mit der Innenstadt soll auf der anderen Werksseite ein neues Logistikzentrum entstehen. Der Antrag hierzu wir gerade erarbeitet, der Bau beginnt voraussichtlich 2024.