Das war schon lange nicht mehr so: In Weil am Rhein ist der Ausgang der Oberbürgermeisterwahl offen. Der Amtsinhaber tritt nicht mehr an. Gleich zwei erfahrene Frauen haben Chancen auf den Posten.
VON SUSANNE MAERZ
Vier Frauen und zwei Männer wollen an die Rathausspitze von Weil am Rhein. Die 31.000-Einwohner-Stadt mit Grenzen zu Frankreich und der Schweiz gilt wegen Rheinhafen, Umschlagbahnhof für den Güterverkehr und guter Autobahnanbindung als Verkehrsknotenpunkt. Bekannt ist Weil auch für den Automobilzulieferer A.Raymond, die Conductix-Wampfler GmbH und den Vitra-Campus. Und für ihre vielen Einkaufsmöglichkeiten, was auch die Nachbarn im Dreiländereck schätzen. Am 3. März wird in Weil am Rhein gewählt, eine mögliche Stichwahl ist für den 17. März angesetzt. Die wäre dann nötig, wenn kein Bewerber oder keine Bewerberin mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen holt. Und dies ist wahrscheinlich.
Zum einen wegen des relativ großen Bewerberfeldes, zum anderen, und das ist der wichtigere Punkt, weil zwei erfahrene und qualifizierte Politikerinnen unter den sechs Kandidierenden herausstechen, die beide für das Amt geeignet wären: Diana Stöcker, 53 Jahre alt, die bei der Bundestagswahl 2021 das Direktmandat im Wahlkreis Lörrach-Müllheim für die CDU geholt hat, sowie die 41-jährige Jasmin Ateia, Mitglied im Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen und Leiterin des Wahlkreisbüros der Landtagsabgeordneten Nadyne Saint-Cast in Freiburg. Beide betonen, nicht als Vertreterin ihrer Partei in den Wahlkampf zu ziehen, sondern mit dem Anspruch, Oberbürgermeisterin für alle Bürgerinnen und Bürger werden zu wollen.
Gleichwohl wurde Ateia vom örtlichen Kreisverband der Grünen für eine Kandidatur angefragt und wird auch von ihm unterstützt. Stöcker ging von sich aus ins Rennen, kann sich aber ebenfalls der Unterstützung ihrer Partei sicher sein, mit der sie ihre Kandidatur zuvor abgestimmt hatte. Die Unabhängigen Freien Wähler, die wie die Grünen mit sieben Mitgliedern im Weiler Gemeinderat vertreten sind und bei der vergangenen Kommunalwahl die meisten Stimmen auf sich versammelt hatten, haben niemanden ins Rennen geschickt. Sie haben sich aber Anfang Februar klar für Diana Stöcker ausgesprochen. Auch die SPD, nach der CDU viertstärkste Fraktion im Weiler Rathaus, hat niemanden nominiert. Ob sie eine Wahlempfehlung abgeben wird und wenn ja, für wen, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.. Folgendes indes schon: „Das Parteibuch wird nicht die primäre Rolle spielen, sondern die Qualifikation und Erfahrung“, antwortete Stefan Reinelt, Co-Vorsitzender des SPD Ortsvereins Ende Januar auf die Frage nach einer möglichen Wahlempfehlung. Schließlich sei es ein schweres Amt. Der SPD sei zudem die soziale und ökologische Frage sehr wichtig, betonte er.
Verdienste gewürdigt, frischer Wind gewünscht
Auch wenn man in die Weiler Bürgerschaft hineinhört, ist das Rennen noch offen. Viele wünschen sich frischen Wind, neue Ideen und ein jüngeres Gesicht. Gleichzeitig schätzen viele auch die Linie inklusive der zurückhaltenden Investitionspolitik, die der amtierende Oberbürgermeister Wolfgang Dietz viele Jahre gefahren und dabei gleichzeitig neue Projekte vorangetrieben hat. Schuldenabbau und Haushaltskonsolidierung waren dem CDU-Mitglied stets wichtig. Weitgehender Konsens herrscht, dass er viel für Weil geleistet hat und große Fußstapfen hinterlässt.
Der 67-jährige Dietz stellt sich nicht mehr zur Wahl. Seit Juni 2000 führt er die Geschicke der Stadt. Zweimal wurde er wiedergewählt, zuletzt mit knapp 88 Prozent der Stimmen. Wichtige Verkehrsinfrastrukturprojekte wie die Verlängerung der Tramlinie 8 von Basel zum Weiler Bahnhof und der Bau der Dreiländerbrücke fallen in seine Amtszeit. Ebenso das Errichten des Einkaufszentrums Dreiländergalerie und des neuen Wohngebietes Hohe Straße.
Die erneute Verlängerung der Tramlinie 8 durch die Hauptstraße und damit zusammenhängend die Umgestaltung der Weiler Innenstadt sind derzeit die großen Projekte und vorherrschenden Themen in der Stadt. Die Hauptstraße zu einer Fußgängerzone umzugestalten, scheint vom Tisch. Denn die vielen Geschäfte sollen weiter für Kunden und Lieferanten gut erreichbar sein, so die vorherrschende Meinung. Gleichwohl ist noch vieles offen. Bis Januar lief der Beteiligungsprozess der Bürgerinnen und Bürger, dieses und nächstes Jahr sind Ausschreibungen und Planung vorgesehen, 2026 der Baubeginn. Die Gestaltung der Innenstadt ist somit ein zentrales Wahlkampfthema.
Für eine lebendige Innenstadt
„Im Zuge der Tramverlängerung gibt es die Chance, die Innenstadt attraktiver zu gestalten“, sagt Jasmin Ateia. Sie tritt ein für „eine lebendige Innenstadt mit allem, was dazugehört“. Das seien ein vielseitiges Einkaufsangebot jenseits von Nagelstudios und Dönerläden, eine ansprechende Außengastronomie, verstärkte Begrünung, mehr Sitzgelegenheiten auch für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, und ein kluges Verkehrskonzept. Ihr sei es wichtig, dass die Hauptstraße auch mit Tram attraktiv bleibt, in die Umgestaltung aber der gesamte Innenstadtbereich mit einbezogen wird. „Es muss darauf geachtet werden, dass die Autos nicht die Nebenstraßen verstopfen, sollte die Hauptstraße für den Autoverkehr gesperrt werden“, sagt Ateia. Sie wünscht sich für Weil ein digitales Parkleitsystem, sodass man bereits am Rande der Innenstadt sieht, wo es freie Parkplätze gibt und nicht mehr die verschiedenen Parkhäuser abfahren muss. „Damit kann der Parkplatzsuchverkehr reduziert werden“, sagt sie.
Dass die Stadt attraktiv ist, sei auch fürs Gewinnen und Halten von Fachkräften wichtig, betont Ateia. Der Vorteil des Dreiländerecks bringe auch den Nachteil mit sich, dass viele Menschen lieber in der Schweiz arbeiten, wo sie mehr verdienen. Deshalb müssten die, die Jobs in Deutschland wollten, angelockt werden. Ihr ist es wichtig, dass einerseits Unternehmen bei der Fachkräftegewinnung einbezogen und unterstützt werden und andererseits auch die Stadtverwaltung neuen Mitarbeitenden beim Ankommen hilft. Eine digitale Verwaltung, bezahlbarer Wohnraum, eine gute Kinderbetreuung – all dies sind wichtige Voraussetzungen für Ateia. Insgesamt seien ihr eine transparente Stadtverwaltung und eine Bürgerbeteiligung bei großen Projekten wie der Innenstadtentwicklung wichtig.
Potenzial sieht Ateia beispielsweise im Kesselhaus. „Da könnte man im Start-up-Bereich viel machen“, sagt sie. Co-Working-Spaces, günstige Mieten, schnelles Internet, eine gute Anbindung an Basel, viele potenzielle Investoren in der Nähe – das sei vor allem für Gründungen in der Biotechnologie interessant. Die Energieversorgung ist ein weiteres wichtiges Thema für die Kandidatin: „Ich möchte einen verstärkten Fokus auf die Geothermie legen.“ Außerdem sei es wichtig, bereits jetzt die Infrastruktur zu entwickeln, um Wasserstoff dann, wenn es möglich ist, für die Industrie verfügbar zu machen.
Arbeit in Politik und Verwaltung sind Ateia vertraut: Bei der Freiburger Wirtschaftsförderung FWTM baute sie beispielsweise als Projektleiterin das Welcome Center auf, das fürs Anwerben und die Integration ausländischer Fachkräfte zuständig war. Als Sachgebietsleiterin in der Freiburger Stadtverwaltung war Ateia unter anderem für die Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zuständig. Politisch engagiert ist sie seit acht Jahren auf Kreis- und Landesebene.
Die Tochter einer schwäbischen Mutter und eines ägyptischen Vaters wuchs in der Nähe von Ulm auf und kam vor 22 Jahren zum Studieren nach Freiburg, wo sie seitdem lebt – inzwischen mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern.
Top-Themen Arbeitskräfte und Energie
Diana Stöcker, in Karlsruhe geboren, ist bereits vor 25 Jahren nach Lörrach gezogen, wo sie mit ihrem Lebensgefährten lebt. Ihr Kind ist inzwischen erwachsen. Dort hat sie das Innocel Innovations-Centers, das ist die Wirtschaftsförderung der Stadt Lörrach, aufgebaut und 16 Jahre lang als Geschäftsführerin geleitet. Bevor sie als Abgeordnete in den Bundestag einzog, war sie sechs Jahre lang Bürgermeisterin von Rheinfelden und als solche zuständig für Soziales, Kultur, Öffentliche Ordnung und Bürgerdienste. Ehrenamtlich engagiert sie sich unter anderem seit 2018 als (Vize-)Präsidentin des Districtsrates des Trinationalen Eurodistricts Basel.
Der trinationale Charakter der Stadt ist auch ein Punkt, der Stöcker an dem Oberbürgermeisteramt von Weil reizt. Denn in den vergangenen 25 Jahren hat sie bereits viele trinationale Projekte umgesetzt und ist folglich in der Region gut vernetzt, wie sie auch selbst betont.
Eines von mehreren großen Potenzialen, die Stöcker für die Stadt sieht, ist die Weiterführung der Tramlinie 8 durch die Innenstadt. Um mehr Möglichkeiten für den übrigen Verkehr zu erhalten, würde sie – außer an den Haltestellen – in den Boden eingelassene Schienen einem eigenen Gleisbett vorziehen. „Ich halte momentan eine Fußgängerzone nicht für sinnvoll“, sagt Stöcker. Wegen der Erreichbarkeit der Geschäfte müsse man einen Kombiverkehr, Tram, Auto und Rad, ermöglichen. Außerdem ist es der Kandidatin wichtig, bei der Neugestaltung der Innenstadt die großen Plätze wie den Berliner Platz mit einzubeziehen. Vieles sei bereits geplant, aber es gebe noch Punkte, bei denen man mitgestalten könne.
Energie sowie Fach- und Arbeitskräfte sind für Stöcker „die zwei Top-Themen“. Vor allem bei Letzterem könne man durch Wirtschaftsförderung viel erreichen, betont sie und verweist auf ihre Erfahrung mit einer Vielzahl von derartigen Projekten. Zum Beispiel, wenn Unternehmen mit Schulen zusammenarbeiten und so für Ausbildungsberufe begeistern. Zudem hält Stöcker eine gute digitale Ausstattung der Schulen für notwendig. Zum Thema Energie: Sie möchte Informationsveranstaltungen zu den verschiedenen Energiefirmen anbieten und gemeinsame Projekte von Unternehmen anstoßen.
Auch Stöcker sieht eine digitale Verwaltung sowie das Anbieten von digitalen Dienstleistungen zum Beispiel beim Ummelden für sehr wichtig an und würde beides gern in Weil am Rhein vorantreiben. Denn diese würden auch Unternehmen zugutekommen. Ein Anliegen und mittel- bis langfristiges Projekt nennt sie Rheinliebe. „Ich möchte den Rhein wieder näher zu den Menschen bringen“, sagt Stöcker. Mehr Spazierwege und Flächen mit Aufenthaltsqualität sollten geschaffen und vor allem miteinander verbunden werden.
Stöcker ist zweifellos die bekannteste der sechs Kandidierenden. Ein Bekannter auf den Wahlzetteln indes ist Klaus Springer, der bereits 2016 gegen Amtsinhaber Dietz antrat, zwölf Prozent der Stimmen holte und für die AfD im Kreistag sitzt. Ebenfalls ihre Bewerbung eingereicht haben die 40-jährige Arzu Looden, die sich im Stadtteil Friedlingen engagiert, der ebenfalls in Weil lebende 33-jährige Robin Adam und erst Ende Januar auch für viele überraschend die 28-jährige, in der Lörracher CDU engagierte Diana Corinne Hartwig. Wofür sie stehen und wie viel Stimmen sie erhalten werden, wird sich bei der öffentliche Kandidatenvorstellung am 21. Februar beziehungsweise bei der Wahl Anfang März zeigen.