Bei Profis in Musik und Sport gehört Üben, Proben und Trainieren zum Arbeitsalltag. Wieviel Zeit verwenden sie darauf, und wie halten sie sich motiviert? Nachgefragt am Freiburger Theater, an der Universität Freiburg und beim Sport-Club Freiburg. Die Tipps der Wissenschaftlerinnen helfen auch in anderen Lebenssituationen.
Text: Susanne Maerz
Üben üben üben: So heißt der deutsch-norwegische Film, der im September in die Kinos kam und den der Regisseur Laurens Pérol in Freiburg selbst vorstellte. Er handelt von einem, der auf den nordnorwegischen Lofoten beginnt und in Oslo endet. Die Protagonistin, die junge Trompeterin und überzeugte Klimaaktivistin Trine, weigert sich zu fliegen und trampt daher die 1500 Kilometer lange Strecke. Die Fahrt wird nicht nur unterbrochen vom Wechseln der Mitfahrgelegenheiten. Die Musikerin übt auch immer wieder für das Vorspiel in der Hauptstadt – an einem Fluss, auf einer Hochebene, in der Werkstatt einer Familie oder in einer Tiefgarage. „Üben ist für mich Auseinandersetzung“, sagte der Regisseur, der selbst lange Trompete gespielt und daher viel geübt hatte, nach der Filmvorführung. Üben habe positive und negative Seiten und sei „etwas, an dem man wachsen kann“.
Das Üben und Proben ist für den in Hamburg aufgewachsenen, italienischstämmigen Tenor Roberto Gionfriddo Teil seines Arbeitsalltags. Der Opernsänger am Freiburger Theater und Lehrbeauftragte an der Musikhochschule Freiburg kommt zum Interview an einem Mittag Ende September von einer neunzigminütigen Probe mit einem Pianisten, der ihn am Klavier begleitet hat. Im Gepäck hat er die Partituren der Oper Jenůfa von Leoš Janáček und der Operette Le roi Carotte von Jacques Offenbach. „Die kann ich schon musikalisch, ich brauche aber mehr Sicherheit“, sagt er. Seine beiden Partien in beiden hat er gerade geübt. Am Abend steht für Roberto Gionfriddo eine weitere neunzigminütige Probe an, dann zur russischen Oper Pique Dame von Peter Tschaikowski. Wieder hat er einen Pianisten an seiner Seite. Vor den Proben wärmt sich der Tenor jedes Mal auf, dazwischen übt er zu Hause. Dort studiert er stets den Text und die Stimme ein, bei Bedarf unterstützt von einem Sprachcoach.
Nicht immer stehen so viele individuelle Termine auf Gionfriddos Probenplan wie zu Beginn dieser Spielzeit. Da er aber in besonders vielen Stücken auftritt, hat er um zahlreiche Termine zu Beginn der Spielzeit gebeten. Denn seine Partien müssen sitzen, wenn einige Wochen vor der jeweiligen Premiere die szenischen Proben mit dem Ensemble auf der Probebühne und schließlich auch mit dem Orchester auf der großen Bühne beginnen. Dann wird vormittags und am Abend jeweils zweieinhalb bis dreieinhalb Stunden gemeinsam geprobt. Ein Vielfaches an Zeit im Vergleich zu den Auftritten. Bis nächsten Sommer wird Roberto Gionfriddo an 52 Abenden auf der Bühne des Freiburger Theaters stehen, jeweils drei bis dreieinhalb Stunden. Seit dem Jahr 2006 ist er Teil des Ensembles und arbeitet auf diese Weise.
Hat Gionfriddo Probleme, sich immer wieder zum Üben oder Proben zu motivieren? „Es gibt natürlich Stücke, die mir mehr liegen, da habe ich keine Motivationsprobleme“, sagt der Sänger. Bei Stücken, die er nicht so mag, könne es auch mal anders sein. Sitzen muss seine Partie trotzdem, wenn er auf der Bühne steht. „Es gehört zu meiner Verantwortung als Profi, dass das Publikum nicht merkt, wenn es nicht mein Lieblingskomponist ist.“
Seit er selbst Gesang unterrichtet, habe sich seine Art zu üben verändert, berichtet Gionfriddo: „Ich musste meinen Schülern eine Struktur vorgeben, und die habe ich dann selbst übernommen.“ Und er habe im Laufe seiner Karriere gelernt, seine Kräfte einzuteilen, Körper und Stimme bei den Proben nicht zu sehr zu beanspruchen, sich nicht zu sehr zu verausgaben. Inzwischen sagt Gionfriddo tagsüber auch mal eine Einzelprobe ab, wenn er Kopfschmerzen hat oder sich schlapp fühlt, aber abends auf der Bühne stehen muss. „Da müssen wir Sänger auf uns achtgeben“, sagt er. „Denn das Wichtigste ist, dass man bei der Aufführung das Beste gibt und nicht bei den Proben.“
Auch Aufwärmen, Pausen und Recovern gehört dazu
Dass das nicht so einfach ist, weiß Claudia Spahn, studierte Musikerin, habilitierte Medizinerin sowie Leiterin des Instituts für Musikermedizin an der Musikhochschule und am Universitätsklinikum Freiburg. „In der Musik hat man lange gedacht, man muss nur genug üben, dann gelingt der Auftritt in jedem Fall“, sagt sie. Inzwischen bereite man sich vielfältiger auf Konzerte vor und man lege, ähnlich wie beim Sport, viel Augenmerk auf das Aufwärmen, Pausen setzen und Recovern. Sie ist überzeugt: „Ohne Konzept zu üben, lohnt sich nicht.“ Zum einen wegen der Konzentration, zum anderen wegen der Gefahr der Überbeanspruchung der Stimme oder der muskuloskelettalen Strukturen. Erneut zieht sie eine Parallele zum Sport, wo ebenfalls die Gefahr des Übertrainierens besteht.
Claudia Spahn, die selbst lange als Pianistin aufgetreten ist, erlebt es immer wieder, dass jüngere Musiker das Üben als nervig empfinden, erfahrene Kollegen hingegen es oft als genauso schön erleben wie den Auftritt selbst. „Sie müssen sich nicht mehr beweisen, bei ihnen steht der Prozess des Musizierens im Mittelpunkt“, berichtet Spahn. Gibt es Unterschiede zwischen Instrumenten, was das Üben anbelangt? „Wenn man auf sehr hohem Niveau singt oder ein Instrument spielt, verlangt einem das immer das Höchste an Lernen und Fortschritt ab“, sagt die Musikmedizinerin. Aber wie lange man am Stück üben könne, habe auch mit dem Instrument zu tun. „Blechbläser müssen zum Beispiel auf ihren Ansatz achten und üben in der Regel weniger lang als Streicher oder Pianisten“, sagt sie. Da gebe es physische Grenzen.
Für die Wissenschaftlerin ist die Verbindung von Üben, Proben und Aufführen essenziell. Musiker üben zuerst viele Stunden allein. „Dabei ist es wichtig, mental die Verbindung zum Konzert herzustellen, es sich vorzustellen“, sagt sie. Schließlich entstehe die Motivation auch meist über die Aufführung. Spielen im Ensemble oder Orchester sei für Musiker meist schöner als solistisches Spiel. „Aber da kommt dann auch die Gruppendynamik dazu – ähnlich wie beim Mannschaftssport.“ Wenn es zum Beispiel zwischen Orchester und Dirigent nicht harmoniert, merke dies das Publikum bei der Aufführung, berichtet Spahn und zieht die Verbindung zwischen einem Team und seinem Trainer.
Zur Vorbereitung auf den Auftritt gehört für die Professorin neben dem Aufwärmen und Einspielen auch der bewusste Umgang mit Lampenfieber. „Ein angemessenes Lampenfieber ist motivierend, ausdrucksstärkend und macht einen präsenter.“ Aber man müsse lernen, damit umzugehen, und sich auch auf diese Situation vorbereiten.
Wann und wie Selbstgespräche helfen können
Was in der Musik ein Konzert oder Auftritt, ist im Sport ein Spiel, Turnier oder Wettkampf. Auch hierbei dauert die Vorbereitungszeit stets länger als das Ereignis, auf das man sich vorbereitet. Wie halten sich die Athletinnen und Athleten motiviert? Gibt es hier Unterschiede zwischen Einzel- oder Mannschaftssportarten? „Auch Einzelsportlerinnen und -sportler sind in gewisser Weise Teil eines Teams – außerhalb der Wettkampffläche und im Training“, sagt Jana Strahler, Professorin für Sportpsychologie am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Uni Freiburg. Deshalb könne auch hier Interaktion und Feedback der Coaches und anderen Trainierenden motivieren. Ansonsten helfe, „was wir aus dem normalen Alltag kennen oder kennen sollten, wenn es darum geht, uns in Bewegung zu bringen oder zu halten“, sagt sie.
Ein Tool, das Jana Strahler einsetzt, ist die SMART-Methode, das Setzen von spezifischen, messbaren, attraktiven, realistischen und terminierten Zielen. Ein weiteres: „Dass sich die Athletin oder der Athlet ihre Ziele vor Augen führt und welches Gefühl dabei erlebt wird, zum Beispiel auf dem Podium zu stehen oder eine bestimmte Leistung erreicht zu haben.“ So würde eine emotionale Bindung zum Ziel hergestellt. „Das kann vor allem kurzfristig super motivieren“, sagt die Sportpsychologin. Sie rät ihnen ebenso, „gezielte, positive Selbstgespräche einzusetzen wie: Ich bin gut vorbereitet, ich habe das schon so oft geschafft, oder: Ich gebe mein Bestes“. Ebenfalls wichtig findet sie Trainingsroutinen. „Wenn etwas eine Gewohnheit ist, ist es auch weniger von Stimmungsschwankungen beeinflusst“, sagt Strahler. „Wir machen es, ohne lange darüber nachzudenken.“ Trainingsplan sowie Rituale vor dem Training und dem Wettkampf würden zudem helfen, in diesen Zielzustand, jetzt ist Trainings- oder Wettkampfzeit, zu kommen.
Wie viel jemand im Verhältnis zur Wettkampfzeit trainiert, ist unterschiedlich. „In Sportarten wie Turnen und Leichtathletik, die viel Technik erfordern, trainiert man relativ viel gemessen an der Zeit des Wettkampfs“, sagt Jana Strahler. Ein Beispiel: Sprinterinnen und Sprinter trainieren oft fünf- bis sechsmal pro Woche jeweils zwei Stunden. Ein 100-Meter-Lauf dauert im Spitzenbereich gerade einmal zehn bis zwölf Sekunden. „Selbst wenn mehrere Starts an einem Tag stattfinden, ist die Wettkampfzeit nur minimal“, sagt die Professorin.
Anders sieht es bei Mannschaftssportarten wie Fußball oder im Tennis aus. „Da haben wir ein etwas ausgewogeneres Verhältnis von Trainings- und Wettkampfzeit“, sagt Strahler. 20 Stunden Technik-, Kraft- und Ausdauertraining pro Woche können bei einem Grand-Slam-Turnier auch mal fünf bis sechs Stunden gegenüberstehen.
Wechsel zwischen Bewegung und Analyse beim Sport-Club
Und im Profifußball? „Motivation durch Wissen“ ist das Konzept von Daniel Wolf, Athletiktrainer des Sport-Club Freiburg. „Wir führen Gespräche mit den Spielern und erklären ihnen, warum wir was machen und warum welche Übungen oder Zusatzläufe gut für sie sind.“ Dabei würden sie versuchen, Belastungen vor allem mit dem Ball zu erreichen und nur selten in Form von isolierten Läufen. „Ziele setzen ist auch ein wichtiges Thema für uns, um so die Eigenmotivation zu fördern“, betont er. „Gute Atmosphäre lässt sich auch durch äußere Einflüsse wie zum Beispiel dem Einsatz von Musik erzeugen.“
In der Woche vor dem Samstagsspiel gegen den FC St. Pauli sah der Trainingsplan zum Beispiel so aus: von Dienstag bis Freitag insgesamt 10 Stunden Gruppentraining, davon 3,5 Stunden Krafttraining, sowie Vor- und Nachbereitung der Einheiten inklusive (Video-)Besprechungen. Dazu kamen individuelle Trainergespräche, Videoanalysen, Physiotermine und Krafttraining. Am Samstag, dem Spieltag, stand um die Mittagszeit ein fünfzehnminütiger Spaziergang an, gefolgt von den 90 Minuten plus Nachspielzeit, Aufwärmen und am Ende Auslaufen auf dem Platz. Letzteres sicherlich voller Frust über die 0:3-Niederlage. Am Sonntag folgten eineinhalb Stunden Training oder Regeneration.
Ob sie beim Spiel zum Einsatz kommen, kürzlich verletzt waren – oder je nach Position, auf der sie spielen: „Das Verhältnis von Trainings- und Spielzeit ist natürlich von Spieler zu Spieler unterschiedlich. Auch die Belastung wird individuell gesteuert und verändert sich im Laufe der Saison“, sagt Pressesprecher Sascha Glunk.
Was die Saison bei den Fußballern, ist am Theater die Spielzeit. Zwischen beiden zieht Opernsäger Roberto Gionfriddo, der selbst Mitglied des SC Freiburg ist und sich gerne Spiele im Stadion anschaut, Parallelen. Insgesamt, so sagt er, sei es in der Oper ähnlich wie im Fußball: „Je länger die Spielzeit dauert, umso schwieriger wird es, die beste Leistung abzurufen.“