Das Thema, wie Unternehmen im Unglück offen informieren können, betrifft nicht nur Industrie oder Airlines. Es gibt auch regionale Beispiele. Wie man es gut macht und wie nicht.
VON RUDI RASCHKE
Im Nachhinein liest es sich nicht mehr nach großem Skandal, es gab auch keine Schwerverletzten, aber schön wirkte es trotzdem nicht fürs Image, worauf der Bäckermeister Wolfgang Pfeifle im April vor vier Jahren umgehend reagieren musste: „Freiburger Vorzeigebäcker verkauft schwäbische Tiefkühl-Brezeln“ lautete die Überschrift zu einer Art Enthüllungsstory in der „Badischen Zeitung“.
Mit allen Zutaten, die regionalen Tratsch aufgehen lassen wie eine Dampfnudel im Fett: Pfeifles Fallhöhe war gegeben, weil er konsequent Brotkultur und Teigruhe predigt, die Innung zeigte sich verbandstypisch stichelnd bis angesäuert, er selbst erschien ein wenig wie einer, der seine Kunden täuscht, noch dazu mit nicht-badischen Produkten und aus der Gefriere. Das stimmte zwar nicht, weil er niemanden angelogen hatte, aber handeln musste er umgehend.
Seine Erkenntnisse waren beachtlich, auch für die Weiterentwicklung seines Betriebs – wenn es ein regionales „Krise als Chance“-Thema gibt, dann dieses: Zunächst hatte Pfeifle bei einem Brand in der Backstube schon knapp 15 Jahre zuvor gelernt, wie sich emotional so ein Schockmoment angehen lässt und wie nicht: „Du setzt dich hin, trinkst einen Kaffee und versuchst die Ruhe zum Überlegen zu finden, was als nächstes zu tun ist.“
Bloß kein Spiel auf Zeit
Am besten einen Handwerker finden, der Ofen und Backstube wieder an den Start bringt. „Und dabei ordentlich mit den Leuten umgehen“, es bringe nichts, wenn der Chef in so einer Situation hektisch rumbrüllt, sagt Pfeifle, der acht Fililalen und zwei Marktstände in der Region betreibt. Was Pfeifle vom damaligen Ofenbrand noch wusste, als die BZ-Geschichte aufgebacken wurde: „Es ergibt überhaupt keinen Sinn, auf Zeit zu spielen oder die Wahrheit scheibchenweise zu verbreiten.“
Für ihn galt es jetzt, sich in größerer Öffentlichkeit zu äußern, „offensiv, schnell und umfangreich zu handeln“. Pfeifle beantwortete auch unflätige Facebook- Kommentare mit Hilfe von persönlich adressierten Fakten, er debattierte auch in den BZ-Online-Kommentaren mit. Und er setzte sich nicht nur offen mit Kritikern auseinander, sondern versuchte, ihre Sichtweise einzunehmen.
Und dachte sich beim Kaffee auch: „Was für ein Idiot war ich?“ Er hatte nicht entfernt daran gedacht, dass ein entsprechender Herkunftshinweis am Produkt viel mehr Transparenz bedeutet und ihm das Thema vielleicht erspart hätte. Pfeifle hat zwar immer bei Besichtigungen betont, was in der Haslacher Backstube entsteht und was nicht. Aber weil das eben nur auf Nachfrage geschah, konnte er verstehen, wenn Kunden sich nicht ausreichend informiert fühlten. Er habe gemerkt, dass es offenbar etwas mit dem Heimatgefühl der Kunden mache, wenn ihre Brezel nicht von hier kommt – selbst, wenn sie als Import besser schmecken mag als manches Selbstgeschlungene.
Die Umsätze seien in den Wochen danach aber eher nach oben gegangen, sowohl besondere Neugier als auch Treue könnten eine Rolle gespielt haben. „Die Kritik habe ich als erweiterte Marktchance gesehen und noch umfangreicher deklariert“, sagt er heute. Er hat Aushänge in den Filialen gemacht, die Preisschilder geändert und Ordner mit penibel genauen Listen zugänglich gemacht. Am Ende hat „Brezelgate“ sogar sein Sortiment gestrafft: Auf zugekauften Kuchen oder Donuts verzichtet er heute komplett, auf diese Weise hat er am Stammsitz den Platz einer Gefriereinheit für Besseres frei bekommen.
Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigt ein ungleich härterer Fall, der einen bekannten Winzer in Bad Krozingen bei der Spargelernte im vergangenen Jahr betraf. Dort starb im vergangenen Jahr der eingereiste rumänische Arbeiter Nicoale Bahan an den Folgen von Covid-19, zahlreiche weitere Helfer infizierten sich. Dies führte umgehend zu Diskussionen über die Arbeitsbedingungen auf den Feldern während der Pandemie. Das Gesundheitsamt konnte kein Vergehen feststellen, der Betrieb äußerte sich nicht, sondern schaltete prominente Medienanwälte ein und schirmte sich ab.
Reportern überregionaler Zeitungen wurde vor Ort noch nachgestellt, gegen ein rumänisches Medium wurden rechtliche Schritte angekündigt. Auf die Diskussion um die Bedingungen bei der Ernte unseres badischen Lieblingsgemüses wurde nicht eingegangen. Einen transparenten Einblick gab es nicht. Kein gutes Beispiel, wie ein regionaler Betrieb Krisenkommunikation aktiv angeht.
Zurück zu Wolfgang Pfeifle, der sagt, er habe zu keiner Zeit über rechtliche Schritte gegen irgendjemanden nachgedacht. Seiner unternehmerischen Verantwortung hat er sich in wochenlangen Debatten on- und offline gestellt, daran, es irgendjemanden heimzuzahlen, hat er nicht den kleinsten Gedanken verschwendet. So schwer wäre es übrigens gar nicht gewesen: Die Seite eins der „Badischen Zeitung“-Ausgabe mit der heimatseligen Schwabenbrezel-News warb an diesem Tag für „Südbadens schönste Fahrradtouren“. Das Titelfoto zeigte eine Landschaft im Allgäu.