Baugenossenschaften sind in Freiburg und anderen Großstädten die Hoffnungsträger am Markt für bezahlbare Wohnungen. Immer mehr Menschen treten ein – aber kann dieses Modell die Menge an Wohnraum schaffen, die privaten Bauträgern entzogen werden soll?
Von Daniela Frahm
Die Ankündigung des neuen Freiburger Oberbürgermeisters Martin Horn, dass er im Gebiet Stühlinger-West keine gewinnorientierten Baufirmen zum Zug kommen lassen will, wurde von diesen – nicht ganz überraschend – kritisiert. Die Freiburger Bauwirtschaft hält es für illusorisch, unter diesen Umständen ein Volumen von rund 1000 Wohnungen zu realisieren. Auf Nachfrage von netzwerk südbaden hält Horn an diesen Plänen fest und konkretisiert sie. Ziel sei, dass allein die Freiburger Stadtbau 200 bis 300 Wohnungen im bezahlbaren Segment im Stühlinger baut, die übrigen sollen private, gemeinwohlorientierte Unternehmen wie Genossenschaften, Baugruppen oder das Mietshäusersyndikat errichten „und nicht Bauinvestoren mit maximaler Gewinnorientierung“.
Er betont zwar, dass er die „gesamte Bauwirtschaft nach wie vor aktiv einbinden“ will, er möchte aber „die Genossenschaften stärken, indem wir einen dezidierten Fokus auf sie richten“. Die Freiburger Baugenossenschaften, die sich in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, hören das natürlich gern. Der Bauverein Breisgau, die größte der drei Genossenschaften, Familienheim Freiburg als Nummer zwei und Heimbau Breisgau haben alle das gleiche Problem: Sie haben eine ständig wachsende Zahl an Mitgliedern, eine dementsprechend lange Warteliste für Wohnungen und nicht genügend Grundstücke, auf denen sie Mietwohnungen bauen können.
„Wir können sicherlich nicht die 15.000 Wohnungen bauen, die in der Stadt bis 2030 gebraucht werden, dazu brauchen wir sämtliche Akteure, und die freien Bauträger machen auch einen guten Job“, betont Marc Ullrich, seit gut einem Jahr Vorstandsvorsitzender des Bauvereins. Horns Pläne für Stühlinger-West begrüßt er aber genau wie Alexander Ehrlacher, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Familienheim, und Heimbau-Vorstand Martin Weiner (er musste für das Gespräch mit netzwerk südbaden krankheitsbedingt absagen.) Als „ausgezeichnete Probefläche“ bezeichnet Ehrlacher Stühlinger-West: „Die Vielfalt der Freiburger Bevölkerung soll dort abgebildet werden“.
Die Baugenossenschaften haben schon länger Interesse an dem Gebiet bekundet und sehen sich auch in der Lage, die dort geforderte Größenordnung zu stemmen. Alle drei hätten ohnehin schon mehrere hundert Wohnungen im Stühlinger im Bestand. Die Wohnungsbestände der Genossenschaften befinden sich oft in Quartieren, in denen auch Nachbarschaftsförderung betrieben wird. „Wir haben keine sozialen Brennpunkte“, sagt Ullrich. Über 22.000 Mitglieder hat der Bauverein inzwischen, in den vergangenen Jahren kamen jeweils rund 1000 dazu. Demgegenüber stehen circa 4800 Wohnungen. Die anderen beiden Genossenschaften haben ähnliche Zuwachsraten: Rund 8400 Mitglieder zählt Familienheim (knapp 2700 Wohnungen), etwa 3700 sind es bei Heimbau (knapp 1300 Wohnungen).
Das Geschäftsmodell ist bei allen gleich: Die Mitglieder kaufen Anteile, für die sie derzeit rund vier Prozent Dividende bekommen, und die Genossenschaften lassen für das eingesammelte Geld preisgünstigen Wohnraum bauen, für den sie ein lebenslanges Wohnrecht garantieren. „Zwischen Eigentum und Miete“ nennt Ehrlacher das. Die durchschnittlichen Nettokaltmieten pro Quadratmeter liegen mit 6,41 Euro (Bauverein), 7,01 Euro (Familienheim) und 6,91 Euro (Heimbau) deutlich unter dem städtischen Mietspiegel von 8,25 Euro. Die Wartelisten sind allerdings lang, allein beim Bauverein stehen derzeit 2000 Anwärter darauf. Neumitglieder müssen damit rechnen, dass es mehrere Jahre dauert, bis sie eine Wohnung bekommen.
Manche Genossen kaufen deshalb schon Anteile für ihre Enkel als Geschenk zur Geburt. „Der Engpass sind die Grundstücke“, erklärt Ehrlacher. Die wenigen, die in Freiburg zu vergeben sind, sind zu teuer, deshalb bauen die Genossenschaften derzeit eher im Umland, wo die Preise günstiger und die Bauplätze leichter zu bekommen sind. Hinzu kommen die Baukosten, die laut Ullrich seit dem Jahr 2000 um 50 Prozent gestiegen sind, ohne dass die Handwerker deshalb mehr verdienen würden. Vor allem die energetischen und die wettbewerblichen Anforderungen sowie die Gebäudetechnik seien dafür verantwortlich. „Alles fordern geht nicht, man muss auch fördern“, sagt der Bauverein-Vorstand, „Plusenergie und günstige Mieten passen nicht zusammen.“
Dass die Stadt in dieser Hinsicht ihre Anforderungen herunter schraubt, will und kann Horn nicht versprechen. „Inves- erhöhen sich durch den Freiburger Effizienzhausstandard laut einer Studie des Umweltschutzamtes lediglich um 1,5 Prozent, und diese Kosten amortisieren sich nach gewisser Zeit durch die Energieersparnis“, sagt der OB. In anderer Hinsicht kündigt er hingegen Verbesserungen für Baufirmen an: „Wir haben die Genehmigung für Bauanträge schon erheblich beschleunigt und arbeiten weiterhin intensiv an unseren Verfahren. Das Baugesetzbuch mit seinen Anforderungen können wir leider nicht ändern, aber dass Stühlinger-West und vor allem Dietenbach mindestens unsere Freiburger Energiestandards erfüllen, ist klar.“
Auch Ullrich und Ehrlacher machen vor allem die Vorschriften dafür verantwortlich, dass es so lange dauert, bis gebaut werden kann. Aus 5000 Gesetzen und Verordnungen vor knapp 30 Jahren seien mittlerweile 20.000 geworden, „dazu kommen dann noch die Bedenkenträger aus der Nachbarschaft“, so Ullrich, der einen Bürokratieabbau auf Bundes- und Landesebene für sinnvoll halten würde. Unabhängig davon arbeitet die Stadtverwaltung laut Horn „intern an Modellen, wie man Genossenschaften entgegen kommen kann, die auch alle rechtlichen Vorgaben erfüllen“. Im Gebiet Stühlinger-West ist es sein Ziel, dass alle Flächen in städtischen Besitz kommen. Die Hälfte der Flächen ist in Bundesbesitz. „Wir werden an den Bund herantreten und über die Flächen verhandeln. Wenn der Bund wie angekündigt die Kommunen beim Bau von bezahlbarem Wohnungsraum unterstützen möchte, sehe ich hier sehr gute Chancen“, sagt Horn.
Rund ein Drittel gehöre bereits der Stadt und der Rest der Stiftung. „Wir haben jetzt Wohnungsnot und so schnell wird es keine Entlastung geben“, ist sich Ullrich sicher, „aber wir freuen uns auf alle neuen Flächen und sind gespannt auf Dietenbach.“ Von der 50 Prozent-Quote für Sozialwohnungen, die eine Mehrheit des Gemeinderats im geplanten Stadtteil Dietenbach gerne umsetzen würde, halten die Genossenschaften allerdings genauso wenig wie die Vereinigung Freiburger Wohnungs- und Gewerbeunternehmen (VFW), die eine entsprechende Erklärung veröffentlicht hat. „Sozialwohnungen können nur ein Baustein sein“, meint Ehrlacher, „unser Modell sind 100 Prozent bezahlbare Wohnungen, wir sind nicht auf Förderung angewiesen.“ Bei einer 50-Prozent-Quote würden die restlichen Wohnungen entsprechend teurer, fügt Ullrich hinzu, „das kann keine Zielsetzung sein“. In diesem Punkt ist er sich auch mit den freien Bauträgern einig. Sie seien ohnehin bei den Projekten und Modernisierungen Partner der Genossenschaften.