Der Zweckverband Kahlenberg gewinnt in einem landesweit einmaligen Verfahren Rohstoffe, Energieträger und bald auch Dünger aus dem Inhalt der Grauen Tonne. Über einen Abfall-Sonderweg und die Geschichte einer Mülldeponie.
VON CHRISTINE WEIS
Biegt man von der B3 zwischen Ringsheim und Herbolzheim ab und steuert auf den Kahlenberg zu, ist von Müll erstmal nichts zu sehen. Ziegen grasen am Hang. Bäume recken Anfang April ihre zarten Blätter aus den Ästen. Die Gebäudeanlagen fügen sich mit ihrer grünen Farbe nahezu harmonisch ins Landschaftsbild. „Technik und Natur schließen sich nicht aus“, sagt Georg Person, stellvertretender Geschäftsführer des Zweckverbands Abfallbehandlung Kahlenberg (ZAK). Damit spricht er das aus, was der Betrachterin bei der kurvenreichen Fahrt durchs Deponiegelände ins Auge fällt. Vorbei an Blockheizkraftwerk, Biogasfermenter, Wertstoffcontainern, Grünschnitthaufen, Bauschuttbergen, Erdaushubhügeln und einem großen Heuballenlager bis hinauf zum Gipfel. Dort an einem kleinen mit Schilfgras bewachsenen See wird der Blick frei über Weinreben zur Mahlberger Burg, in die Rheinebene, zum Kaiserstuhl und auf den Schwarzwald. Damit schaut man auch auf einen Teil der Gebiete, aus denen der Müll stammt, der im Untergrund des Kahlenbergs liegt. Der ZAK mit seinen 100 Mitarbeitenden kümmert sich seit 1973 um den gesamten Hausmüll der Landkreise Emmendingen und Ortenau.
Von der Mülldeponie zum Biotop
Georg Person ist promovierter Chemiker und seit 1996 beim ZAK an Bord. Beim Ortstermin erläutert er nicht nur die Prozesse der Müllverwertung, sondern berichtet auch offen von dem einstig problembehafteten Verhältnis zwischen dem ZAK und den Ringsheimer Bürgern. Ihnen hatte die Deponie sprichwörtlich gestunken. Person ist in Ringsheim aufgewachsen und erinnert sich noch gut an die Geruchsbelästigung, als die Fallwinde den Müllgestank in den Ort drückten. Heute muffelt es nur noch in der Halle der Abfallannahme, von dem Mief dringt allerdings nichts mehr nach Draußen. Die Gemeinde hat durch die Fernwärmeversorgung für rund 200 Haushalte mittlerweile auch einen Standortnutzen.
In den renaturierten Arealen leben zahlreiche seltene Tierarten wie Bienenfresser, Gottesanbeterin, Molche, Uferschwalben, Schmetterlinge und besondere Pflanzen wie die Hügelanemone. Person stoppt auf der Rundfahrt auch am Tiergehege mit Hühnern, Hängebauchschweinen, Schafen, Eseln und Ponys. Das Gelände werde von vielen Familien als Naherholungsgebiet genutzt, erläutert Person. Ein ehrenamtliches Team aus Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern sowie ZAK-Mitarbeitende versorgen die Tiere. Entlang der Fußgängerwege informieren Tafeln über Geologie, Flora, Fauna und den Weg vom Bergbau zum Biotop.
„Das Deponiegelände ist frei zugänglich. Wir machen transparent, was hier am Kahlenberg passiert.“
Georg Person, stellvertretender Geschäftsführer ZAK
Zurück zum Abfall: Am Kahlenberg wurde von 1937 bis 1969 Eisenerz abgebaut. Das abgetragene Gelände bot Raum für die Einlagerung von Müll, erklärt Person. 1971 gründete sich der ZAK, um eine „geordnete Deponie“ einzurichten. Für diese Ordnung sorgte ab 1972 das Abfallbeseitigungsgesetz. Bis dahin hatte fast jede Gemeinde ihre eigene Kippe, in der von Autoreifen bis Zahnbürsten alles verklappt und am Ende mit Erdaushub zugeschüttet wurde. Damit war dann Schluss und der gesamte Siedlungsmüll von rund einer halben Millionen Menschen wurde von 1973 bis 2005 am Kahlenberg eingelagert. Insgesamt befinden sich auf der 40 Hektar großen stillgelegten Deponiefläche etwa sechs Millionen Tonnen Müll.
„Deutschland ist zwar Weltmeister in der Disziplin der Mülltrennung, aber weit abgeschlagen, was die Müllvermeidung angeht.“
Georg Person, stellvertretender Geschäftsführer ZAK
Das Aufkommen stieg in den ersten Jahren kontinuierlich an: 25.000 Tonnen Abfall wurden 1973 gemessen. Den Spitzenwert von 310.000 Tonnen gab es 1991. Seit Einführung des Gelben Sacks im Jahr 1992 gingen die Zahlen zurück und pendelten sich bei rund 110.000 Tonnen ein. Die Abfalllagerungsverordnung machte dann 2005 auch mit dieser Form der Müllentsorgung Schluss.
Im Untergrund produziert der Müll jedoch weiterhin Gase und schadstoffbelastetes Sickerwasser – sogenannte Entsorgungslasten. Das Deponiegas wird über ein Drainagesystem abgesaugt und im Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. In einem mehrstufigen Prozess wird auch das Sickerwasser gereinigt und dann der Kanalisation zugeführt.
Das ZAK-Verfahren
Nach dem Verbot der Einlagerung von unbehandelten Abfällen, musste sich der Entsorgungsträger ein neues Konzept überlegen. „Für viele war damals die Verbrennung des Restmülls die einfachste Lösung“, sagt Person, „das kam für uns nicht infrage, weil der Müll viele nutzbare Materialien enthält“. In einem mehrjährigen Pilotprojekt entwickelte das ZAK ab 1996 eine eigene mechanisch-biologische Abfallbehandlungstechnologie (MBA). „Das patentierte Verfahren kommt mittlerweile in mehreren, vor allem asiatischen Ländern, zum Einsatz“, berichtet Person. Häufig seien internationale Fachbesucher zu Gast, um sich über die MBA zu informieren.
Seit 2006 läuft die rund 45 Millionen Euro teure Anlage, die aus Abfall Roh- und Brennstoffe gewinnt. Grob skizziert funktioniert sie so: Müllfahrzeuge leeren den Hausmüll aus den grauen Tonnen in der geschlossenen Anlieferungshalle. Ein Greifbagger entfernt Störstoffe, die die Anlagen blockieren würden. Danach gelangt der Müll über Förderbänder in die nächste Halle zur mechanischen Aufbereitung. Hier werden die Abfallsäcke aufgerissen, der Müll gesiebt und zerkleinert. Magnete ziehen Metallteile wie Konservendosen heraus. Rund 90 Prozent des Mülls von Katzenstreu bis Kerzen bleiben danach immer noch übrig.
Im nächsten Schritt wird dem Müll Wasser zugeführt und ein Rührwerk wälzt dieses Gemisch mehrere Tage durch. Das Wasser wird wieder abgepresst. Mithilfe von Mikroorganismen vergärt es im Fermenter, wodurch Biogas entsteht, das auch im BHKW verwertet wird. Die verbleibenden Feststoffe kommen in die biologische Trocknung. Bakterien und Pilze zersetzen dabei die organischen Bestandteile in Kohlenstoff und Wasser. Auch hierbei entsteht wieder Wärme zur weiteren Energienutzung. Die getrockneten Reststoffe werden wiederum in mehreren Stufen gesiebt. Das Endresultat sind sogenannte Ersatzbrennstoffe, die regionale Industriefirmen vom ZAK beziehen. „Wir ersetzen mit Abfall fossile Brennstoffe“, bringt es Person auf den Punkt.
Die Restmüllbilanz kann sich sehen lassen: 36 Prozent Brennstoffe, 43 Prozent Wasser, 6 Prozent Biogas, 9 Prozent Mineralstoffe, 2 Prozent Metalle. Nur etwa 1 Prozent an nicht verwertbarem Material liefert der ZAK an die Müllverbrennungsanlage TREA im Gewerbegebiet Eschbach. Insgesamt behandelt das ZAK aktuell 100.000 Tonnen Abfälle von rund 600.000 Einwohnern. Auch wenn der Müll wiederverwertet werde, seien die Mengen viel zu hoch, resümiert Georg Person. „Deutschland ist zwar Weltmeister in der Disziplin der Mülltrennung, aber weit abgeschlagen, was die Müllvermeidung angeht.“
Eine Mülltonne weniger
Das ZAK geht mit der Biotonne seit 2006 einen eigenen Weg. Diese gibt es in der Ortenau und im Landkreis Emmendingen schlicht nicht, obwohl der Gesetzgeber sie seit 2015 für organische Stoffe vorschreibt. Rasenschnitt, Blumenerde, Kartoffelschalen oder Kaffeesatz müssen hier nicht in einem separaten Behälter gesammelt werden. Das ZAK-Verfahren ermögliche die Ausnahme. „Viele Umweltverbände kritisieren uns deshalb“, sagt Person. Der 59-Jährige findet die Kritik ungerechtfertigt und verweist etwa auf die gute Ökobilanz der Anlage. Mit dem BHKW und der PV-Anlage produziere man mehr Energie als man benötige Die insgesamt erzeugte Strommenge entspricht dem Bedarf von rund 5000 Haushalten. Person benennt in dem Zusammenhang auch das Problem der Biotonne. Durch Fehlwürfe komme Plastik in die Kompostieranlagen und damit auch in den Humus und auf die Felder.
Mit der thermischen Verwertung und Rohstoffrückgewinnung aus Ersatzbrennstoffen (EBS) hat der ZAK eine weitere Innovation auf den Weg gebracht. Zukünftig werde man 24.000 Tonnen der jährlich 35.000 Tonnen anfallenden Ersatzbrennstoffe am Ort zur Strom- und Wärmegewinnung nutzen. Die Anlage kostet rund 33 Millionen Euro und ist gerade im Bau. Im Herbst geht sie in Betrieb. Das Besondere an der Neuerung ist, dass aus den Aschen vor allem Phosphor rückgewonnen wird, erläutert Person. Dieser Rohstoff kann dann zum Beispiel in der Landwirtschaft zur Bodendüngung dienen. Damit kommen sie wieder zusammen: Technik und Natur.