Die Unternehmer Gregor Grüb und Klaus Harisch betreiben in Lahr seit Mitte 2014 die Zigarrenmanufaktur Herr Lehmann. Die Besonderheit: Sie stellen Zigarren in Handarbeit aus regionalem Tabak her. Damit bewahren sie eine Tradition der Ortenau. Und sie expandieren in anderen Genusswelten.
VON SUSANNE MAERZ
Mitten in der Lahrer Altstadt, schräg gegenüber des Alten Rathauses, zwischen Nagelstudio und Juweliergeschäft, liegt die Zigarrenmanufaktur Herr Lehmann. Die Schaufenster geben den Blick frei auf zwei hölzerne Pulte, einen Wickel- und einen Rolltisch, an denen drei Mitarbeiterinnen im Wechsel Zigarren produzieren. Auf einem liegen in offenen Säcken ganze und geschnittene Tabakblätter, ein würzig-erdiger Geruch liegt in der Luft.
Die Mitarbeitern Monika Schmidt nimmt ein leicht angefeuchtetes Tabakblatt, entfernt vorsichtig den Strunk sowie andere Äste und streicht es glatt. Dieses sogenannte Umblatt legt sie auf ein Lederband, das auf dem Wickeltisch angebracht ist, gibt geschnittenen Tabak darauf und bedient das Fußpedal. Das Lederband schließt sich, wickelt das Blatt um den Tabak und gibt den fertigen Wickel, auch Puppe genannt, frei. Nach und nach fertigt sie weitere Wickel, legt sie in hölzerne Formen, die sie anschließend aufeinanderstapeln und 24 Stunden in eine Presse einspannen wird.
Am Tag darauf macht ihre Kollegin Sabine Reichenbach an dem Rolltisch weiter: Sie feuchtet die lederne Unterlage an, streicht das sogenannte Deckblatt, das die Hülle der Zigarre bilden wird, glatt und pinselt es mit einem Naturkleber ein. Dann wickelt sie es vorsichtig um den Wickel und schneidet die Enden zurecht.
Milder Geschmack, wie beim Rotwein
„Das ist die europäische Art, Zigarren herzustellen“, sagt Inhaber Gregor Grüb und spielt auf Cuba an, von wo man Bilder von Frauen kennt, die auf ihren Schenkeln Zigarren rollen. Auch im Geschmack unterscheiden sich die Ortenauer von den kubanischen Zigarren: Der klassische regionale Zigarrentabak, der Geudertheimer, aus dem die Zigarren überwiegend bestehen, ist milder als der kräftige südamerikanische.
„Das ist ein bisschen wie beim Rotwein, ein Spätburgunder ist auch leichter als ein spanischer Rotwein.”
Gregor Grüb, Inhalber Herr Lehmann
Den Geudertheimer bauen zwei Landwirte in der Ortenau exklusiv für die Manufaktur Herr Lehmann an. Er wird auf traditionelle Weise von Hand geerntet, zum Trocknen aufgezogen und nach sechs Wochen fermentiert. 95 Prozent der Herr-Lehmann-Zigarre besteht aus dem Geudertheimer, das Deckblatt aus zugekauftem Sumatratabak – weil sich dieser leichter wickeln lässt, sagt Grüb und betont:
„Unsere Zigarre ist die einzige aus Ortenauer Tabak, die komplett hier gefertigt wird.“
Gregor Grüb, Inhalber Herr Lehmann
Allerdings gibt es eine weitere Zigarre aus regionalem Tabak: Claus Nückles, Inhaber des Tabakwaren- und Spirituosengeschäfts Zigarren Baumert in Kehl, vertreibt seit 2009 seine „Ortenau-Zigarre“, die zu 100 Prozent aus Tabak aus dem Ortenauer Ried besteht, wie er betont. Gefertigt wird sie aber in einem Betrieb in Hessen. Nückles macht mit der Ortenau-Zigarre nur einen kleinen Teil seines Umsatzes. Ihm gehe es vor allem darum, eine regionale Tradition zu bewahren.
In der Ortenau wird heute nicht nur Tabak für diese beiden Zigarrenmarken angebaut. Das Gros ist jedoch Zigaretten- und Shishatabak. Er wird in anderen Teilen Deutschlands weiterverarbeitet oder exportiert. Seit die EU-Subventionen für Tabak ab 2010 weggefallen sind, ist die Tabakproduktion allerdings zurückgegangen. Heute wird in Deutschland nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Tabakpflanzer auf rund 2.000 Hektar Tabak angebaut. Vor etwa zehn Jahren waren es laut Wikipedia noch rund 4.600 Hektar.
Rund 300 Tabakfabriken um 1900
Die Tradition des Tabakrauchens und -anbaus brachten durchziehende Soldaten während des 30-Jährigen Kriegs in die Region. In den Jahrzehnten danach entstanden die ersten Tabakfabriken – erst bei Basel, später bei Pforzheim und Straßburg, wie es auf der Website des Oberrheinischen Tabakmuseums aus Mahlberg zu lesen ist. Um 1900 gab es laut der Museumswebsite rund 300 Tabakfabriken in der Ortenau. Ab etwa Mitte der 1950er-Jahre begann angesichts verschiedener Pflanzen-Krankheiten, der Niedergang der Branche. Die letzte regionale Zigarettenproduktion, die Roth-Händle-Fabrik in Lahr (damals im Reemtsma-Konzern), schloss im Jahr 2007 ihre Pforten. Länger überdauerte nur die 1924 gegründete „Oskar Lehmann Zigarren-Manufaktur“ aus Seelbach: Bis 2014 stellte das Ehepaar Maria und Oskar Lehmann, obwohl längst um die 80 Jahre alt, im Keller des Wohnhauses in kleinem Umfang Zigarren aus regionalem Tabak her.
Über sie und über die Ortenauer Tabaktradition tauschten sich die beiden miteinander bekannten Unternehmer Gregor Grüb und Klaus Harisch bei einem Dorffest in Lahr 2013 mit einem Bekannten aus. Dieser weckte nicht nur das Interesse der beiden Männer am Thema und an der Tradition, sondern auch ihren Unternehmergeist: Grüb und Harisch besuchten die Lehmanns, die kurz davor waren, ihre kleine Manufaktur zu schließen. Als diese schließlich aufhörten, erwarben sie deren Maschinen sowie deren Know-how und gründeten ihre Manufaktur.
„Unser Antrieb war, die Tradition und das Handwerk weiterzuführen. Sonst hätte es das in der Ortenau nicht mehr gegeben.“
Gregor Grüb, Inhalber Herr Lehmann
Der Name „Herr Lehmann“ sei eine Reminiszenz an die Lehmanns. Aber auch ein wenig eine Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Sven Regener.
Wirtschaftlichkeit ist wichtig
Grüb und Harisch betreiben ihr Unternehmen nebenberuflich: Der promovierte Physiker Harisch, der mit einer Lahrerin verheiratet ist, betreibt in München mit seinen Söhnen die Softwarefirma Yoummday. Der Betriebswirt Gregor Grüb führt die Lahrer Oscar Weil GmbH, einen Produzenten von Stahlwolleschwämmen für Haushalte und Handwerker, unter anderem Abrazo, in fünfter Generation. Die Zigarrenmanufaktur ist für sie kein teures Hobby, das sie sich leisten: „Sie ist eine eigenständige Gesellschaft und muss wirtschaftlich funktionieren“, betont Grüb.
Im Jahr 2017 hat das Unternehmen zum ersten Mal schwarze Zahlen geschrieben, in den Folgejahren ebenfalls. 2020 und 2021 ist dies wegen Corona indes nicht gelungen. Der Manufaktur erging es wie vielen anderen Einzelhändlern: „Wir durften zwar öffnen, aber es ist keiner gekommen“, berichtet Grüb. Der Verkauf über den Onlineshop sei zwar gestiegen, habe den Einbruch aber nicht komplett auffangen können. In normalen Jahren macht Herr Lehmann etwa 40 Prozent des Umsatzes über das Ladengeschäft und jeweils 30 Prozent über den eigenen Onlineshop sowie über Partner. Dies sind sowohl andere Einzelhändler, – Conceptstores und Zigarrenfachgeschäfte – Barbershops sowie ein Onlinevertrieb für Zigarren. Über Plattformen wie Amazon dürfen Zigarren nicht vertrieben werden und auch nicht beworben werden. Das macht den Vertrieb schwieriger. Um ihn voranzubringen, ist seit Jahresbeginn der Marketingexperte Harald Tulies mit an Bord – als dritter Gesellschafter und Vertriebsmitarbeiter.
„Unser Ziel ist es, ein gesundes Unternehmen aufzubauen und dieses Jahr wieder schwarze Zahlen zu schreiben.”
Gregor Grüb, Inhalber Herr Lehmann
Für bewussten Genuss bei einer Auszeit
Dabei helfen viele regionale Spezialitäten, die in den Regalen des Ladens in Lahr stehen: Da sich das Unternehmen mit dem Verkauf von Zigarren alleine nicht trägt, haben Grüb und Harisch nach und nach weitere Produkte hinzugenommen, die sie meist mit den Erzeugern entwickelt haben. Den Anfang machte 2016 der „Schwarzwald Whisky“. Ein Apfelbrand, ein Kräuterlikör, ein Gin und ein Kaffee folgten. Auch Öl oder eingelegte Kirschen von Merkles Restaurant aus Endingen sind darunter. „Wir entwickeln uns gerade von der Zigarren- zur Genussmanufaktur“, sagt Gregor Grüb.
Ob Zigarre, Whisky oder Kaffee: Ihm geht es darum, dass die Kunden seine Produkte bewusst genießen und sich dafür eine Auszeit nehmen. Auch er selbst versucht das immer wieder – kommt aber angesichts seines vollen Terminkalenders zu selten dazu.